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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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herumstreichen, so geschieht es nicht mehr wie früher in bewaffneten Horden, son¬
dern einzeln oder in Trupps von wenigen Personen/welche nur dem einzelnen
Wanderer gefährlich sind. Eine Ausnahme davon machte die Zeit des letzten
Bürgerkriegs, wo die Gitauos die allgemeine Verwirrung benutzten, um ihr altes
Räuberhandwerk wieder anzufangen. Sie machten mehrere Versuche, größere Ban¬
den zu bilden, doch bestanden sie nie lange, denn mit dem ererbten Stammes-
hasse gegen alle Nichtzigeuner hat sich auch das daraus entspringende Gefühl der
Gemeinsamkeit, das Bedürfniß, unverbrüchlich zu einander zu halten, abgeschwächt.
Neben dem Pferde- und Maulthierhandel und dem Schmiedehandwerk ist jetzt
ihre Hauptbeschäftigung das Scheereu der Maulthiere und Pferde, die arte et"z
esqMar. Es ist nämlich in Spanien Sitte, mit außerordentlicher Sorgfalt ver¬
schiedene Theile des Pferdes zu scheeren und auszuputzen, wo man den Haar¬
wuchs der vollkommenen Gesundheit und Reinlichkeit des Pferdes für nachtheilig
hält, und ganz besondere Aufmerksamkeit wendet man in dieser Hinsicht der Fessel
zu, wo Unredlichkeit leicht einen unangenehmen Ausschlag zur Folge hat. Der
Esquilador führt' als Handwerkszeug gewöhnlich ein kleines Kästchen mit den nö¬
thigen Instrumenten bei sich, nämlich mehreren Scheeren und dem aoial, zwei
kurzen, am Ende mit einer Peitschenschuur zusammengebundenen Stäben, zwischen
welche man, wenn das Pferd unruhig wird, die untere Lefze desselben einklemmt,
wodurch es auf der Stelle still wie ein Lamm wird. Im Gürtel trägt der Esqni-
lador eine große Scheere, auf Spanisch Mrcrs, auf Zigeunerisch Oaedas genannt,
mit der er hauptsächlich arbeitet. Damit werdeu die Rücken, Ohren und Schwänze
der Maulesel und Esel ganz kahl geschoren, daß, wenn die Thiere durch ihr Ge¬
schirr oder ihre Ladung gedrückt werden, die Wunde nicht so leicht eitert und
schneller heilt. Bei den Pferden werden blos Füße und Ohren geschoren. Im
größten Theile von Spanien wird dieses Geschäft fast ausschließlich von Gitauos
besorgt, und die ärmeren erwerben sich dadurch fast allein ihren Lebensunterhalt.
Auch als Viehärzte finden die Gitauos Beschäftigung. Was der Mann nicht
verdient, muß die Frau schaffen, und ihre Fähigkeiten in dieser Hinsicht werden
als Ausstattung bei der Verheirathung berücksichtigt. Wahrsagen ans der Hand
dient ihnen nicht blos als directe Erwerbsquelle; sondern, da sie dadurch mit
vielen jungen Leuten beiderlei Geschlechts in vertraute Berührung kommen, so
benutzen sie diese Gelegenheit, um gutbezahlte Kupplergeschäfte zu treiben; anch
wissen'sie die bei ihren Besuchen von Haus zu Haus erworbene Localkenntniß vor¬
trefflich bei Diebereien zu verwenden. Leichtgläubige und wohlhabende Personen
berücken sie auch wol durch das Vorgeben, ihnen zu einem verborgenen Schatze
verhelfen zu wollen, zu dessen Hebung natürlich stets Geld oder Kostbarkeiten
nöthig sind, mit welchen sie dann verschwinden. Die Zahl der Zigeuner mag
sich jetzt noch auf etwa 40,000 Köpfe belaufen, und sie find mit Ausnahme von
Galicien und den baskischen Provinzen über ganz Spanien verbreitet. ^


herumstreichen, so geschieht es nicht mehr wie früher in bewaffneten Horden, son¬
dern einzeln oder in Trupps von wenigen Personen/welche nur dem einzelnen
Wanderer gefährlich sind. Eine Ausnahme davon machte die Zeit des letzten
Bürgerkriegs, wo die Gitauos die allgemeine Verwirrung benutzten, um ihr altes
Räuberhandwerk wieder anzufangen. Sie machten mehrere Versuche, größere Ban¬
den zu bilden, doch bestanden sie nie lange, denn mit dem ererbten Stammes-
hasse gegen alle Nichtzigeuner hat sich auch das daraus entspringende Gefühl der
Gemeinsamkeit, das Bedürfniß, unverbrüchlich zu einander zu halten, abgeschwächt.
Neben dem Pferde- und Maulthierhandel und dem Schmiedehandwerk ist jetzt
ihre Hauptbeschäftigung das Scheereu der Maulthiere und Pferde, die arte et«z
esqMar. Es ist nämlich in Spanien Sitte, mit außerordentlicher Sorgfalt ver¬
schiedene Theile des Pferdes zu scheeren und auszuputzen, wo man den Haar¬
wuchs der vollkommenen Gesundheit und Reinlichkeit des Pferdes für nachtheilig
hält, und ganz besondere Aufmerksamkeit wendet man in dieser Hinsicht der Fessel
zu, wo Unredlichkeit leicht einen unangenehmen Ausschlag zur Folge hat. Der
Esquilador führt' als Handwerkszeug gewöhnlich ein kleines Kästchen mit den nö¬
thigen Instrumenten bei sich, nämlich mehreren Scheeren und dem aoial, zwei
kurzen, am Ende mit einer Peitschenschuur zusammengebundenen Stäben, zwischen
welche man, wenn das Pferd unruhig wird, die untere Lefze desselben einklemmt,
wodurch es auf der Stelle still wie ein Lamm wird. Im Gürtel trägt der Esqni-
lador eine große Scheere, auf Spanisch Mrcrs, auf Zigeunerisch Oaedas genannt,
mit der er hauptsächlich arbeitet. Damit werdeu die Rücken, Ohren und Schwänze
der Maulesel und Esel ganz kahl geschoren, daß, wenn die Thiere durch ihr Ge¬
schirr oder ihre Ladung gedrückt werden, die Wunde nicht so leicht eitert und
schneller heilt. Bei den Pferden werden blos Füße und Ohren geschoren. Im
größten Theile von Spanien wird dieses Geschäft fast ausschließlich von Gitauos
besorgt, und die ärmeren erwerben sich dadurch fast allein ihren Lebensunterhalt.
Auch als Viehärzte finden die Gitauos Beschäftigung. Was der Mann nicht
verdient, muß die Frau schaffen, und ihre Fähigkeiten in dieser Hinsicht werden
als Ausstattung bei der Verheirathung berücksichtigt. Wahrsagen ans der Hand
dient ihnen nicht blos als directe Erwerbsquelle; sondern, da sie dadurch mit
vielen jungen Leuten beiderlei Geschlechts in vertraute Berührung kommen, so
benutzen sie diese Gelegenheit, um gutbezahlte Kupplergeschäfte zu treiben; anch
wissen'sie die bei ihren Besuchen von Haus zu Haus erworbene Localkenntniß vor¬
trefflich bei Diebereien zu verwenden. Leichtgläubige und wohlhabende Personen
berücken sie auch wol durch das Vorgeben, ihnen zu einem verborgenen Schatze
verhelfen zu wollen, zu dessen Hebung natürlich stets Geld oder Kostbarkeiten
nöthig sind, mit welchen sie dann verschwinden. Die Zahl der Zigeuner mag
sich jetzt noch auf etwa 40,000 Köpfe belaufen, und sie find mit Ausnahme von
Galicien und den baskischen Provinzen über ganz Spanien verbreitet. ^


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[0263] herumstreichen, so geschieht es nicht mehr wie früher in bewaffneten Horden, son¬ dern einzeln oder in Trupps von wenigen Personen/welche nur dem einzelnen Wanderer gefährlich sind. Eine Ausnahme davon machte die Zeit des letzten Bürgerkriegs, wo die Gitauos die allgemeine Verwirrung benutzten, um ihr altes Räuberhandwerk wieder anzufangen. Sie machten mehrere Versuche, größere Ban¬ den zu bilden, doch bestanden sie nie lange, denn mit dem ererbten Stammes- hasse gegen alle Nichtzigeuner hat sich auch das daraus entspringende Gefühl der Gemeinsamkeit, das Bedürfniß, unverbrüchlich zu einander zu halten, abgeschwächt. Neben dem Pferde- und Maulthierhandel und dem Schmiedehandwerk ist jetzt ihre Hauptbeschäftigung das Scheereu der Maulthiere und Pferde, die arte et«z esqMar. Es ist nämlich in Spanien Sitte, mit außerordentlicher Sorgfalt ver¬ schiedene Theile des Pferdes zu scheeren und auszuputzen, wo man den Haar¬ wuchs der vollkommenen Gesundheit und Reinlichkeit des Pferdes für nachtheilig hält, und ganz besondere Aufmerksamkeit wendet man in dieser Hinsicht der Fessel zu, wo Unredlichkeit leicht einen unangenehmen Ausschlag zur Folge hat. Der Esquilador führt' als Handwerkszeug gewöhnlich ein kleines Kästchen mit den nö¬ thigen Instrumenten bei sich, nämlich mehreren Scheeren und dem aoial, zwei kurzen, am Ende mit einer Peitschenschuur zusammengebundenen Stäben, zwischen welche man, wenn das Pferd unruhig wird, die untere Lefze desselben einklemmt, wodurch es auf der Stelle still wie ein Lamm wird. Im Gürtel trägt der Esqni- lador eine große Scheere, auf Spanisch Mrcrs, auf Zigeunerisch Oaedas genannt, mit der er hauptsächlich arbeitet. Damit werdeu die Rücken, Ohren und Schwänze der Maulesel und Esel ganz kahl geschoren, daß, wenn die Thiere durch ihr Ge¬ schirr oder ihre Ladung gedrückt werden, die Wunde nicht so leicht eitert und schneller heilt. Bei den Pferden werden blos Füße und Ohren geschoren. Im größten Theile von Spanien wird dieses Geschäft fast ausschließlich von Gitauos besorgt, und die ärmeren erwerben sich dadurch fast allein ihren Lebensunterhalt. Auch als Viehärzte finden die Gitauos Beschäftigung. Was der Mann nicht verdient, muß die Frau schaffen, und ihre Fähigkeiten in dieser Hinsicht werden als Ausstattung bei der Verheirathung berücksichtigt. Wahrsagen ans der Hand dient ihnen nicht blos als directe Erwerbsquelle; sondern, da sie dadurch mit vielen jungen Leuten beiderlei Geschlechts in vertraute Berührung kommen, so benutzen sie diese Gelegenheit, um gutbezahlte Kupplergeschäfte zu treiben; anch wissen'sie die bei ihren Besuchen von Haus zu Haus erworbene Localkenntniß vor¬ trefflich bei Diebereien zu verwenden. Leichtgläubige und wohlhabende Personen berücken sie auch wol durch das Vorgeben, ihnen zu einem verborgenen Schatze verhelfen zu wollen, zu dessen Hebung natürlich stets Geld oder Kostbarkeiten nöthig sind, mit welchen sie dann verschwinden. Die Zahl der Zigeuner mag sich jetzt noch auf etwa 40,000 Köpfe belaufen, und sie find mit Ausnahme von Galicien und den baskischen Provinzen über ganz Spanien verbreitet. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/263>, abgerufen am 22.07.2024.