Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mich abgesehen, und wir stießen und hackten und fluchten auf einander, bis wir
die Waffen wegwarfen und mit einander rangen; lange balgten wir uns, aber
ich fühlte, daß ich der Schwächere war, und stürzte hin. Der Franzose setzte
mir das Knie auf die Brust, und ich fühlte seine Faust an meiner Kehle, und
er ergriff sein Bayonnet, und wollte mich damit erstechen; der Tschako war
ihm heruntergefallen, und ich heftete meine Blicke wild auf sein Gesicht, und
unsre Augen begegneten sich, und ich schrie laut auf, und rief Zincalo, Zincalo! .
und ich fühlte, wie er zusammenschauerte, und seine Faust löste sich von meiner
Kehle und er sprang auf, und er schlug sich vor die Stirn und weinte, und dann
kam er wieder zu mir und kniete neben mir nieder, denn ich war fast todt, und
er ergriff meine Hand und nannte mich Bruder und Zincalo, und er brachte seine
Feldflasche und goß mir Wein in >den Mund, und ich schöpfte neue Lebenskräfte.
Und er richtete mich auf und führte mich aus dem Gewühl, und wir setzten uns
aus einen Baumstumpf, und rings um uns kämpften die beiden Parteien, und
er sagte: Laß die Hunde sich streiten und einander die Kehlen zerfleischen, bis
sie Alle todt sind, was geht es den Zincali an? sie sind nicht von unsrem Blut,
und was sollen wir das für sie vergießen? So saßen wir denn Stunden lang
auf dem Baumstumpf, und sprachen von den Angelegenheiten unsres Volkes; und
ich hätte Jahre lang zuhören können, denn er erzählte mir Geheimnisse, die mir
die Ohren klingen machten, und ich fand bald, daß ich Nichts wußte, obwol ich mich
vorher als ein ganzer Zincalo betrachtet hatte. So saßen wir, bis die Sonne
unterging und die Schlacht vorbei war, und er schlug mir vor, mit ihm in seine
Heimath, welche das Land der Mayoros (Magyaren) war, zu fliehen, und dort
mit den Zincali zu leben; aber ich hatte nicht den Muth dazu; so umarmten wir
uns, und er begab sich zurück zu den Gabin", während ich wieder zu meinem
Bataillon ging."

In dieses Antonio Gesellschaft reiste Borrow durch die öde Haide der
Grenzdistricte Spaniens, auf einem Pferde, das achtzehn Jahre alt, gespensterhaft
weiß, mit kurzem Leib und langen Beinen war, dem Aeußern nach eine echte
Rosinante, aber, einmal im Feuer, ein wahrer Teufel. Der Zigeuner, der "in
Geschäften Aegyptens" reiste, hatte auf der einsamen Landstraße nichts von
Räubern, wol aber in den Städten einiges von der Polizei zu fürchten. Wäh¬
rend daher unsre Reisenden sorglos über die Haide traben, nähern sie sich den
bewohnten Orten nur im abendlichen Dunkel, oder nach sorgfältiger Recognoscirung.
Als sie die Thürme Merida'K erblicken, wo Antonio "in Geschäften Aegyptens"
einige Tage verweilen muß, reitet Dieser voraus, und läßt seinen Gefährten vor
der Stadt unter einer verfallenen Mauer warten. Eingewickelt in seinen zerris¬
senen Zigeunermantel schläft er dort ein, als ihn eine Stimme weckt, die ihn in
der Gitanosprache anredet. Eine Alte kauert vor ihm, abscheulich häßlich und
fast schwarz von Gesicht. Auf ihr Geheiß folgt er ihr, und gelangt dnrch abge-


mich abgesehen, und wir stießen und hackten und fluchten auf einander, bis wir
die Waffen wegwarfen und mit einander rangen; lange balgten wir uns, aber
ich fühlte, daß ich der Schwächere war, und stürzte hin. Der Franzose setzte
mir das Knie auf die Brust, und ich fühlte seine Faust an meiner Kehle, und
er ergriff sein Bayonnet, und wollte mich damit erstechen; der Tschako war
ihm heruntergefallen, und ich heftete meine Blicke wild auf sein Gesicht, und
unsre Augen begegneten sich, und ich schrie laut auf, und rief Zincalo, Zincalo! .
und ich fühlte, wie er zusammenschauerte, und seine Faust löste sich von meiner
Kehle und er sprang auf, und er schlug sich vor die Stirn und weinte, und dann
kam er wieder zu mir und kniete neben mir nieder, denn ich war fast todt, und
er ergriff meine Hand und nannte mich Bruder und Zincalo, und er brachte seine
Feldflasche und goß mir Wein in >den Mund, und ich schöpfte neue Lebenskräfte.
Und er richtete mich auf und führte mich aus dem Gewühl, und wir setzten uns
aus einen Baumstumpf, und rings um uns kämpften die beiden Parteien, und
er sagte: Laß die Hunde sich streiten und einander die Kehlen zerfleischen, bis
sie Alle todt sind, was geht es den Zincali an? sie sind nicht von unsrem Blut,
und was sollen wir das für sie vergießen? So saßen wir denn Stunden lang
auf dem Baumstumpf, und sprachen von den Angelegenheiten unsres Volkes; und
ich hätte Jahre lang zuhören können, denn er erzählte mir Geheimnisse, die mir
die Ohren klingen machten, und ich fand bald, daß ich Nichts wußte, obwol ich mich
vorher als ein ganzer Zincalo betrachtet hatte. So saßen wir, bis die Sonne
unterging und die Schlacht vorbei war, und er schlug mir vor, mit ihm in seine
Heimath, welche das Land der Mayoros (Magyaren) war, zu fliehen, und dort
mit den Zincali zu leben; aber ich hatte nicht den Muth dazu; so umarmten wir
uns, und er begab sich zurück zu den Gabin», während ich wieder zu meinem
Bataillon ging."

In dieses Antonio Gesellschaft reiste Borrow durch die öde Haide der
Grenzdistricte Spaniens, auf einem Pferde, das achtzehn Jahre alt, gespensterhaft
weiß, mit kurzem Leib und langen Beinen war, dem Aeußern nach eine echte
Rosinante, aber, einmal im Feuer, ein wahrer Teufel. Der Zigeuner, der „in
Geschäften Aegyptens" reiste, hatte auf der einsamen Landstraße nichts von
Räubern, wol aber in den Städten einiges von der Polizei zu fürchten. Wäh¬
rend daher unsre Reisenden sorglos über die Haide traben, nähern sie sich den
bewohnten Orten nur im abendlichen Dunkel, oder nach sorgfältiger Recognoscirung.
Als sie die Thürme Merida'K erblicken, wo Antonio „in Geschäften Aegyptens"
einige Tage verweilen muß, reitet Dieser voraus, und läßt seinen Gefährten vor
der Stadt unter einer verfallenen Mauer warten. Eingewickelt in seinen zerris¬
senen Zigeunermantel schläft er dort ein, als ihn eine Stimme weckt, die ihn in
der Gitanosprache anredet. Eine Alte kauert vor ihm, abscheulich häßlich und
fast schwarz von Gesicht. Auf ihr Geheiß folgt er ihr, und gelangt dnrch abge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0254" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93619"/>
            <p xml:id="ID_700" prev="#ID_699"> mich abgesehen, und wir stießen und hackten und fluchten auf einander, bis wir<lb/>
die Waffen wegwarfen und mit einander rangen; lange balgten wir uns, aber<lb/>
ich fühlte, daß ich der Schwächere war, und stürzte hin. Der Franzose setzte<lb/>
mir das Knie auf die Brust, und ich fühlte seine Faust an meiner Kehle, und<lb/>
er ergriff sein Bayonnet, und wollte mich damit erstechen; der Tschako war<lb/>
ihm heruntergefallen, und ich heftete meine Blicke wild auf sein Gesicht, und<lb/>
unsre Augen begegneten sich, und ich schrie laut auf, und rief Zincalo, Zincalo! .<lb/>
und ich fühlte, wie er zusammenschauerte, und seine Faust löste sich von meiner<lb/>
Kehle und er sprang auf, und er schlug sich vor die Stirn und weinte, und dann<lb/>
kam er wieder zu mir und kniete neben mir nieder, denn ich war fast todt, und<lb/>
er ergriff meine Hand und nannte mich Bruder und Zincalo, und er brachte seine<lb/>
Feldflasche und goß mir Wein in &gt;den Mund, und ich schöpfte neue Lebenskräfte.<lb/>
Und er richtete mich auf und führte mich aus dem Gewühl, und wir setzten uns<lb/>
aus einen Baumstumpf, und rings um uns kämpften die beiden Parteien, und<lb/>
er sagte: Laß die Hunde sich streiten und einander die Kehlen zerfleischen, bis<lb/>
sie Alle todt sind, was geht es den Zincali an? sie sind nicht von unsrem Blut,<lb/>
und was sollen wir das für sie vergießen? So saßen wir denn Stunden lang<lb/>
auf dem Baumstumpf, und sprachen von den Angelegenheiten unsres Volkes; und<lb/>
ich hätte Jahre lang zuhören können, denn er erzählte mir Geheimnisse, die mir<lb/>
die Ohren klingen machten, und ich fand bald, daß ich Nichts wußte, obwol ich mich<lb/>
vorher als ein ganzer Zincalo betrachtet hatte. So saßen wir, bis die Sonne<lb/>
unterging und die Schlacht vorbei war, und er schlug mir vor, mit ihm in seine<lb/>
Heimath, welche das Land der Mayoros (Magyaren) war, zu fliehen, und dort<lb/>
mit den Zincali zu leben; aber ich hatte nicht den Muth dazu; so umarmten wir<lb/>
uns, und er begab sich zurück zu den Gabin», während ich wieder zu meinem<lb/>
Bataillon ging."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_701" next="#ID_702"> In dieses Antonio Gesellschaft reiste Borrow durch die öde Haide der<lb/>
Grenzdistricte Spaniens, auf einem Pferde, das achtzehn Jahre alt, gespensterhaft<lb/>
weiß, mit kurzem Leib und langen Beinen war, dem Aeußern nach eine echte<lb/>
Rosinante, aber, einmal im Feuer, ein wahrer Teufel. Der Zigeuner, der &#x201E;in<lb/>
Geschäften Aegyptens" reiste, hatte auf der einsamen Landstraße nichts von<lb/>
Räubern, wol aber in den Städten einiges von der Polizei zu fürchten. Wäh¬<lb/>
rend daher unsre Reisenden sorglos über die Haide traben, nähern sie sich den<lb/>
bewohnten Orten nur im abendlichen Dunkel, oder nach sorgfältiger Recognoscirung.<lb/>
Als sie die Thürme Merida'K erblicken, wo Antonio &#x201E;in Geschäften Aegyptens"<lb/>
einige Tage verweilen muß, reitet Dieser voraus, und läßt seinen Gefährten vor<lb/>
der Stadt unter einer verfallenen Mauer warten. Eingewickelt in seinen zerris¬<lb/>
senen Zigeunermantel schläft er dort ein, als ihn eine Stimme weckt, die ihn in<lb/>
der Gitanosprache anredet. Eine Alte kauert vor ihm, abscheulich häßlich und<lb/>
fast schwarz von Gesicht.  Auf ihr Geheiß folgt er ihr, und gelangt dnrch abge-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0254] mich abgesehen, und wir stießen und hackten und fluchten auf einander, bis wir die Waffen wegwarfen und mit einander rangen; lange balgten wir uns, aber ich fühlte, daß ich der Schwächere war, und stürzte hin. Der Franzose setzte mir das Knie auf die Brust, und ich fühlte seine Faust an meiner Kehle, und er ergriff sein Bayonnet, und wollte mich damit erstechen; der Tschako war ihm heruntergefallen, und ich heftete meine Blicke wild auf sein Gesicht, und unsre Augen begegneten sich, und ich schrie laut auf, und rief Zincalo, Zincalo! . und ich fühlte, wie er zusammenschauerte, und seine Faust löste sich von meiner Kehle und er sprang auf, und er schlug sich vor die Stirn und weinte, und dann kam er wieder zu mir und kniete neben mir nieder, denn ich war fast todt, und er ergriff meine Hand und nannte mich Bruder und Zincalo, und er brachte seine Feldflasche und goß mir Wein in >den Mund, und ich schöpfte neue Lebenskräfte. Und er richtete mich auf und führte mich aus dem Gewühl, und wir setzten uns aus einen Baumstumpf, und rings um uns kämpften die beiden Parteien, und er sagte: Laß die Hunde sich streiten und einander die Kehlen zerfleischen, bis sie Alle todt sind, was geht es den Zincali an? sie sind nicht von unsrem Blut, und was sollen wir das für sie vergießen? So saßen wir denn Stunden lang auf dem Baumstumpf, und sprachen von den Angelegenheiten unsres Volkes; und ich hätte Jahre lang zuhören können, denn er erzählte mir Geheimnisse, die mir die Ohren klingen machten, und ich fand bald, daß ich Nichts wußte, obwol ich mich vorher als ein ganzer Zincalo betrachtet hatte. So saßen wir, bis die Sonne unterging und die Schlacht vorbei war, und er schlug mir vor, mit ihm in seine Heimath, welche das Land der Mayoros (Magyaren) war, zu fliehen, und dort mit den Zincali zu leben; aber ich hatte nicht den Muth dazu; so umarmten wir uns, und er begab sich zurück zu den Gabin», während ich wieder zu meinem Bataillon ging." In dieses Antonio Gesellschaft reiste Borrow durch die öde Haide der Grenzdistricte Spaniens, auf einem Pferde, das achtzehn Jahre alt, gespensterhaft weiß, mit kurzem Leib und langen Beinen war, dem Aeußern nach eine echte Rosinante, aber, einmal im Feuer, ein wahrer Teufel. Der Zigeuner, der „in Geschäften Aegyptens" reiste, hatte auf der einsamen Landstraße nichts von Räubern, wol aber in den Städten einiges von der Polizei zu fürchten. Wäh¬ rend daher unsre Reisenden sorglos über die Haide traben, nähern sie sich den bewohnten Orten nur im abendlichen Dunkel, oder nach sorgfältiger Recognoscirung. Als sie die Thürme Merida'K erblicken, wo Antonio „in Geschäften Aegyptens" einige Tage verweilen muß, reitet Dieser voraus, und läßt seinen Gefährten vor der Stadt unter einer verfallenen Mauer warten. Eingewickelt in seinen zerris¬ senen Zigeunermantel schläft er dort ein, als ihn eine Stimme weckt, die ihn in der Gitanosprache anredet. Eine Alte kauert vor ihm, abscheulich häßlich und fast schwarz von Gesicht. Auf ihr Geheiß folgt er ihr, und gelangt dnrch abge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/254
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/254>, abgerufen am 22.07.2024.