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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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das wußte Jeder. Er wäre sonst nicht aufgestanden. Darum kamen selbst die
schroffsten Gegner Schlüpfenden Trittes näher hinzu, um kein Wort zu verlieren.
Ein dichter, enggeschlossener Kreis schaarte sich allmählich um ihn, während seine
Stimme wuchs, die Augen Heller aufleuchteten und die bleichen Wangen sich
rötheten, bis endlich in vollen weiten Tönen die Rede den ganzen Saal erfüllte.
Die politische Leidenschaft wogte im forschenden Kreis, und dennoch entzog sich
ihm Keiner. Denn es waren nicht hallende Worte, nicht wohlgedrechselte Phrasen,
nicht mühsam verschlungene Sätze, worin Schüler sich bewegte. Nein, jedes
Wort ein Gedanke. Wie sichere Büchsenschüsse schlugen die rasch abgebrochenen
Sätze in die Schwächen des Gegners, wie Batterien schmetterten die letzten,
nachdrnckvollsten Perioden in die Gesammtaufstellung der Feinde. Aber freilich sprach
er auch nicht nur mit Zunge und Kopf; nein, das Herz und Leben sprachen mit.
Darum kostete ihn jede Rede ein Stück Leben -- mochte er angreifen oder vertheidigen.
Erschöpft sank er auf seinen Sitz zurück, während noch der letzte Ton verklang;
nur die Wangen sicherten noch, während die Augen sich brechend in die tiefen
Höhlen zurückzogen. Sie sahen es nicht mehr, wie die Gegner vor dem vor
ihm zurückgeschleuderten eigenen Wort erbleichten, wie sie ängstlich ihre entblößte
Nacktheit verhüllten, und trotz allem Ingrimm ihn doch nicht moralisch vernichten
konnten, was sie versuchten, da sie es weder mit Geist, noch mit Kenntnissen ver¬
mochten. -- Man mag es zugestehen, Schüler war eines der gefährlichsten demo¬
kratischen Elemente im bayerischen Reiche; aber er war es nicht, weil Demokrat,
sondern weil an Geist, Takt, Wissenschaft und Gewandtheit der damaligen con-
servativen Vertretung weitaus überlegen, weil mit seinem vollen ganzen Wesen
der erfaßten Idee hingegeben, endlich weil in der Krüppelhaftigkeit seiner Mannes¬
blüthe'ein lebendiges Beispiel der Rache, welche von der reactionairen Macht am
Träger des progressiven Gedankens geübt ward.

Schüler's .Platz ist heute leer, und Fürst Wallerstein trägt den Titel
eines Führers der Linken. Auch er wirkt mit stummen Mitteln; aber diese Wir¬
kung ist absichtlich und man ist davon verstimmt. Das affectirte Hinhören auf die
Reden der Gegner, die verschiedenen verächtlichen, erfreuten, bitteren ze. Modifi-
cationen seines stereotypen Lächelns, das Hin- und Herwerden augenscheinlich
spöttischer Bemerkungen an die Parteigenossen, das unparlamentarische Einfallen
mit absprechender Bemerkungen in die Erörterungen der Gegner, das Ueber-
wältigtwerden von der Lebhaftigkeit des Naturells -- dies Alles macht den Ein¬
drucks des Komödienhaften, darum Unpassenden und Entwürdigenden. Es läßt
sich nicht läugnen, Hrn. Fürst Wallerstein ist äußerst redesertig und der parlamentari¬
schen Fechtgewaudtheit vollständig Herr. Aber er führt eine spielende Klinge, deren
Hiebe vielleicht dem getroffenen einzelnen Gegner schmerzhafter sind als echte
Todeswunden. Allein sie werden eben niemals Todeswunden. Solche zu schla¬
gen, fehlt dem Fürsten die Unbefangenheit. Ob er auch sich anstelle, als habe


das wußte Jeder. Er wäre sonst nicht aufgestanden. Darum kamen selbst die
schroffsten Gegner Schlüpfenden Trittes näher hinzu, um kein Wort zu verlieren.
Ein dichter, enggeschlossener Kreis schaarte sich allmählich um ihn, während seine
Stimme wuchs, die Augen Heller aufleuchteten und die bleichen Wangen sich
rötheten, bis endlich in vollen weiten Tönen die Rede den ganzen Saal erfüllte.
Die politische Leidenschaft wogte im forschenden Kreis, und dennoch entzog sich
ihm Keiner. Denn es waren nicht hallende Worte, nicht wohlgedrechselte Phrasen,
nicht mühsam verschlungene Sätze, worin Schüler sich bewegte. Nein, jedes
Wort ein Gedanke. Wie sichere Büchsenschüsse schlugen die rasch abgebrochenen
Sätze in die Schwächen des Gegners, wie Batterien schmetterten die letzten,
nachdrnckvollsten Perioden in die Gesammtaufstellung der Feinde. Aber freilich sprach
er auch nicht nur mit Zunge und Kopf; nein, das Herz und Leben sprachen mit.
Darum kostete ihn jede Rede ein Stück Leben — mochte er angreifen oder vertheidigen.
Erschöpft sank er auf seinen Sitz zurück, während noch der letzte Ton verklang;
nur die Wangen sicherten noch, während die Augen sich brechend in die tiefen
Höhlen zurückzogen. Sie sahen es nicht mehr, wie die Gegner vor dem vor
ihm zurückgeschleuderten eigenen Wort erbleichten, wie sie ängstlich ihre entblößte
Nacktheit verhüllten, und trotz allem Ingrimm ihn doch nicht moralisch vernichten
konnten, was sie versuchten, da sie es weder mit Geist, noch mit Kenntnissen ver¬
mochten. — Man mag es zugestehen, Schüler war eines der gefährlichsten demo¬
kratischen Elemente im bayerischen Reiche; aber er war es nicht, weil Demokrat,
sondern weil an Geist, Takt, Wissenschaft und Gewandtheit der damaligen con-
servativen Vertretung weitaus überlegen, weil mit seinem vollen ganzen Wesen
der erfaßten Idee hingegeben, endlich weil in der Krüppelhaftigkeit seiner Mannes¬
blüthe'ein lebendiges Beispiel der Rache, welche von der reactionairen Macht am
Träger des progressiven Gedankens geübt ward.

Schüler's .Platz ist heute leer, und Fürst Wallerstein trägt den Titel
eines Führers der Linken. Auch er wirkt mit stummen Mitteln; aber diese Wir¬
kung ist absichtlich und man ist davon verstimmt. Das affectirte Hinhören auf die
Reden der Gegner, die verschiedenen verächtlichen, erfreuten, bitteren ze. Modifi-
cationen seines stereotypen Lächelns, das Hin- und Herwerden augenscheinlich
spöttischer Bemerkungen an die Parteigenossen, das unparlamentarische Einfallen
mit absprechender Bemerkungen in die Erörterungen der Gegner, das Ueber-
wältigtwerden von der Lebhaftigkeit des Naturells — dies Alles macht den Ein¬
drucks des Komödienhaften, darum Unpassenden und Entwürdigenden. Es läßt
sich nicht läugnen, Hrn. Fürst Wallerstein ist äußerst redesertig und der parlamentari¬
schen Fechtgewaudtheit vollständig Herr. Aber er führt eine spielende Klinge, deren
Hiebe vielleicht dem getroffenen einzelnen Gegner schmerzhafter sind als echte
Todeswunden. Allein sie werden eben niemals Todeswunden. Solche zu schla¬
gen, fehlt dem Fürsten die Unbefangenheit. Ob er auch sich anstelle, als habe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/26>, abgerufen am 22.07.2024.