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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Rechten, wird eine Verstimmung gehen, wie bei der Nachricht, daß ein Bekannter, den
man einst geliebt und dann verlassen hat, gestorben ist. Aber dieses Gefühl wird
von einem andern begleitet sein, daß eine Scheidung eingetreten ist zwischen dem König
und seinem Volke. Auch diese Scheidung möchte für beide Theile anfänglich wenig
Aufregendes haben, bis zu einem Tage, wo die politische Weltlage verlangt, daß
der König und das Volk von Preußen beide einen großen Willen haben. Dann
wird der König sein Volk suchen, und es wird ihm nicht antworten.

Eine der Verfassnngsveränderungen jedoch, die Verwandlung der ersten
Kammer in eine Pairskammer, hat die Krone selbst in demselben Act, in welchem
sie sich an die Verfassung band, bereits vorbehalten. Die sehr verschiedenen
Ansichten, welche in den Kammern und Negierungskreisen über die Zusammen¬
setzung dieses Oberhauses laut werden, sind vielleicht ein hinreichender Beweis,
daß diese Bildung mehr ein Experiment, als eine den preußischen Verhältnissen
entsprechende Entwickelung ist. Pairs lassen sich nicht schaffen, wenn sie nicht
bereits vorhanden sind. Das heißt, es ist sehr schwierig, der Nation Achtung
vor einer solchen prwilegirten Stellung Einzelner im Staate beizubringen, wenn
nicht Einzelne von je eine so hervorragende Situation gehabt haben. Der
gesammte preußische Adel, wie zahlreich und begütert er anch sein mag, hat diese
Eigenschaft durchaus uicht. Er bildet eine durch Stamm, Prädicat, Erinnerungen
und Traditionen abgeschlossene Kaste von zweifelhaftem Werth für das Staats-
leben, und hat gegenwärtig vor dem Gesetz nur die Trümmer einzelner Vor¬
rechte, welche die Eifersucht und den Spott des aufstrebenden Bürgerthums
vielfach herausfordern. Die natürlichen Pairs eines großen deutschell Herrschers
sind die kleinen souverainen Fürsten Deutschlands, freilich nicht Pairs der Krone
von Preußen bei deu gegenwärtigen Verhältnissen in Deutschland.

Da aber der Versuch unvermeidlich gemacht wird, eine erbliche Adelskammer
aus den spröden Elementen, welche der preußische Staat in seiner gegenwärtigen
Organisation aufzuweisen hat, herzustellen, so ist zu bedauern, daß er nicht streng
nach dem Princip der Linealerbfolge, sondern mit einem gewissen schwächlichen
Eklekticismus gemacht wurde. Wenn einmal eine solche Kaminer errichtet werden
soll, so sei es zunächst das ausschließliche Privilegium der Krone, ihre Würden-
Kammer ans dem Volke herauszuheben. Abgeordnete, welche durch das Ver¬
trauen ihrer Standesgenossen oder Mitbürger gewählt werden, dürfen in einer
solchen Versammlung nicht sitzen, weil sie das Princip derselben vernichten. Denn
das Princip einer solchen Kammer ist nicht, die Interessen größerer Kreise zu
repräsentiren, sondern in ihren Personen ein stabiles Element darzustellen, welches
unerschütterlich auf der Erbfolge beruht, weder durch Vertrauen gegeben, noch
durch Mißtrauen genommen werden kann, welches dem Einzelnen, als ein Theil
seines Wesens, zugleich mit seinem Namen und dessen Prädicaten fest bleibt.
Diese Erblichkeit wird bei der überwiegenden Mehrzahl der Mitglieder eine solche


Rechten, wird eine Verstimmung gehen, wie bei der Nachricht, daß ein Bekannter, den
man einst geliebt und dann verlassen hat, gestorben ist. Aber dieses Gefühl wird
von einem andern begleitet sein, daß eine Scheidung eingetreten ist zwischen dem König
und seinem Volke. Auch diese Scheidung möchte für beide Theile anfänglich wenig
Aufregendes haben, bis zu einem Tage, wo die politische Weltlage verlangt, daß
der König und das Volk von Preußen beide einen großen Willen haben. Dann
wird der König sein Volk suchen, und es wird ihm nicht antworten.

Eine der Verfassnngsveränderungen jedoch, die Verwandlung der ersten
Kammer in eine Pairskammer, hat die Krone selbst in demselben Act, in welchem
sie sich an die Verfassung band, bereits vorbehalten. Die sehr verschiedenen
Ansichten, welche in den Kammern und Negierungskreisen über die Zusammen¬
setzung dieses Oberhauses laut werden, sind vielleicht ein hinreichender Beweis,
daß diese Bildung mehr ein Experiment, als eine den preußischen Verhältnissen
entsprechende Entwickelung ist. Pairs lassen sich nicht schaffen, wenn sie nicht
bereits vorhanden sind. Das heißt, es ist sehr schwierig, der Nation Achtung
vor einer solchen prwilegirten Stellung Einzelner im Staate beizubringen, wenn
nicht Einzelne von je eine so hervorragende Situation gehabt haben. Der
gesammte preußische Adel, wie zahlreich und begütert er anch sein mag, hat diese
Eigenschaft durchaus uicht. Er bildet eine durch Stamm, Prädicat, Erinnerungen
und Traditionen abgeschlossene Kaste von zweifelhaftem Werth für das Staats-
leben, und hat gegenwärtig vor dem Gesetz nur die Trümmer einzelner Vor¬
rechte, welche die Eifersucht und den Spott des aufstrebenden Bürgerthums
vielfach herausfordern. Die natürlichen Pairs eines großen deutschell Herrschers
sind die kleinen souverainen Fürsten Deutschlands, freilich nicht Pairs der Krone
von Preußen bei deu gegenwärtigen Verhältnissen in Deutschland.

Da aber der Versuch unvermeidlich gemacht wird, eine erbliche Adelskammer
aus den spröden Elementen, welche der preußische Staat in seiner gegenwärtigen
Organisation aufzuweisen hat, herzustellen, so ist zu bedauern, daß er nicht streng
nach dem Princip der Linealerbfolge, sondern mit einem gewissen schwächlichen
Eklekticismus gemacht wurde. Wenn einmal eine solche Kaminer errichtet werden
soll, so sei es zunächst das ausschließliche Privilegium der Krone, ihre Würden-
Kammer ans dem Volke herauszuheben. Abgeordnete, welche durch das Ver¬
trauen ihrer Standesgenossen oder Mitbürger gewählt werden, dürfen in einer
solchen Versammlung nicht sitzen, weil sie das Princip derselben vernichten. Denn
das Princip einer solchen Kammer ist nicht, die Interessen größerer Kreise zu
repräsentiren, sondern in ihren Personen ein stabiles Element darzustellen, welches
unerschütterlich auf der Erbfolge beruht, weder durch Vertrauen gegeben, noch
durch Mißtrauen genommen werden kann, welches dem Einzelnen, als ein Theil
seines Wesens, zugleich mit seinem Namen und dessen Prädicaten fest bleibt.
Diese Erblichkeit wird bei der überwiegenden Mehrzahl der Mitglieder eine solche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/292>, abgerufen am 22.07.2024.