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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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rend um den Kops zartere Zeichnung ursprünglicher anspricht. Wenn diese
Blätter auf die Höhe der italienischen Kunst versetzten, so verdienten die von
Rubens, gleichfalls aus der Sammlung der Erzgroßherzogs, kein minderes
Interesse. Vou zwei Brustbildern muß das eine, ehemals Lord Arundel genannt,
das, wie es scheint, für den Kupferstich sorgfältig und sehr klar gezeichnet ist,
doch vielleicht an treffendem Geist und Leben dem andern, einem mit Bleistift nur
skizzirten Bildniß des Malers Franck, den Preis lassen. Ein drittes Portrait, in
Sepia, hat schon mehrmals den Namen gewechselt. Es stellt in einer Umlau-
bnng von Palmen und Lorbeeren einen fürstlichen Feldherrn dar, der, geharnischt,
den Commandostab in der Rechten, aber das lockenreiche Haupt unbedeckt, auf
einem Schimmel uns eutgegenreitet, dessen Kopf und Bug ungemein kräftig und
lichtvoll heraustritt. Höchst genußreich siud ferner zwei historische Compositionen
des großen Brabanters, das Gastmahl des Herodes, und die Rache der
Tomyris, wovon sich die Gemälde, vom erstern aus Schloß Christiansburg,
vom letztern im Louvre befinden. Die Kreidezeichnung des Gastmahls, auf bläu¬
lichem Papier, läßt an einigen Stellen, bei der Figur des Herodes, den Händen
der Salome, die mit dem Haupte des Täufers auf der Schüssel zu ihm heran¬
tritt, u. A. ein Auffrischen und ungenaues Herstellen vermuthen. Aber die Wir¬
kung 'des Ganzen ist meisterhaft, und der Charakter der Köpfe steht hoch über
der Nachbildung im Stiche des Bolswert. Der Ausdruck verderbter Jugend in
der Erscheinung der Salome, des übermüthigen Lächelns einer schönen, aber
intriguant kühnen, frech selbstgewisser Frau in der Herodias, dann an der Hof¬
dame hinter ihr das zerarbeitete, in gemeinen Leidenschaften erkaltete Gesicht,
prägen sich eben so lebhaft ins Gefül)l, als der schauerliche Contrast des ganzen
Moments, dieser Contrast des Pruuks der Tafel, hier des Pagen- und Affen¬
scherzes, da der hoch hereinschwebenden Prachtschüssel, dort der lärmenden Musik,
mit der Abstufung von trägem Aufmerken, verhaltener Unruhe, Ausstörung, Ent¬
setzen, die, so dicht verbunden, so gewaltig bewegt durch die Lebemänner-Gestalten
der Gäste hingeht. -- Dieselbe Charaktermacht hat die andere Zeichnung, die,
trefflich erhalten, durch wenige mäßig angewandte Töne zu einer unbeschreiblichen
malerischen Tiefe und Harmonie gebracht ist, so daß man bei einigem Verweilen
keine Zeichnung mehr, sondern ein herrlich gestimmtes Gemälde schaut. Das
Helldunkel der Frauengruppe hinter der Königin Tomyris, die zarte, lichte
Modellirung des Fleisches an dem Jüngling, der beschäftigt ist, auf der Königin
Befehl das Haupt des Cyrus in ein Gefäß voll Blut zu tauchen, die energische
Zeichnung dieses Eroberer-Hauptes, das plastische Gewicht und höchste individuelle
Leben der schweigend, stolz und mit naiver Spannung zuschauenden Massageten,
die ganze unwiderstehliche Realität und schöpferisch leichte Klarheit der Dar¬
stellung ist mit nichts Anderem auszudrücken, als mit dem vollen Begriff des
Genius, den der Name Rubens bezeichnet. -- Ein jedes solche Blatt ist, weil uner-


rend um den Kops zartere Zeichnung ursprünglicher anspricht. Wenn diese
Blätter auf die Höhe der italienischen Kunst versetzten, so verdienten die von
Rubens, gleichfalls aus der Sammlung der Erzgroßherzogs, kein minderes
Interesse. Vou zwei Brustbildern muß das eine, ehemals Lord Arundel genannt,
das, wie es scheint, für den Kupferstich sorgfältig und sehr klar gezeichnet ist,
doch vielleicht an treffendem Geist und Leben dem andern, einem mit Bleistift nur
skizzirten Bildniß des Malers Franck, den Preis lassen. Ein drittes Portrait, in
Sepia, hat schon mehrmals den Namen gewechselt. Es stellt in einer Umlau-
bnng von Palmen und Lorbeeren einen fürstlichen Feldherrn dar, der, geharnischt,
den Commandostab in der Rechten, aber das lockenreiche Haupt unbedeckt, auf
einem Schimmel uns eutgegenreitet, dessen Kopf und Bug ungemein kräftig und
lichtvoll heraustritt. Höchst genußreich siud ferner zwei historische Compositionen
des großen Brabanters, das Gastmahl des Herodes, und die Rache der
Tomyris, wovon sich die Gemälde, vom erstern aus Schloß Christiansburg,
vom letztern im Louvre befinden. Die Kreidezeichnung des Gastmahls, auf bläu¬
lichem Papier, läßt an einigen Stellen, bei der Figur des Herodes, den Händen
der Salome, die mit dem Haupte des Täufers auf der Schüssel zu ihm heran¬
tritt, u. A. ein Auffrischen und ungenaues Herstellen vermuthen. Aber die Wir¬
kung 'des Ganzen ist meisterhaft, und der Charakter der Köpfe steht hoch über
der Nachbildung im Stiche des Bolswert. Der Ausdruck verderbter Jugend in
der Erscheinung der Salome, des übermüthigen Lächelns einer schönen, aber
intriguant kühnen, frech selbstgewisser Frau in der Herodias, dann an der Hof¬
dame hinter ihr das zerarbeitete, in gemeinen Leidenschaften erkaltete Gesicht,
prägen sich eben so lebhaft ins Gefül)l, als der schauerliche Contrast des ganzen
Moments, dieser Contrast des Pruuks der Tafel, hier des Pagen- und Affen¬
scherzes, da der hoch hereinschwebenden Prachtschüssel, dort der lärmenden Musik,
mit der Abstufung von trägem Aufmerken, verhaltener Unruhe, Ausstörung, Ent¬
setzen, die, so dicht verbunden, so gewaltig bewegt durch die Lebemänner-Gestalten
der Gäste hingeht. — Dieselbe Charaktermacht hat die andere Zeichnung, die,
trefflich erhalten, durch wenige mäßig angewandte Töne zu einer unbeschreiblichen
malerischen Tiefe und Harmonie gebracht ist, so daß man bei einigem Verweilen
keine Zeichnung mehr, sondern ein herrlich gestimmtes Gemälde schaut. Das
Helldunkel der Frauengruppe hinter der Königin Tomyris, die zarte, lichte
Modellirung des Fleisches an dem Jüngling, der beschäftigt ist, auf der Königin
Befehl das Haupt des Cyrus in ein Gefäß voll Blut zu tauchen, die energische
Zeichnung dieses Eroberer-Hauptes, das plastische Gewicht und höchste individuelle
Leben der schweigend, stolz und mit naiver Spannung zuschauenden Massageten,
die ganze unwiderstehliche Realität und schöpferisch leichte Klarheit der Dar¬
stellung ist mit nichts Anderem auszudrücken, als mit dem vollen Begriff des
Genius, den der Name Rubens bezeichnet. — Ein jedes solche Blatt ist, weil uner-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/271>, abgerufen am 22.07.2024.