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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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er seine Vergangenheit vergessen; er nimmt doch immer Rücksicht ans dieselbe und
kann nicht wagen, dort rückhaltlos vorzudringen, wo die von ihm bekämpfte Ge¬
genwart sich auf sein eigenes Beispiel berufen könnte. Früher hat er es wol
versucht, das Ministerium, die Lerchenfeld'sche, die Lasaulx'sche Partei an ihre
Worte und Handlungen aus den Jahren zu erinnern, wo sie -- einerlei aus
welchen Gründen -- das liberale und nationale Princip das ihrige nannten.
Allein seitdem die Gegner ihre Rüstkammer ans der eigenen Waffensammlung des
Ministers Wallerstein completirteu, ist er auch in dieser Hinsicht vorsichtiger, in Be¬
ziehung auf seiue heutigen Principien ohnmächtiger geworden. Dadurch geht
der legaldemokratischeu Fraction vorzugsweise ein Reichthum verlöre", welchen ihr
der Fürst als Mitgift zubrachte: die genaue Kenntniß der diplomatischen Geschichte
Bayerns, die intime Vertrautheit mit den Mitteln und Wegen eiues unter con-
stitutionellen Formen >eaetionölustigeu Gouvernements. Er kauu nur uoch sagen:
ich kenne Eure Wege; aber er muß sich hinter den Diensteid der Verschwiegen¬
heit flüchten, so wie die heutige Zeit an die seinige anknüpft. Darüber hat er
freilich oft geklagt. Allein die Welt ist ohne Mitleiden, sie vertraut nur vollster,
rücksichtsloser Hingebung. Darum kann der Fürst, ob er auch an die Spitze
der liberalen Fraction gestellt sei, nie und nimmer der Feldherr großer, entschei¬
dender Schlachten, sondern nur der geschickte Führer eiues Plänklergesechtes sein.
Und darin liegt das Fatum der gesammten parlamentarische" Linken im bayeri¬
schen Ständehaus -- sie ist für dio große" principiellen Entscheidungen ohne
gemeinsames Haupt, ohne Organisation. Ja, was noch mehr ist, ihre Kapaci¬
täten für Specialfächer stehen isolirt oder sind parlamentarisch unmächtig.

So ergeht es Herrn Fr. Kolb, welcher in sinanzwirthschaftlichen Fragen von
Bedeutung sein konnte, wenn er von einem stärkern Nachdrucke, als dem Re-
benack'scheu -- und auch vou diesem nur in bestimmten Richtungen --) unterstützt
würde. So könnte Hrn. Morgenstern's advocatorische Behandlung der Regierungs¬
vorlagen mitunter keineswegs eindruckslos verhallen, wenn er es vermöchte, die¬
selben ans der grauenhafte.n Breite seiner Erörterungen mundrecht auszuschälen.
So würde Hrn. Boye'S scharfe Kritik der Gesetze wol viele Unbestimmtheiten in
ihrer Gefährlichkeit bloßlegen können, wenn sie den wüstendürreu Boden juristischer
Phraseologie und Patagraphencitation zu beleben verstände. Aber wenn auch
hilfreiche Hände der Partei sich des trockenen Materials bemächtigen -- sie
fassen nichts heraus, als beiläufige, allgemeine Schlagworte, mit deren Schwall
sie den eigentlichen Kern verwässern, ohne ihn zu klare". Gerade auf diese
Schwäche stürben natürlich die Gegner. Sie erwähnen des Kernes nicht, um
welchen die Schlagworte spielen, um diese in ihrer Zusammenhanglosigkeit dem
Gelächter oder der Geringschätzung Preis geben zu können. Solcher Taktik ge¬
genüber befindet sich die Opposition allerdings in der übelsten Stellung. Mei¬
stens hat sie ihre Redner und Reden bereits im Vordertreffen, im Tirailleur-


Grcnzbotm. I. I8ö2. 3.

er seine Vergangenheit vergessen; er nimmt doch immer Rücksicht ans dieselbe und
kann nicht wagen, dort rückhaltlos vorzudringen, wo die von ihm bekämpfte Ge¬
genwart sich auf sein eigenes Beispiel berufen könnte. Früher hat er es wol
versucht, das Ministerium, die Lerchenfeld'sche, die Lasaulx'sche Partei an ihre
Worte und Handlungen aus den Jahren zu erinnern, wo sie — einerlei aus
welchen Gründen — das liberale und nationale Princip das ihrige nannten.
Allein seitdem die Gegner ihre Rüstkammer ans der eigenen Waffensammlung des
Ministers Wallerstein completirteu, ist er auch in dieser Hinsicht vorsichtiger, in Be¬
ziehung auf seiue heutigen Principien ohnmächtiger geworden. Dadurch geht
der legaldemokratischeu Fraction vorzugsweise ein Reichthum verlöre», welchen ihr
der Fürst als Mitgift zubrachte: die genaue Kenntniß der diplomatischen Geschichte
Bayerns, die intime Vertrautheit mit den Mitteln und Wegen eiues unter con-
stitutionellen Formen >eaetionölustigeu Gouvernements. Er kauu nur uoch sagen:
ich kenne Eure Wege; aber er muß sich hinter den Diensteid der Verschwiegen¬
heit flüchten, so wie die heutige Zeit an die seinige anknüpft. Darüber hat er
freilich oft geklagt. Allein die Welt ist ohne Mitleiden, sie vertraut nur vollster,
rücksichtsloser Hingebung. Darum kann der Fürst, ob er auch an die Spitze
der liberalen Fraction gestellt sei, nie und nimmer der Feldherr großer, entschei¬
dender Schlachten, sondern nur der geschickte Führer eiues Plänklergesechtes sein.
Und darin liegt das Fatum der gesammten parlamentarische» Linken im bayeri¬
schen Ständehaus — sie ist für dio große» principiellen Entscheidungen ohne
gemeinsames Haupt, ohne Organisation. Ja, was noch mehr ist, ihre Kapaci¬
täten für Specialfächer stehen isolirt oder sind parlamentarisch unmächtig.

So ergeht es Herrn Fr. Kolb, welcher in sinanzwirthschaftlichen Fragen von
Bedeutung sein konnte, wenn er von einem stärkern Nachdrucke, als dem Re-
benack'scheu — und auch vou diesem nur in bestimmten Richtungen —) unterstützt
würde. So könnte Hrn. Morgenstern's advocatorische Behandlung der Regierungs¬
vorlagen mitunter keineswegs eindruckslos verhallen, wenn er es vermöchte, die¬
selben ans der grauenhafte.n Breite seiner Erörterungen mundrecht auszuschälen.
So würde Hrn. Boye'S scharfe Kritik der Gesetze wol viele Unbestimmtheiten in
ihrer Gefährlichkeit bloßlegen können, wenn sie den wüstendürreu Boden juristischer
Phraseologie und Patagraphencitation zu beleben verstände. Aber wenn auch
hilfreiche Hände der Partei sich des trockenen Materials bemächtigen — sie
fassen nichts heraus, als beiläufige, allgemeine Schlagworte, mit deren Schwall
sie den eigentlichen Kern verwässern, ohne ihn zu klare«. Gerade auf diese
Schwäche stürben natürlich die Gegner. Sie erwähnen des Kernes nicht, um
welchen die Schlagworte spielen, um diese in ihrer Zusammenhanglosigkeit dem
Gelächter oder der Geringschätzung Preis geben zu können. Solcher Taktik ge¬
genüber befindet sich die Opposition allerdings in der übelsten Stellung. Mei¬
stens hat sie ihre Redner und Reden bereits im Vordertreffen, im Tirailleur-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/27>, abgerufen am 22.07.2024.