Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

strenger gehütet. Selbst Ehen zwischen Zigeunerinnen und BusNL sind ein fast
unerhörtes Vorkommniß.

Im Allgemeinen sind die Zigeuner sehr arm, und ein Paar Cachas und
einige kleinere Scheeren bilden oft ihr ganzes Vermögen; manchmal machen sie
einen guten Handel, aber das Geld hält nicht lange vor, und wird meistens in
Saus und Braus vergeudet. Wer im Besitz von ein Paar Eseln ist, gilt für
einen wohlhabenden Gitano; doch giebt es auch wirklich reiche, die einen aus¬
gebreiteten Handel mit Pferden und Maulthieren treiben. Diese besuchen die
entlegensten Jahrmärkte, und durchreisen dabei oft ganz Spanien. Bei Gelegen¬
heit des berühmten Viehmarkts in Leon isah Borrvw eine Zigennerfamilie, die
aus einem Manne von etwa fünfzig Jahren, einer Frau von demselben Alter,
und einem schönen Jüngling, ihrem Sohn, bestand. Sie waren reich nach Zi¬
geunerart gekleidet: die beiden Männer trugen Zamarras mit Hefteln und Knöpfen
von schwerem Silber, und die Frau trug einen Nettrock mit vieler Goldstickerei
und große goldene Ohrringe. Sie waren aus Murcia, das mehr als 100 Leguas
entferut liegt. Ein Kaufmann sagte Borrow, daß sie anf sein Haus mit 20,000
Piaster accreditirt seien. Wenn derartige reiche Zigeuner sich ihrer Abkunft nicht
schämen, oder die Stolzen spielen, so besitzen sie großen Einfluß auf ihre Stam¬
mesgenossen: ihr Wille gilt als Gesetz, und die anderen Zigeuner gehorchen ihnen
unbedingt. Ziehen sie dagegen die Gesellschaft der Buhuo ihrem eigenen Blute
vor, oder weigern sie sich, ihren weniger glücklichen Brüdern in Noch oder
Gefangenschaft beizustehen, so werden sie mit Verachtung und Abschen angesehen
-- wie es in Badajoz Einem ging, von welchem Borrow seine Bekannten
erzählten -- und oft auf das Bielersee verfolgt.

So gerechtfertigt im Ganzen die Klagen der Zigeuner sind, daß die alte
Einigkeit nicht mehr unter ihnen herrsche, so ist bei ihnen doch immer noch in
einem hohem Grade das Gefühl der Gemeinsamkeit zu finden, welches aus dem
Bewußtsein, eines Stammes zu sein, herrührt. Als sie noch in Banden in der
Einöde herumschweisten und fast nnr von Raub und Plünderung lebten, herrschte
eine Art Communismus unter ihnen. Jetzt hat sich das Einzelinteresse mehr
ausgeprägt, und die enge Verbindung, welche so lange bestand, als sie mit einander
herumwanderten, und Verfolgung, Gefahr, Gewinn und Verlust mit einander theil¬
ten, ist natürlich aufgelöst^ Aber wenn auch der Gitano seinen Nutzen dem seines
Bruders vorzieht und ihn um seinen Gewinn beneidet, wenn er selbst keinen
Theil daran haben kann, so wird er doch stets bereit sein, mit ihm gegen den
Buhuo zusammenzuhalten, weil Letzterer kein Gitano ist, sondern von anderem
Blute, und ans keinem andern Grunde. Wenn ein Gitano seine Pläne einem
andern anvertraut, so braucht er nicht zu fürchten, daß sie an den Buhuo ver¬
rathen werden, und wenn ein Plan auszuführen ist, suchen sie nicht die Mitwir¬
kung der Buhuo, sondern des eigenen Blutes, und theilen den Gewinn wie Brüder.


strenger gehütet. Selbst Ehen zwischen Zigeunerinnen und BusNL sind ein fast
unerhörtes Vorkommniß.

Im Allgemeinen sind die Zigeuner sehr arm, und ein Paar Cachas und
einige kleinere Scheeren bilden oft ihr ganzes Vermögen; manchmal machen sie
einen guten Handel, aber das Geld hält nicht lange vor, und wird meistens in
Saus und Braus vergeudet. Wer im Besitz von ein Paar Eseln ist, gilt für
einen wohlhabenden Gitano; doch giebt es auch wirklich reiche, die einen aus¬
gebreiteten Handel mit Pferden und Maulthieren treiben. Diese besuchen die
entlegensten Jahrmärkte, und durchreisen dabei oft ganz Spanien. Bei Gelegen¬
heit des berühmten Viehmarkts in Leon isah Borrvw eine Zigennerfamilie, die
aus einem Manne von etwa fünfzig Jahren, einer Frau von demselben Alter,
und einem schönen Jüngling, ihrem Sohn, bestand. Sie waren reich nach Zi¬
geunerart gekleidet: die beiden Männer trugen Zamarras mit Hefteln und Knöpfen
von schwerem Silber, und die Frau trug einen Nettrock mit vieler Goldstickerei
und große goldene Ohrringe. Sie waren aus Murcia, das mehr als 100 Leguas
entferut liegt. Ein Kaufmann sagte Borrow, daß sie anf sein Haus mit 20,000
Piaster accreditirt seien. Wenn derartige reiche Zigeuner sich ihrer Abkunft nicht
schämen, oder die Stolzen spielen, so besitzen sie großen Einfluß auf ihre Stam¬
mesgenossen: ihr Wille gilt als Gesetz, und die anderen Zigeuner gehorchen ihnen
unbedingt. Ziehen sie dagegen die Gesellschaft der Buhuo ihrem eigenen Blute
vor, oder weigern sie sich, ihren weniger glücklichen Brüdern in Noch oder
Gefangenschaft beizustehen, so werden sie mit Verachtung und Abschen angesehen
— wie es in Badajoz Einem ging, von welchem Borrow seine Bekannten
erzählten — und oft auf das Bielersee verfolgt.

So gerechtfertigt im Ganzen die Klagen der Zigeuner sind, daß die alte
Einigkeit nicht mehr unter ihnen herrsche, so ist bei ihnen doch immer noch in
einem hohem Grade das Gefühl der Gemeinsamkeit zu finden, welches aus dem
Bewußtsein, eines Stammes zu sein, herrührt. Als sie noch in Banden in der
Einöde herumschweisten und fast nnr von Raub und Plünderung lebten, herrschte
eine Art Communismus unter ihnen. Jetzt hat sich das Einzelinteresse mehr
ausgeprägt, und die enge Verbindung, welche so lange bestand, als sie mit einander
herumwanderten, und Verfolgung, Gefahr, Gewinn und Verlust mit einander theil¬
ten, ist natürlich aufgelöst^ Aber wenn auch der Gitano seinen Nutzen dem seines
Bruders vorzieht und ihn um seinen Gewinn beneidet, wenn er selbst keinen
Theil daran haben kann, so wird er doch stets bereit sein, mit ihm gegen den
Buhuo zusammenzuhalten, weil Letzterer kein Gitano ist, sondern von anderem
Blute, und ans keinem andern Grunde. Wenn ein Gitano seine Pläne einem
andern anvertraut, so braucht er nicht zu fürchten, daß sie an den Buhuo ver¬
rathen werden, und wenn ein Plan auszuführen ist, suchen sie nicht die Mitwir¬
kung der Buhuo, sondern des eigenen Blutes, und theilen den Gewinn wie Brüder.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0265" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93630"/>
            <p xml:id="ID_717" prev="#ID_716"> strenger gehütet. Selbst Ehen zwischen Zigeunerinnen und BusNL sind ein fast<lb/>
unerhörtes Vorkommniß.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_718"> Im Allgemeinen sind die Zigeuner sehr arm, und ein Paar Cachas und<lb/>
einige kleinere Scheeren bilden oft ihr ganzes Vermögen; manchmal machen sie<lb/>
einen guten Handel, aber das Geld hält nicht lange vor, und wird meistens in<lb/>
Saus und Braus vergeudet. Wer im Besitz von ein Paar Eseln ist, gilt für<lb/>
einen wohlhabenden Gitano; doch giebt es auch wirklich reiche, die einen aus¬<lb/>
gebreiteten Handel mit Pferden und Maulthieren treiben. Diese besuchen die<lb/>
entlegensten Jahrmärkte, und durchreisen dabei oft ganz Spanien. Bei Gelegen¬<lb/>
heit des berühmten Viehmarkts in Leon isah Borrvw eine Zigennerfamilie, die<lb/>
aus einem Manne von etwa fünfzig Jahren, einer Frau von demselben Alter,<lb/>
und einem schönen Jüngling, ihrem Sohn, bestand. Sie waren reich nach Zi¬<lb/>
geunerart gekleidet: die beiden Männer trugen Zamarras mit Hefteln und Knöpfen<lb/>
von schwerem Silber, und die Frau trug einen Nettrock mit vieler Goldstickerei<lb/>
und große goldene Ohrringe. Sie waren aus Murcia, das mehr als 100 Leguas<lb/>
entferut liegt. Ein Kaufmann sagte Borrow, daß sie anf sein Haus mit 20,000<lb/>
Piaster accreditirt seien. Wenn derartige reiche Zigeuner sich ihrer Abkunft nicht<lb/>
schämen, oder die Stolzen spielen, so besitzen sie großen Einfluß auf ihre Stam¬<lb/>
mesgenossen: ihr Wille gilt als Gesetz, und die anderen Zigeuner gehorchen ihnen<lb/>
unbedingt. Ziehen sie dagegen die Gesellschaft der Buhuo ihrem eigenen Blute<lb/>
vor, oder weigern sie sich, ihren weniger glücklichen Brüdern in Noch oder<lb/>
Gefangenschaft beizustehen, so werden sie mit Verachtung und Abschen angesehen<lb/>
&#x2014; wie es in Badajoz Einem ging, von welchem Borrow seine Bekannten<lb/>
erzählten &#x2014; und oft auf das Bielersee verfolgt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_719"> So gerechtfertigt im Ganzen die Klagen der Zigeuner sind, daß die alte<lb/>
Einigkeit nicht mehr unter ihnen herrsche, so ist bei ihnen doch immer noch in<lb/>
einem hohem Grade das Gefühl der Gemeinsamkeit zu finden, welches aus dem<lb/>
Bewußtsein, eines Stammes zu sein, herrührt. Als sie noch in Banden in der<lb/>
Einöde herumschweisten und fast nnr von Raub und Plünderung lebten, herrschte<lb/>
eine Art Communismus unter ihnen. Jetzt hat sich das Einzelinteresse mehr<lb/>
ausgeprägt, und die enge Verbindung, welche so lange bestand, als sie mit einander<lb/>
herumwanderten, und Verfolgung, Gefahr, Gewinn und Verlust mit einander theil¬<lb/>
ten, ist natürlich aufgelöst^ Aber wenn auch der Gitano seinen Nutzen dem seines<lb/>
Bruders vorzieht und ihn um seinen Gewinn beneidet, wenn er selbst keinen<lb/>
Theil daran haben kann, so wird er doch stets bereit sein, mit ihm gegen den<lb/>
Buhuo zusammenzuhalten, weil Letzterer kein Gitano ist, sondern von anderem<lb/>
Blute, und ans keinem andern Grunde. Wenn ein Gitano seine Pläne einem<lb/>
andern anvertraut, so braucht er nicht zu fürchten, daß sie an den Buhuo ver¬<lb/>
rathen werden, und wenn ein Plan auszuführen ist, suchen sie nicht die Mitwir¬<lb/>
kung der Buhuo, sondern des eigenen Blutes, und theilen den Gewinn wie Brüder.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0265] strenger gehütet. Selbst Ehen zwischen Zigeunerinnen und BusNL sind ein fast unerhörtes Vorkommniß. Im Allgemeinen sind die Zigeuner sehr arm, und ein Paar Cachas und einige kleinere Scheeren bilden oft ihr ganzes Vermögen; manchmal machen sie einen guten Handel, aber das Geld hält nicht lange vor, und wird meistens in Saus und Braus vergeudet. Wer im Besitz von ein Paar Eseln ist, gilt für einen wohlhabenden Gitano; doch giebt es auch wirklich reiche, die einen aus¬ gebreiteten Handel mit Pferden und Maulthieren treiben. Diese besuchen die entlegensten Jahrmärkte, und durchreisen dabei oft ganz Spanien. Bei Gelegen¬ heit des berühmten Viehmarkts in Leon isah Borrvw eine Zigennerfamilie, die aus einem Manne von etwa fünfzig Jahren, einer Frau von demselben Alter, und einem schönen Jüngling, ihrem Sohn, bestand. Sie waren reich nach Zi¬ geunerart gekleidet: die beiden Männer trugen Zamarras mit Hefteln und Knöpfen von schwerem Silber, und die Frau trug einen Nettrock mit vieler Goldstickerei und große goldene Ohrringe. Sie waren aus Murcia, das mehr als 100 Leguas entferut liegt. Ein Kaufmann sagte Borrow, daß sie anf sein Haus mit 20,000 Piaster accreditirt seien. Wenn derartige reiche Zigeuner sich ihrer Abkunft nicht schämen, oder die Stolzen spielen, so besitzen sie großen Einfluß auf ihre Stam¬ mesgenossen: ihr Wille gilt als Gesetz, und die anderen Zigeuner gehorchen ihnen unbedingt. Ziehen sie dagegen die Gesellschaft der Buhuo ihrem eigenen Blute vor, oder weigern sie sich, ihren weniger glücklichen Brüdern in Noch oder Gefangenschaft beizustehen, so werden sie mit Verachtung und Abschen angesehen — wie es in Badajoz Einem ging, von welchem Borrow seine Bekannten erzählten — und oft auf das Bielersee verfolgt. So gerechtfertigt im Ganzen die Klagen der Zigeuner sind, daß die alte Einigkeit nicht mehr unter ihnen herrsche, so ist bei ihnen doch immer noch in einem hohem Grade das Gefühl der Gemeinsamkeit zu finden, welches aus dem Bewußtsein, eines Stammes zu sein, herrührt. Als sie noch in Banden in der Einöde herumschweisten und fast nnr von Raub und Plünderung lebten, herrschte eine Art Communismus unter ihnen. Jetzt hat sich das Einzelinteresse mehr ausgeprägt, und die enge Verbindung, welche so lange bestand, als sie mit einander herumwanderten, und Verfolgung, Gefahr, Gewinn und Verlust mit einander theil¬ ten, ist natürlich aufgelöst^ Aber wenn auch der Gitano seinen Nutzen dem seines Bruders vorzieht und ihn um seinen Gewinn beneidet, wenn er selbst keinen Theil daran haben kann, so wird er doch stets bereit sein, mit ihm gegen den Buhuo zusammenzuhalten, weil Letzterer kein Gitano ist, sondern von anderem Blute, und ans keinem andern Grunde. Wenn ein Gitano seine Pläne einem andern anvertraut, so braucht er nicht zu fürchten, daß sie an den Buhuo ver¬ rathen werden, und wenn ein Plan auszuführen ist, suchen sie nicht die Mitwir¬ kung der Buhuo, sondern des eigenen Blutes, und theilen den Gewinn wie Brüder.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/265
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/265>, abgerufen am 22.07.2024.