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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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selben zu verrathen, brachte sie eine Verschwörung gegen mich zu Stande, und
so wurde ich denn, als wir uns einstmals der maurischen Küste gegenüber befanden,
von deu anderen Gitanos ergriffen und gebunden, über das Meer geschafft und
an die Mauren als Sclave verkauft. Lange blieb ich in diesem Zustande in
verschiedenen Theilen von Marokko und Fez, bis mich endlich ein Mönch los¬
kaufte. Ich folgte ihm nach Italien, seiner Heimath, und blieb dort mehrere Jahre,
bis mich die Sehnsucht uach dem Vaterlande ergriff, wo ich denn nach Spanien
zurückkehrte, mich hier niederließ, und von dem Verkaufe der Bücher lebte, die
ich zum Theil von meinen Reisen in fremden Ländern mitgebracht hatte. Ich
hielt jedoch meine Geschichte sorgfältig geheim, aus Furcht, daß die gegen die
Gitanos erlassenen Gesetze gegen mich angewendet werden möchten. Der Jammer¬
zustand, in dem Ihr mich heute findet, stammt von gestern; ich war in dem
Augustinerkloster dort auf der Ebene gegen Saragossa mit einem arabischen
Buche gewesen, welches ein gelehrter Mönch sehen wollte. Die Nacht überraschte
mich unterwegs. Ich verirrte mich bald, und kam endlich an ein verfallenes Haus,
das ich kannte; ich wollte nun meinen Weg nach der Stadt fortsetzen, als ich
Stimmen hinter den Trümmern vernahm; ich horchte und erkannte die Sprache
der Gitanos; ich wollte fliehen, als ein Wort mir auffiel. Es war das Wort
Drao, worunter sie das Gift verstehen, mit welchem sie das Vieh sterben machen;
sie sagten jetzt, daß den Leuten von Logronno das Gift, das sie ausgestreut, schon
bekommen solle. Ich lauschte nicht länger, sondern floh. Meine Furcht vermehrte
noch der Umstand, daß ich in dem Gesprochenen den besondern Dialekt meines
Stammes zu hören glaubte; ich wiederhole es, ich ahne, daß ein schreckliches
Unglück über dieser Stadt schwebt, und daß meine eigenen Tage gezählt sind."
Der> Geistliche befrug ihn noch über einzelne Punkte seiner Erzählung, suchte ihm
das Grundlose seiner Befürchtungen darzustellen, und nahm endlich Abschied.
Schon am nächsten Tage brach eine Krankheit in Logronno aus. Sie war von
ganz eigener Art; sie entstand nicht allmählich, sondern zeigte sich sogleich in ihrer
ganzen Heftigkeit. Schwindel war das erste Symptom, dann heftiges Brechen,
fürchterliche Krämpfe und zuletzt meistens der Tod. Die Leichen schwollen an,
und wurden blauschwarz mit purpurrothen Flecken. In den Häusern und auf
den Straßen hörte man Nichts als Klagegestöhn; Heilmittel schlugen nicht an;
die Arzneikunst versuchte sich vergebens gegen die schreckliche Pest, und in wenigen
Tagen war ihr der größte Theil der Bewohner von Logronno erlegen. Der Buch¬
händler war seit dem Beginn der schrecklichen Heimsuchung verschwunden.

Einmal in tiefer Nacht klopfte es an die Thür des Priesters, von dem wir
vorhin gesprochen; er wankte selbst nach der Thür und öffnete sie -- er war der
Einzige, der im Hause am Leben geblieben war, und genas selbst nur langsam
von der Pest; eine unheimlich gespensterhaft aussehende Gestalt zeigte sich seinen
Augen >-- es war sein Freund Alvarez. Beide traten in das Haus, wo der


selben zu verrathen, brachte sie eine Verschwörung gegen mich zu Stande, und
so wurde ich denn, als wir uns einstmals der maurischen Küste gegenüber befanden,
von deu anderen Gitanos ergriffen und gebunden, über das Meer geschafft und
an die Mauren als Sclave verkauft. Lange blieb ich in diesem Zustande in
verschiedenen Theilen von Marokko und Fez, bis mich endlich ein Mönch los¬
kaufte. Ich folgte ihm nach Italien, seiner Heimath, und blieb dort mehrere Jahre,
bis mich die Sehnsucht uach dem Vaterlande ergriff, wo ich denn nach Spanien
zurückkehrte, mich hier niederließ, und von dem Verkaufe der Bücher lebte, die
ich zum Theil von meinen Reisen in fremden Ländern mitgebracht hatte. Ich
hielt jedoch meine Geschichte sorgfältig geheim, aus Furcht, daß die gegen die
Gitanos erlassenen Gesetze gegen mich angewendet werden möchten. Der Jammer¬
zustand, in dem Ihr mich heute findet, stammt von gestern; ich war in dem
Augustinerkloster dort auf der Ebene gegen Saragossa mit einem arabischen
Buche gewesen, welches ein gelehrter Mönch sehen wollte. Die Nacht überraschte
mich unterwegs. Ich verirrte mich bald, und kam endlich an ein verfallenes Haus,
das ich kannte; ich wollte nun meinen Weg nach der Stadt fortsetzen, als ich
Stimmen hinter den Trümmern vernahm; ich horchte und erkannte die Sprache
der Gitanos; ich wollte fliehen, als ein Wort mir auffiel. Es war das Wort
Drao, worunter sie das Gift verstehen, mit welchem sie das Vieh sterben machen;
sie sagten jetzt, daß den Leuten von Logronno das Gift, das sie ausgestreut, schon
bekommen solle. Ich lauschte nicht länger, sondern floh. Meine Furcht vermehrte
noch der Umstand, daß ich in dem Gesprochenen den besondern Dialekt meines
Stammes zu hören glaubte; ich wiederhole es, ich ahne, daß ein schreckliches
Unglück über dieser Stadt schwebt, und daß meine eigenen Tage gezählt sind."
Der> Geistliche befrug ihn noch über einzelne Punkte seiner Erzählung, suchte ihm
das Grundlose seiner Befürchtungen darzustellen, und nahm endlich Abschied.
Schon am nächsten Tage brach eine Krankheit in Logronno aus. Sie war von
ganz eigener Art; sie entstand nicht allmählich, sondern zeigte sich sogleich in ihrer
ganzen Heftigkeit. Schwindel war das erste Symptom, dann heftiges Brechen,
fürchterliche Krämpfe und zuletzt meistens der Tod. Die Leichen schwollen an,
und wurden blauschwarz mit purpurrothen Flecken. In den Häusern und auf
den Straßen hörte man Nichts als Klagegestöhn; Heilmittel schlugen nicht an;
die Arzneikunst versuchte sich vergebens gegen die schreckliche Pest, und in wenigen
Tagen war ihr der größte Theil der Bewohner von Logronno erlegen. Der Buch¬
händler war seit dem Beginn der schrecklichen Heimsuchung verschwunden.

Einmal in tiefer Nacht klopfte es an die Thür des Priesters, von dem wir
vorhin gesprochen; er wankte selbst nach der Thür und öffnete sie — er war der
Einzige, der im Hause am Leben geblieben war, und genas selbst nur langsam
von der Pest; eine unheimlich gespensterhaft aussehende Gestalt zeigte sich seinen
Augen >— es war sein Freund Alvarez. Beide traten in das Haus, wo der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/260>, abgerufen am 22.07.2024.