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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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legere verfallene Gassen an ein großes, altes Haus, wo ihn seine Führerin in ein
geräumiges Zimmer führt, das ganz finster gewesen wäre, wenn nicht im Hinter¬
grunde ein Brasero einen schwachen Lichtschimmer verbreitet hatte. Um -die wär¬
mende Pfanne hocken zwei Gestalten, die Tochter und die Enkelin der alten Hexe,
die bald vertraulich wird und ihre Lebensgeschichte erzählt. Es gefällt ihr nicht
in Spanien; sie sehnt sich zurück nach dem Lande der Corahai (der Mauren).
Sie war dort mit ihrem No, der spanischer Soldat in Ceuta war. Eines Tages
aber sprach er zu ihr: ich bin dieses Ortes überdrüssig, wo es kein Brod und
noch weniger Wasser giebt, ich will entfliehen und Corahano werden; diese Nacht
noch will ich meinen Feldwebel morden, und in das Lager der Mauren fliehen.
"Thue das, mein Chabo", sagte die Fran, "sobald es möglich ist, werde ich Dir
folgen, und Corahani werden." Dieselbe Nacht ermordet er seinen Feldwebel, der
ihn vor fünf Jahren Cato genannt und ihn verflucht hatte, sprang die Mauer
hinab, und entkam unter vielen Flintenschüssen zu den Corahai., Die Frau blieb
im Präsidio Ceuta Marketenderin, und hörte zwei Jahre lang Nichts von ihrem
Ro. Eines Tages trat in ihre Kneipe ein Fremder in maurischer Tracht, fast so
schwarz, wie ein Mohr, und sagte zu ihr in der Zigeunersprache: "Dein Ro
wartet, meine kleine Schwester, komm mit mir, ich will Dich zu ihm bringen."
Nach einigem Bedenken ging sie fort mit dem Unbekannten, und kam bald in das
Land der Corahai, wo sie in einer Stadt, von lauter Renegaten und Zigeunern
bewohnt, ihren Mann als Soldaten fand. Mit ihm zog sie nun herum, bis er
in einem Gefecht blieb. Einige Zeit war sie Wittwe, da kam wieder jener Fremde,
der sie zu ihrem Mann geführt hatte, zu ihr und sagte: "Komm mit mir, kleine
Schwester, dein No ist in der Nähe." Und sie ging mit ihm, und draußen in
der Wüste trafen sie eine Schaar Leute, eben so schwarz und eben so gekleidet,
wie der Fremde. "Wo ist mein Ro?" frug die Frau. "Hier ist er, kleine
Schwester," sagte darauf der schwarze Mann, "hier ist er; von diesem Tage an
bin ich der No, und Du die Roni; komm, laß uns gehen, denn es giebt zu
thun." Und sie ging mit ihm, und sie lebten vier Jahre mit einander auf Zigeuner¬
weise, und hokkawerten, und chorirten, und sagten Baji. Aber als sie eines
Tages über einen Fluß setzten, schlug der Kahn um, und Alle ertranken, mit
Ausnahme der Alten und ihrer kleinen Tochter, die sich nun nach Spanien znrück-
bettelten. Borrow blieb drei Tage in diesem Hause in einer Art Gefangenschaft,
denn er durste dessen Schwelle nicht überschreiten. Die alte Hexe war ein ganz
unheimliches Wesen, eine abgefeimte Spitzbübin und Giftmischerin. Manchmal
stockte sie mitten in leidenschaftlicher Rede, starrte in die leere Lust, streckte die
Hände aus, als wollte sie unsichtbare Gegenstände von sich stoßen, und verfiel
dann in Zuckungen, bis ein krankhaftes Gelächter sie wieder zu sich brachte.
Borrow gewann sich während seines Dortseins so vollkommen ihr Herz^ daß sie
ihm in einer vertrauten Stunde ihre Enkelin zur Frau anbot. Unser Freund


legere verfallene Gassen an ein großes, altes Haus, wo ihn seine Führerin in ein
geräumiges Zimmer führt, das ganz finster gewesen wäre, wenn nicht im Hinter¬
grunde ein Brasero einen schwachen Lichtschimmer verbreitet hatte. Um -die wär¬
mende Pfanne hocken zwei Gestalten, die Tochter und die Enkelin der alten Hexe,
die bald vertraulich wird und ihre Lebensgeschichte erzählt. Es gefällt ihr nicht
in Spanien; sie sehnt sich zurück nach dem Lande der Corahai (der Mauren).
Sie war dort mit ihrem No, der spanischer Soldat in Ceuta war. Eines Tages
aber sprach er zu ihr: ich bin dieses Ortes überdrüssig, wo es kein Brod und
noch weniger Wasser giebt, ich will entfliehen und Corahano werden; diese Nacht
noch will ich meinen Feldwebel morden, und in das Lager der Mauren fliehen.
„Thue das, mein Chabo", sagte die Fran, „sobald es möglich ist, werde ich Dir
folgen, und Corahani werden." Dieselbe Nacht ermordet er seinen Feldwebel, der
ihn vor fünf Jahren Cato genannt und ihn verflucht hatte, sprang die Mauer
hinab, und entkam unter vielen Flintenschüssen zu den Corahai., Die Frau blieb
im Präsidio Ceuta Marketenderin, und hörte zwei Jahre lang Nichts von ihrem
Ro. Eines Tages trat in ihre Kneipe ein Fremder in maurischer Tracht, fast so
schwarz, wie ein Mohr, und sagte zu ihr in der Zigeunersprache: „Dein Ro
wartet, meine kleine Schwester, komm mit mir, ich will Dich zu ihm bringen."
Nach einigem Bedenken ging sie fort mit dem Unbekannten, und kam bald in das
Land der Corahai, wo sie in einer Stadt, von lauter Renegaten und Zigeunern
bewohnt, ihren Mann als Soldaten fand. Mit ihm zog sie nun herum, bis er
in einem Gefecht blieb. Einige Zeit war sie Wittwe, da kam wieder jener Fremde,
der sie zu ihrem Mann geführt hatte, zu ihr und sagte: „Komm mit mir, kleine
Schwester, dein No ist in der Nähe." Und sie ging mit ihm, und draußen in
der Wüste trafen sie eine Schaar Leute, eben so schwarz und eben so gekleidet,
wie der Fremde. „Wo ist mein Ro?" frug die Frau. „Hier ist er, kleine
Schwester," sagte darauf der schwarze Mann, „hier ist er; von diesem Tage an
bin ich der No, und Du die Roni; komm, laß uns gehen, denn es giebt zu
thun." Und sie ging mit ihm, und sie lebten vier Jahre mit einander auf Zigeuner¬
weise, und hokkawerten, und chorirten, und sagten Baji. Aber als sie eines
Tages über einen Fluß setzten, schlug der Kahn um, und Alle ertranken, mit
Ausnahme der Alten und ihrer kleinen Tochter, die sich nun nach Spanien znrück-
bettelten. Borrow blieb drei Tage in diesem Hause in einer Art Gefangenschaft,
denn er durste dessen Schwelle nicht überschreiten. Die alte Hexe war ein ganz
unheimliches Wesen, eine abgefeimte Spitzbübin und Giftmischerin. Manchmal
stockte sie mitten in leidenschaftlicher Rede, starrte in die leere Lust, streckte die
Hände aus, als wollte sie unsichtbare Gegenstände von sich stoßen, und verfiel
dann in Zuckungen, bis ein krankhaftes Gelächter sie wieder zu sich brachte.
Borrow gewann sich während seines Dortseins so vollkommen ihr Herz^ daß sie
ihm in einer vertrauten Stunde ihre Enkelin zur Frau anbot. Unser Freund


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[0255] legere verfallene Gassen an ein großes, altes Haus, wo ihn seine Führerin in ein geräumiges Zimmer führt, das ganz finster gewesen wäre, wenn nicht im Hinter¬ grunde ein Brasero einen schwachen Lichtschimmer verbreitet hatte. Um -die wär¬ mende Pfanne hocken zwei Gestalten, die Tochter und die Enkelin der alten Hexe, die bald vertraulich wird und ihre Lebensgeschichte erzählt. Es gefällt ihr nicht in Spanien; sie sehnt sich zurück nach dem Lande der Corahai (der Mauren). Sie war dort mit ihrem No, der spanischer Soldat in Ceuta war. Eines Tages aber sprach er zu ihr: ich bin dieses Ortes überdrüssig, wo es kein Brod und noch weniger Wasser giebt, ich will entfliehen und Corahano werden; diese Nacht noch will ich meinen Feldwebel morden, und in das Lager der Mauren fliehen. „Thue das, mein Chabo", sagte die Fran, „sobald es möglich ist, werde ich Dir folgen, und Corahani werden." Dieselbe Nacht ermordet er seinen Feldwebel, der ihn vor fünf Jahren Cato genannt und ihn verflucht hatte, sprang die Mauer hinab, und entkam unter vielen Flintenschüssen zu den Corahai., Die Frau blieb im Präsidio Ceuta Marketenderin, und hörte zwei Jahre lang Nichts von ihrem Ro. Eines Tages trat in ihre Kneipe ein Fremder in maurischer Tracht, fast so schwarz, wie ein Mohr, und sagte zu ihr in der Zigeunersprache: „Dein Ro wartet, meine kleine Schwester, komm mit mir, ich will Dich zu ihm bringen." Nach einigem Bedenken ging sie fort mit dem Unbekannten, und kam bald in das Land der Corahai, wo sie in einer Stadt, von lauter Renegaten und Zigeunern bewohnt, ihren Mann als Soldaten fand. Mit ihm zog sie nun herum, bis er in einem Gefecht blieb. Einige Zeit war sie Wittwe, da kam wieder jener Fremde, der sie zu ihrem Mann geführt hatte, zu ihr und sagte: „Komm mit mir, kleine Schwester, dein No ist in der Nähe." Und sie ging mit ihm, und draußen in der Wüste trafen sie eine Schaar Leute, eben so schwarz und eben so gekleidet, wie der Fremde. „Wo ist mein Ro?" frug die Frau. „Hier ist er, kleine Schwester," sagte darauf der schwarze Mann, „hier ist er; von diesem Tage an bin ich der No, und Du die Roni; komm, laß uns gehen, denn es giebt zu thun." Und sie ging mit ihm, und sie lebten vier Jahre mit einander auf Zigeuner¬ weise, und hokkawerten, und chorirten, und sagten Baji. Aber als sie eines Tages über einen Fluß setzten, schlug der Kahn um, und Alle ertranken, mit Ausnahme der Alten und ihrer kleinen Tochter, die sich nun nach Spanien znrück- bettelten. Borrow blieb drei Tage in diesem Hause in einer Art Gefangenschaft, denn er durste dessen Schwelle nicht überschreiten. Die alte Hexe war ein ganz unheimliches Wesen, eine abgefeimte Spitzbübin und Giftmischerin. Manchmal stockte sie mitten in leidenschaftlicher Rede, starrte in die leere Lust, streckte die Hände aus, als wollte sie unsichtbare Gegenstände von sich stoßen, und verfiel dann in Zuckungen, bis ein krankhaftes Gelächter sie wieder zu sich brachte. Borrow gewann sich während seines Dortseins so vollkommen ihr Herz^ daß sie ihm in einer vertrauten Stunde ihre Enkelin zur Frau anbot. Unser Freund

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/255>, abgerufen am 22.07.2024.