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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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hegte freilich erhebliche Zweifel über seine Würdigkeit, und schützte seine Unfähig¬
keit vor, eine Fran zu ernähren. Aber die Zigennermntter weiß Rath. "Meine
Enkelin," meint sie, "braucht Niemanden, der für sie sorgt, sie vermag jederzeit
sür sich und ihren No zu sorgen. Sie kann hokkawern, Baji sagen, und Wenige
kommen ihr gleich im Stehlen a paslesii8. Wäre sie nur einmal in Madrid, sie
würde viel Geld verdienen. Darum nimm sie mit Dir dahin, denn hier ist sie
verloren, weil hier Nichts zu gewinnen ist. Doch dort würde sie in Lachipi und
Sonacai (Seide und Gold) gekleidet gehen, während Du auf Deinem schwarz¬
geschweiften Gra umherreiten würdest; und wenn Ihr viel Geld erworben hättet,
dann könntet Ihr hierher zurückkehren, und leben wie ein Crallis, und alle Errate
im Chim del Mauro würden ihr Haupt vor Euch beugen. Was sagst Du zu
meinem Plan, mein Londoner Caloro?" Auch als Borrow einwirft, er müsse
nach London zurück, läßt die Alte noch nicht nach, und schlägt vor, ihre Enkelin
mitzunehmen, die sich vor dem Meere nicht fürchte, oder mit ihr nach der Ber-
berei zu gehen, wo sie ihm auch ihre angenehme Gesellschaft in Aussicht stellt.
Auf Borrow's Frage, wovon sie dort leben sollten, ruft sie voller Entrüstung
über solche Unwissenheit aus: "Ein Londoner Caloro fragt mich, was wir im
Lande der Corahai machen sollen? AramaliZ spreche ich mit einem Lilipendi (Ein¬
faltspinsel)? Sind da nicht Pferde zu choreu und Esel und Maulesel? Kannst
Du Dich nicht an die Schwarzen anschließen, die in den Despoblados leben?
Nimm daher die Chabi und gehe nach Madrilati, um den Parre zu gewinnen,
und wenn Du ihn erworben hast, so komme zurück, und wir wollen dann allen
Bühne in Merida einen Schmaus geben, und unter ihre Speisen will ich Etwas
mischen, und sie sollen daran sterben und wie vergiftete Schafe bersten. Und
wenn sie gegessen haben, wollen wir sie verlassen und in das Land der Mauren
fliehen, mein Londoner Caloro." Der Londoner Caloro blieb aber unempfindlich
gegen die Vorzüge der Chabi, dieses Juwels des Zigeunerstammes, und reiste
ohne Roni von Merida ab, immer noch in Begleitung Antonio's. Ein langer
Ritt bis tief in die Nacht hinein brachte die Reisenden todtmüde uach Trujillv;
sie fanden dort keine Rast, denn das Zigeunerhans, wo sie übernachten wollten,
war verschlossen, und in der Stadt durfte sich Antonio nicht blicken lassen: sein
leiblicher Bruder hatte dort den Galgen geziert, und Antonio mochte dasselbe
Schicksal zwar verdienen, aber keineswegs ersehnen. Erst spät in der Nacht fin¬
den sie mitten im Walde die gesuchten Zigeuner und Ruhe. Doch uicht allzu
lange; denn ein Versuch, einen gefangenen Spießgesellen zu befreien, hetzt dem
Trupp die Algnazils und die bewaffneten Bauern auf den Hals, und Borrow
muß mit seinem Reisegefährten in halsbrechender Eile das Weite suchen. Durch
die nächste Stadt schleicht sich Antonio allein voraus, und sein Begleiter folgt
ihm über eine Haide, wo der schmale sandige Weg durch Dornen und mannes-
hohes Ginstergestripp sich in trostloser Einsamkeit hinwindet. Schon fürchtet


hegte freilich erhebliche Zweifel über seine Würdigkeit, und schützte seine Unfähig¬
keit vor, eine Fran zu ernähren. Aber die Zigennermntter weiß Rath. „Meine
Enkelin," meint sie, „braucht Niemanden, der für sie sorgt, sie vermag jederzeit
sür sich und ihren No zu sorgen. Sie kann hokkawern, Baji sagen, und Wenige
kommen ihr gleich im Stehlen a paslesii8. Wäre sie nur einmal in Madrid, sie
würde viel Geld verdienen. Darum nimm sie mit Dir dahin, denn hier ist sie
verloren, weil hier Nichts zu gewinnen ist. Doch dort würde sie in Lachipi und
Sonacai (Seide und Gold) gekleidet gehen, während Du auf Deinem schwarz¬
geschweiften Gra umherreiten würdest; und wenn Ihr viel Geld erworben hättet,
dann könntet Ihr hierher zurückkehren, und leben wie ein Crallis, und alle Errate
im Chim del Mauro würden ihr Haupt vor Euch beugen. Was sagst Du zu
meinem Plan, mein Londoner Caloro?" Auch als Borrow einwirft, er müsse
nach London zurück, läßt die Alte noch nicht nach, und schlägt vor, ihre Enkelin
mitzunehmen, die sich vor dem Meere nicht fürchte, oder mit ihr nach der Ber-
berei zu gehen, wo sie ihm auch ihre angenehme Gesellschaft in Aussicht stellt.
Auf Borrow's Frage, wovon sie dort leben sollten, ruft sie voller Entrüstung
über solche Unwissenheit aus: „Ein Londoner Caloro fragt mich, was wir im
Lande der Corahai machen sollen? AramaliZ spreche ich mit einem Lilipendi (Ein¬
faltspinsel)? Sind da nicht Pferde zu choreu und Esel und Maulesel? Kannst
Du Dich nicht an die Schwarzen anschließen, die in den Despoblados leben?
Nimm daher die Chabi und gehe nach Madrilati, um den Parre zu gewinnen,
und wenn Du ihn erworben hast, so komme zurück, und wir wollen dann allen
Bühne in Merida einen Schmaus geben, und unter ihre Speisen will ich Etwas
mischen, und sie sollen daran sterben und wie vergiftete Schafe bersten. Und
wenn sie gegessen haben, wollen wir sie verlassen und in das Land der Mauren
fliehen, mein Londoner Caloro." Der Londoner Caloro blieb aber unempfindlich
gegen die Vorzüge der Chabi, dieses Juwels des Zigeunerstammes, und reiste
ohne Roni von Merida ab, immer noch in Begleitung Antonio's. Ein langer
Ritt bis tief in die Nacht hinein brachte die Reisenden todtmüde uach Trujillv;
sie fanden dort keine Rast, denn das Zigeunerhans, wo sie übernachten wollten,
war verschlossen, und in der Stadt durfte sich Antonio nicht blicken lassen: sein
leiblicher Bruder hatte dort den Galgen geziert, und Antonio mochte dasselbe
Schicksal zwar verdienen, aber keineswegs ersehnen. Erst spät in der Nacht fin¬
den sie mitten im Walde die gesuchten Zigeuner und Ruhe. Doch uicht allzu
lange; denn ein Versuch, einen gefangenen Spießgesellen zu befreien, hetzt dem
Trupp die Algnazils und die bewaffneten Bauern auf den Hals, und Borrow
muß mit seinem Reisegefährten in halsbrechender Eile das Weite suchen. Durch
die nächste Stadt schleicht sich Antonio allein voraus, und sein Begleiter folgt
ihm über eine Haide, wo der schmale sandige Weg durch Dornen und mannes-
hohes Ginstergestripp sich in trostloser Einsamkeit hinwindet. Schon fürchtet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/256>, abgerufen am 22.07.2024.