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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Borrow, seinen Mann verfehlt zu haben; da wird er angerufen, und aus dem
Dickicht lugt des Gitauos verwildeter schwarzer Kopf mit den stieren Augen. Er
muß hier einen Boten erwarten, und sie rasten und füttern, hinter einer Boden-
falte versteckt, wo Antonio nicht einmal Feuer anzünden läßt, damit der Rauch
sie uicht verrathe. Nach langem Harren erscheint Fer Bote in Gestalt von An¬
tonio's Tochter; aber ihre Nachrichten sind nicht gut: die Bande, der sich Antonio
hat wollen anschließen, ist in die Hände der Justiz gefallen. Er muß unver-
richteter Sache wieder umkehren, und Borrow setzt seine Reise nun allein fort.

In dieser Weise verkehrte er mit den spanischen Zigeunern, ohne Mühselig¬
keiten und Gefahren zu scheuen, und ohne vor den Verhöhnungen zurückzuschrecken,
die oft seinen Bekehrungseifer abzukühlen drohten. Dadurch aber erwarb er sich
eine so genaue Bekanntschaft der Eigenthümlichkeiten dieses seltsamen Volkes, wie
wol kaum Jemand vor ihm besessen haben mag, und wir benutzen seine Erfah¬
rungen zur Grundlage der nachfolgenden Darstellung.

Vou, ihrer Vergangenheit wissen die Zigeuner äußerst wenig zu berichten.
Die Sage ihrer Herkunft aus Aegypten, welche im Mittelalter von deu Geist¬
lichen für sie erfunden wurde, haben sie angenommen, weil sie ihnen zur Erweckung
des Mitleids äußerst dienlich war. Eine selbstständige Tradition über ihre Hei¬
math haben sie nicht; nicht einmal über die Zeit ihrer Ankunft in Spanien wissen
sie Auskunft zu geben. Sie werden zuerst in der zweiten Hälfte des 13,. Jahr¬
hunderts erwähnt, was mit der Zeit ihrer Ankunft in Deutschland und Frankreich
recht gut stimmt, denn erst allmählich schoben sie sich gegen Westen vor. Sie
wurden bald zur unerträglichen Landplage. In einzelnen Horden verbreiteten sie
sich über das flache Land, dessen Bewohner wegen ihrer Schutzlosigkeit am meisten
von ihnen zu leiden hatten. Ihre Maulesel und ihre Pferde verschwanden ans
den Ställen oder von der Weide, und kamen nur auf entfernten Märkten wieder
zum Vorschein, wo sie der schlaue Zigeuner oft nur verkaufte, um sie noch einmal
zu stehlen; und ihre Schaf- und Ziegenherden mußten den nimmersatten Hunger
der diebischen Bande stillen. Oft ließ sich eine zahlreiche Horde in der Nähe
eines abgelegenen und schwachbewohnten Dorfes nieder, und wich dann gewiß
nicht eher, als bis sie, wie eine Heuschreckenschaar, Alles, was die Bewohner
besaßen, rein aufgezehrt hatte, oder allenfalls, wenn die Diener der Gerechtigkeit
oder die zur Abwehr aus der Nachbarschaft aufgebotenen Bauern Anstalt zu ihrer
Vertreibung machte". Dann kam es zur eiligen Flucht; die Frauen und Kinder,
deus abgemagerten, aber feurigen Eseln, flogen über das Blachfeld schneller wie
der Wind; zerlumpte und wildblickende Männer, die Peitsche oder den Stachel
in der Faust, trabten zu Fuße neben ihnen her, während eine kleine Abtheilung,
mit verrosteten Flinten und Säbeln bewaffnet, ans starken Pferden als Bedeckung
des Rückzugs den verfolgenden Feind bedrohte, und ihn dann und wann mit
dem heisern Rufe des Zigeunerhorns begrüßte.


Borrow, seinen Mann verfehlt zu haben; da wird er angerufen, und aus dem
Dickicht lugt des Gitauos verwildeter schwarzer Kopf mit den stieren Augen. Er
muß hier einen Boten erwarten, und sie rasten und füttern, hinter einer Boden-
falte versteckt, wo Antonio nicht einmal Feuer anzünden läßt, damit der Rauch
sie uicht verrathe. Nach langem Harren erscheint Fer Bote in Gestalt von An¬
tonio's Tochter; aber ihre Nachrichten sind nicht gut: die Bande, der sich Antonio
hat wollen anschließen, ist in die Hände der Justiz gefallen. Er muß unver-
richteter Sache wieder umkehren, und Borrow setzt seine Reise nun allein fort.

In dieser Weise verkehrte er mit den spanischen Zigeunern, ohne Mühselig¬
keiten und Gefahren zu scheuen, und ohne vor den Verhöhnungen zurückzuschrecken,
die oft seinen Bekehrungseifer abzukühlen drohten. Dadurch aber erwarb er sich
eine so genaue Bekanntschaft der Eigenthümlichkeiten dieses seltsamen Volkes, wie
wol kaum Jemand vor ihm besessen haben mag, und wir benutzen seine Erfah¬
rungen zur Grundlage der nachfolgenden Darstellung.

Vou, ihrer Vergangenheit wissen die Zigeuner äußerst wenig zu berichten.
Die Sage ihrer Herkunft aus Aegypten, welche im Mittelalter von deu Geist¬
lichen für sie erfunden wurde, haben sie angenommen, weil sie ihnen zur Erweckung
des Mitleids äußerst dienlich war. Eine selbstständige Tradition über ihre Hei¬
math haben sie nicht; nicht einmal über die Zeit ihrer Ankunft in Spanien wissen
sie Auskunft zu geben. Sie werden zuerst in der zweiten Hälfte des 13,. Jahr¬
hunderts erwähnt, was mit der Zeit ihrer Ankunft in Deutschland und Frankreich
recht gut stimmt, denn erst allmählich schoben sie sich gegen Westen vor. Sie
wurden bald zur unerträglichen Landplage. In einzelnen Horden verbreiteten sie
sich über das flache Land, dessen Bewohner wegen ihrer Schutzlosigkeit am meisten
von ihnen zu leiden hatten. Ihre Maulesel und ihre Pferde verschwanden ans
den Ställen oder von der Weide, und kamen nur auf entfernten Märkten wieder
zum Vorschein, wo sie der schlaue Zigeuner oft nur verkaufte, um sie noch einmal
zu stehlen; und ihre Schaf- und Ziegenherden mußten den nimmersatten Hunger
der diebischen Bande stillen. Oft ließ sich eine zahlreiche Horde in der Nähe
eines abgelegenen und schwachbewohnten Dorfes nieder, und wich dann gewiß
nicht eher, als bis sie, wie eine Heuschreckenschaar, Alles, was die Bewohner
besaßen, rein aufgezehrt hatte, oder allenfalls, wenn die Diener der Gerechtigkeit
oder die zur Abwehr aus der Nachbarschaft aufgebotenen Bauern Anstalt zu ihrer
Vertreibung machte«. Dann kam es zur eiligen Flucht; die Frauen und Kinder,
deus abgemagerten, aber feurigen Eseln, flogen über das Blachfeld schneller wie
der Wind; zerlumpte und wildblickende Männer, die Peitsche oder den Stachel
in der Faust, trabten zu Fuße neben ihnen her, während eine kleine Abtheilung,
mit verrosteten Flinten und Säbeln bewaffnet, ans starken Pferden als Bedeckung
des Rückzugs den verfolgenden Feind bedrohte, und ihn dann und wann mit
dem heisern Rufe des Zigeunerhorns begrüßte.


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[0257] Borrow, seinen Mann verfehlt zu haben; da wird er angerufen, und aus dem Dickicht lugt des Gitauos verwildeter schwarzer Kopf mit den stieren Augen. Er muß hier einen Boten erwarten, und sie rasten und füttern, hinter einer Boden- falte versteckt, wo Antonio nicht einmal Feuer anzünden läßt, damit der Rauch sie uicht verrathe. Nach langem Harren erscheint Fer Bote in Gestalt von An¬ tonio's Tochter; aber ihre Nachrichten sind nicht gut: die Bande, der sich Antonio hat wollen anschließen, ist in die Hände der Justiz gefallen. Er muß unver- richteter Sache wieder umkehren, und Borrow setzt seine Reise nun allein fort. In dieser Weise verkehrte er mit den spanischen Zigeunern, ohne Mühselig¬ keiten und Gefahren zu scheuen, und ohne vor den Verhöhnungen zurückzuschrecken, die oft seinen Bekehrungseifer abzukühlen drohten. Dadurch aber erwarb er sich eine so genaue Bekanntschaft der Eigenthümlichkeiten dieses seltsamen Volkes, wie wol kaum Jemand vor ihm besessen haben mag, und wir benutzen seine Erfah¬ rungen zur Grundlage der nachfolgenden Darstellung. Vou, ihrer Vergangenheit wissen die Zigeuner äußerst wenig zu berichten. Die Sage ihrer Herkunft aus Aegypten, welche im Mittelalter von deu Geist¬ lichen für sie erfunden wurde, haben sie angenommen, weil sie ihnen zur Erweckung des Mitleids äußerst dienlich war. Eine selbstständige Tradition über ihre Hei¬ math haben sie nicht; nicht einmal über die Zeit ihrer Ankunft in Spanien wissen sie Auskunft zu geben. Sie werden zuerst in der zweiten Hälfte des 13,. Jahr¬ hunderts erwähnt, was mit der Zeit ihrer Ankunft in Deutschland und Frankreich recht gut stimmt, denn erst allmählich schoben sie sich gegen Westen vor. Sie wurden bald zur unerträglichen Landplage. In einzelnen Horden verbreiteten sie sich über das flache Land, dessen Bewohner wegen ihrer Schutzlosigkeit am meisten von ihnen zu leiden hatten. Ihre Maulesel und ihre Pferde verschwanden ans den Ställen oder von der Weide, und kamen nur auf entfernten Märkten wieder zum Vorschein, wo sie der schlaue Zigeuner oft nur verkaufte, um sie noch einmal zu stehlen; und ihre Schaf- und Ziegenherden mußten den nimmersatten Hunger der diebischen Bande stillen. Oft ließ sich eine zahlreiche Horde in der Nähe eines abgelegenen und schwachbewohnten Dorfes nieder, und wich dann gewiß nicht eher, als bis sie, wie eine Heuschreckenschaar, Alles, was die Bewohner besaßen, rein aufgezehrt hatte, oder allenfalls, wenn die Diener der Gerechtigkeit oder die zur Abwehr aus der Nachbarschaft aufgebotenen Bauern Anstalt zu ihrer Vertreibung machte«. Dann kam es zur eiligen Flucht; die Frauen und Kinder, deus abgemagerten, aber feurigen Eseln, flogen über das Blachfeld schneller wie der Wind; zerlumpte und wildblickende Männer, die Peitsche oder den Stachel in der Faust, trabten zu Fuße neben ihnen her, während eine kleine Abtheilung, mit verrosteten Flinten und Säbeln bewaffnet, ans starken Pferden als Bedeckung des Rückzugs den verfolgenden Feind bedrohte, und ihn dann und wann mit dem heisern Rufe des Zigeunerhorns begrüßte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/257>, abgerufen am 25.08.2024.