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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Was die einzelnen Gesetze betrifft, so war die neue Organisation der Pro-
vinzialvertretung durch die Abneigung der Minister offenbar am meisten gefährdet.
Kein Vorhaben ihrer Vorgänger hatte sie, da sie uoch als mächtige Parteihäupter
an der Spitze der rennenden Ritterschaften standen, zu so eifrigen und beharr¬
lichen Angriffen veranlaßt als dieses; keines mußten sie eiliger zu vereiteln suchen,
nachdem sie die Macht in Händen hatten. War es doch dieser vermeintliche
Eingriff in ihre altverbrieften Rechte eigentlich gewesen, der sie zuerst in die rück¬
sichtsloseste Opposition gegen Krone und Regierung gerissen, und dann nach dem
Siege zur eigenhändigen Uebernahme des Ministeriums vermocht hatte! Es war
allerdings nicht viel weniger als eine Lebensfrage für sie, da die Umgestaltung
der Landschaften ihnen den letzten Nest ihres alten ständischen Einflusses und
Uebergewichtes entzogen haben würde, und daher mag man ihnen die hartnäckige
Vertheidigung einer allmählich unhaltbar gewordenen Stellung nicht allzu übel
deuten. Aber was die Ritter zu leiden bedroht wurden, das widerfuhr ihnen als
Einzelnen, die es sich immer gefallen lassen müssen, wenn große Verbesserungen im
Zustand der Gesammtheit zu ihrem augenblicklichen Nachtheil ausschlagen. Mögen
sie es ihrerseits auch angenehm und zeitgemäß erachten, wenn ihr Fuß gleich dem
ihrer Väter noch ferner auf den Nacken der Bürger und Bauern ruhen dürfte:
Bauern und Bürger sind indessen zu der Einsicht gekommen, daß die hochgeborene
Last keineswegs ihr Glück vermehrt, und haben sich ein für allemal sie abzu¬
schütteln entschlossen. Deshalb werden unsre Kammern sich niemals dazu hergeben
können, einen Vergleich mit irgend welcher Nachgiebigkeit gegen die junkerlichen
Ansprüche einzugehen; und wenn es in Folge dessen aller Wahrscheinlichkeit nach
vorläufig beim Alten bleibt, so werden die Ritter dennoch wohlthun, diesen
scheinbaren Erfolg nicht für einen endlichen und dauerhaften Sieg zu halten.

Umgekehrt geht es mit dew Reformen des Gerichtswesens, die sich im Wesent¬
lichen auf Einführung des öffentlichen und mündlichen Verfahrens beschränken. Man
würde sie den vielfordernden Ständen gern als Abschlagszahlung hinwerfen, wenn
ihnen damit für eine Zeit lang der Mund gestopft wäre. Aber Stüve wenig¬
stens, der Vater aller Organisationen, besteht darauf, daß sie sämmtlich ungetrennt
ins Leben treten. In den Gesetzen über die Verwaltung aber ist Manches, was
unter diesen Ministern niemals ausgeführt werden wird. Hier ist es besonders,
wo die zweite Seite des neuen Ministeriums, die büreaukratische, stark hervortritt.
Fast alle unsre höheren und älteren Beamten, die angesehenste Und einflußreichste
Klasse der Staatsdienerschast, sind nicht nnr grundsätzlich, sondern auch aus tief
gewurzelter persönlicher Abneigung gegen die völlige Trennung der Justiz vou
der Verwaltung, welche das neue Gesetz im Einzelnen vornimmt. Und doch ist
dieser Schritt von unsren Nachbarn längst gemacht, und allgemein als eine der
unumgänglichsten Forderungen des Zeitgeistes anerkannt! Aber der Widerstand
ans dieser Seite ist so stark, wie das Verlangen aus jeuer, und wird mindestens


Was die einzelnen Gesetze betrifft, so war die neue Organisation der Pro-
vinzialvertretung durch die Abneigung der Minister offenbar am meisten gefährdet.
Kein Vorhaben ihrer Vorgänger hatte sie, da sie uoch als mächtige Parteihäupter
an der Spitze der rennenden Ritterschaften standen, zu so eifrigen und beharr¬
lichen Angriffen veranlaßt als dieses; keines mußten sie eiliger zu vereiteln suchen,
nachdem sie die Macht in Händen hatten. War es doch dieser vermeintliche
Eingriff in ihre altverbrieften Rechte eigentlich gewesen, der sie zuerst in die rück¬
sichtsloseste Opposition gegen Krone und Regierung gerissen, und dann nach dem
Siege zur eigenhändigen Uebernahme des Ministeriums vermocht hatte! Es war
allerdings nicht viel weniger als eine Lebensfrage für sie, da die Umgestaltung
der Landschaften ihnen den letzten Nest ihres alten ständischen Einflusses und
Uebergewichtes entzogen haben würde, und daher mag man ihnen die hartnäckige
Vertheidigung einer allmählich unhaltbar gewordenen Stellung nicht allzu übel
deuten. Aber was die Ritter zu leiden bedroht wurden, das widerfuhr ihnen als
Einzelnen, die es sich immer gefallen lassen müssen, wenn große Verbesserungen im
Zustand der Gesammtheit zu ihrem augenblicklichen Nachtheil ausschlagen. Mögen
sie es ihrerseits auch angenehm und zeitgemäß erachten, wenn ihr Fuß gleich dem
ihrer Väter noch ferner auf den Nacken der Bürger und Bauern ruhen dürfte:
Bauern und Bürger sind indessen zu der Einsicht gekommen, daß die hochgeborene
Last keineswegs ihr Glück vermehrt, und haben sich ein für allemal sie abzu¬
schütteln entschlossen. Deshalb werden unsre Kammern sich niemals dazu hergeben
können, einen Vergleich mit irgend welcher Nachgiebigkeit gegen die junkerlichen
Ansprüche einzugehen; und wenn es in Folge dessen aller Wahrscheinlichkeit nach
vorläufig beim Alten bleibt, so werden die Ritter dennoch wohlthun, diesen
scheinbaren Erfolg nicht für einen endlichen und dauerhaften Sieg zu halten.

Umgekehrt geht es mit dew Reformen des Gerichtswesens, die sich im Wesent¬
lichen auf Einführung des öffentlichen und mündlichen Verfahrens beschränken. Man
würde sie den vielfordernden Ständen gern als Abschlagszahlung hinwerfen, wenn
ihnen damit für eine Zeit lang der Mund gestopft wäre. Aber Stüve wenig¬
stens, der Vater aller Organisationen, besteht darauf, daß sie sämmtlich ungetrennt
ins Leben treten. In den Gesetzen über die Verwaltung aber ist Manches, was
unter diesen Ministern niemals ausgeführt werden wird. Hier ist es besonders,
wo die zweite Seite des neuen Ministeriums, die büreaukratische, stark hervortritt.
Fast alle unsre höheren und älteren Beamten, die angesehenste Und einflußreichste
Klasse der Staatsdienerschast, sind nicht nnr grundsätzlich, sondern auch aus tief
gewurzelter persönlicher Abneigung gegen die völlige Trennung der Justiz vou
der Verwaltung, welche das neue Gesetz im Einzelnen vornimmt. Und doch ist
dieser Schritt von unsren Nachbarn längst gemacht, und allgemein als eine der
unumgänglichsten Forderungen des Zeitgeistes anerkannt! Aber der Widerstand
ans dieser Seite ist so stark, wie das Verlangen aus jeuer, und wird mindestens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/282>, abgerufen am 22.07.2024.