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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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freudige Zustimmung hervor. Die Herzogtümer Bremen und Verden mit dem
größten Theil des Fürstenthums Lüneburg, die Nestdenz mit ihren nächsten Um¬
gebungen und den meisten Städten wandten Alles auf, um sich von den ver¬
meintlichen Gefahren des Anschlusses zu .befreien. Mit der lebhaftesten Freude
begrüßten ihn dagegen die Ostfriesen, deren Anhänglichkeit an den Staat Fried¬
rich's des Großen noch nicht erloschen ist; die Provinzen Osnabrück und Hildes¬
heim traten ihnen mit mäßigerer Hinneigung bei. In Göttingen sah man, wel¬
chen Einfluß wohlgeleitete theoretische Studien auch in rein materiellen Fragen
zu üben vermögen, indem die dortige Bürgerschaft ihre anfängliche Abneigung
erst dann überwand, als der öffentliche Lehrer der Volkswirthschaft ihnen die
überwiegenden Vortheile des Vertrags für beide contrahirenden Theile deutlich
machte. Derselbe Professor Haufen ließ in der Weserzeitnng eine lange Reihe
von Artikeln erscheinen, in denen er mit der überlegensten Sachkenntniß alle
Gründe der Gegner vernichtete.

Dieselbe unangreifbare Sicherheit entwickelten die Sprecher des Vertrags
in den Kammern. In der ersten war es der Generaldirector Klenze, in der
zweiten der Schatzrath Lang, die den moralischen Sieg ihrer Sache herbeiführ¬
ten. Ihrer Beredsamkeit wird es zuzuschreiben sein, daß die Abstimmung ein
völlig befriedigendes Ergebniß lieferte. Denn es gab der Schwankenden viele,
bei denen die politischen Gründe mit den volkswirtschaftlichen, oder der mate¬
rielle Vortheil ihrer Wähler mit ihrer eigenen Ueberzeugung kämpfte. Ihnen
mußten die Ziffern und Rechnungen der Leute vom Fach über alle geringeren
Bedenklichkeiten hinweghelfen. So ergab die erste Abstimmung eine Mehrheit
für deu Vertrag von 37:17 in erster, und von 43:29 in zweiter Kammer; ein '
Verhältniß, welches die zweite Abstimmung in den Zahlen 34:19 und 43:29
wiedergab. Der Septembervertrag wird also ohne allen Zweifel in der vorher¬
bestimmten Frist zur Ausführung komme".

In Hinsicht auf unsre gegenwärtigen Parteien gewährte die Verhandlung
und Abstimnulng ein ergötzliches Bild. Sie waren vollständig gesprengt, und es
wäre ein' eitles Unternehmen, in jener Mehrheit und Minderheit eine wirkliche
neue Mischung ihrer Bestandtheile zu suchen. Denn es war einmal ein Fall,
in dem jeder Abgeordnete nach eigener Erwägung "der nach den Wünschen sei¬
nes Wahlkörpers stimmte, ohne die mindeste Rücksicht auf seiue Nachbarn und
Gesinnungsgenossen. Sogar das vierblätterige Kleeblatt der äußersten Linken in
der zweiten Kammer, das sonst so eigensinnig zusammenhält, als wäre es in der
That auf einem Stengel gewachsen, sah sich diesmal mit Schmerzen getrennt.
Nur das Ministerium war ohne Ausnahme auf Seiten des Vertrags; die Uebri-
gen ließen sich allein nach Köpfen zählen. Wenn der Erfolg der Abstimmung
dennoch Niemanden überraschte, so war es diesmal wol deshalb, weil ein unver¬
kennbares Uebergewicht in den Gründen lag, welche für den Anschluß stritten.


freudige Zustimmung hervor. Die Herzogtümer Bremen und Verden mit dem
größten Theil des Fürstenthums Lüneburg, die Nestdenz mit ihren nächsten Um¬
gebungen und den meisten Städten wandten Alles auf, um sich von den ver¬
meintlichen Gefahren des Anschlusses zu .befreien. Mit der lebhaftesten Freude
begrüßten ihn dagegen die Ostfriesen, deren Anhänglichkeit an den Staat Fried¬
rich's des Großen noch nicht erloschen ist; die Provinzen Osnabrück und Hildes¬
heim traten ihnen mit mäßigerer Hinneigung bei. In Göttingen sah man, wel¬
chen Einfluß wohlgeleitete theoretische Studien auch in rein materiellen Fragen
zu üben vermögen, indem die dortige Bürgerschaft ihre anfängliche Abneigung
erst dann überwand, als der öffentliche Lehrer der Volkswirthschaft ihnen die
überwiegenden Vortheile des Vertrags für beide contrahirenden Theile deutlich
machte. Derselbe Professor Haufen ließ in der Weserzeitnng eine lange Reihe
von Artikeln erscheinen, in denen er mit der überlegensten Sachkenntniß alle
Gründe der Gegner vernichtete.

Dieselbe unangreifbare Sicherheit entwickelten die Sprecher des Vertrags
in den Kammern. In der ersten war es der Generaldirector Klenze, in der
zweiten der Schatzrath Lang, die den moralischen Sieg ihrer Sache herbeiführ¬
ten. Ihrer Beredsamkeit wird es zuzuschreiben sein, daß die Abstimmung ein
völlig befriedigendes Ergebniß lieferte. Denn es gab der Schwankenden viele,
bei denen die politischen Gründe mit den volkswirtschaftlichen, oder der mate¬
rielle Vortheil ihrer Wähler mit ihrer eigenen Ueberzeugung kämpfte. Ihnen
mußten die Ziffern und Rechnungen der Leute vom Fach über alle geringeren
Bedenklichkeiten hinweghelfen. So ergab die erste Abstimmung eine Mehrheit
für deu Vertrag von 37:17 in erster, und von 43:29 in zweiter Kammer; ein '
Verhältniß, welches die zweite Abstimmung in den Zahlen 34:19 und 43:29
wiedergab. Der Septembervertrag wird also ohne allen Zweifel in der vorher¬
bestimmten Frist zur Ausführung komme».

In Hinsicht auf unsre gegenwärtigen Parteien gewährte die Verhandlung
und Abstimnulng ein ergötzliches Bild. Sie waren vollständig gesprengt, und es
wäre ein' eitles Unternehmen, in jener Mehrheit und Minderheit eine wirkliche
neue Mischung ihrer Bestandtheile zu suchen. Denn es war einmal ein Fall,
in dem jeder Abgeordnete nach eigener Erwägung »der nach den Wünschen sei¬
nes Wahlkörpers stimmte, ohne die mindeste Rücksicht auf seiue Nachbarn und
Gesinnungsgenossen. Sogar das vierblätterige Kleeblatt der äußersten Linken in
der zweiten Kammer, das sonst so eigensinnig zusammenhält, als wäre es in der
That auf einem Stengel gewachsen, sah sich diesmal mit Schmerzen getrennt.
Nur das Ministerium war ohne Ausnahme auf Seiten des Vertrags; die Uebri-
gen ließen sich allein nach Köpfen zählen. Wenn der Erfolg der Abstimmung
dennoch Niemanden überraschte, so war es diesmal wol deshalb, weil ein unver¬
kennbares Uebergewicht in den Gründen lag, welche für den Anschluß stritten.


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[0284] freudige Zustimmung hervor. Die Herzogtümer Bremen und Verden mit dem größten Theil des Fürstenthums Lüneburg, die Nestdenz mit ihren nächsten Um¬ gebungen und den meisten Städten wandten Alles auf, um sich von den ver¬ meintlichen Gefahren des Anschlusses zu .befreien. Mit der lebhaftesten Freude begrüßten ihn dagegen die Ostfriesen, deren Anhänglichkeit an den Staat Fried¬ rich's des Großen noch nicht erloschen ist; die Provinzen Osnabrück und Hildes¬ heim traten ihnen mit mäßigerer Hinneigung bei. In Göttingen sah man, wel¬ chen Einfluß wohlgeleitete theoretische Studien auch in rein materiellen Fragen zu üben vermögen, indem die dortige Bürgerschaft ihre anfängliche Abneigung erst dann überwand, als der öffentliche Lehrer der Volkswirthschaft ihnen die überwiegenden Vortheile des Vertrags für beide contrahirenden Theile deutlich machte. Derselbe Professor Haufen ließ in der Weserzeitnng eine lange Reihe von Artikeln erscheinen, in denen er mit der überlegensten Sachkenntniß alle Gründe der Gegner vernichtete. Dieselbe unangreifbare Sicherheit entwickelten die Sprecher des Vertrags in den Kammern. In der ersten war es der Generaldirector Klenze, in der zweiten der Schatzrath Lang, die den moralischen Sieg ihrer Sache herbeiführ¬ ten. Ihrer Beredsamkeit wird es zuzuschreiben sein, daß die Abstimmung ein völlig befriedigendes Ergebniß lieferte. Denn es gab der Schwankenden viele, bei denen die politischen Gründe mit den volkswirtschaftlichen, oder der mate¬ rielle Vortheil ihrer Wähler mit ihrer eigenen Ueberzeugung kämpfte. Ihnen mußten die Ziffern und Rechnungen der Leute vom Fach über alle geringeren Bedenklichkeiten hinweghelfen. So ergab die erste Abstimmung eine Mehrheit für deu Vertrag von 37:17 in erster, und von 43:29 in zweiter Kammer; ein ' Verhältniß, welches die zweite Abstimmung in den Zahlen 34:19 und 43:29 wiedergab. Der Septembervertrag wird also ohne allen Zweifel in der vorher¬ bestimmten Frist zur Ausführung komme». In Hinsicht auf unsre gegenwärtigen Parteien gewährte die Verhandlung und Abstimnulng ein ergötzliches Bild. Sie waren vollständig gesprengt, und es wäre ein' eitles Unternehmen, in jener Mehrheit und Minderheit eine wirkliche neue Mischung ihrer Bestandtheile zu suchen. Denn es war einmal ein Fall, in dem jeder Abgeordnete nach eigener Erwägung »der nach den Wünschen sei¬ nes Wahlkörpers stimmte, ohne die mindeste Rücksicht auf seiue Nachbarn und Gesinnungsgenossen. Sogar das vierblätterige Kleeblatt der äußersten Linken in der zweiten Kammer, das sonst so eigensinnig zusammenhält, als wäre es in der That auf einem Stengel gewachsen, sah sich diesmal mit Schmerzen getrennt. Nur das Ministerium war ohne Ausnahme auf Seiten des Vertrags; die Uebri- gen ließen sich allein nach Köpfen zählen. Wenn der Erfolg der Abstimmung dennoch Niemanden überraschte, so war es diesmal wol deshalb, weil ein unver¬ kennbares Uebergewicht in den Gründen lag, welche für den Anschluß stritten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/284>, abgerufen am 22.07.2024.