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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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ist ein eifriger Verbreiter des göttlichen Wortes, und scheut dabei weder Mühen
noch Gefahren; aber so anerkennenswert!) dieser Eifer ist, wir können uns des leisen
Verdachts uicht erwehren, daß das süße Bewußtsein der erfüllten Pflicht nicht wenig
geschärft wird durch den Reiz der abenteuerlichen und gefahrvollen Wege,
auf welchen er ihr nachgeht. Ist er doch auch eine durch und durch originelle
Erscheinung. Sein Haar war schon weiß, als er erst wenig über dreißig Jahre
alt war, und contrastirt merkwürdig mit seinem feurigen Blick, der männlichen Kraft
und imponirenden Gestalt. Er ist der wildesten Rosse mächtig, und der berühmteste
Stierfechter Madrids; Sevilla ist begeistert von seiner Reitkunst. Er ist ein Pferde¬
beschwörer, trotz des besten Zigeuners, und er kann Hammer und Zange führen wie
der geschickteste Hufschmied. Im Ertragen von Beschwerden thut er es Jedem
zuvor, und sein kaltblütiger Muth kennt keine Gefahr. Er besitzt ein eigen¬
thümliches Talent, sich den Sitten aller Klassen der Gesellschaft anzupassen.
Unter allen Himmelsstrichen ist er heimisch: er hat mit dem russischen Muschik
in ärmlicher Hütte am Tisch gesessen, und im Rosengarten von Schiras mit dem
üppigen Perser das Mahl getheilt; er ist von Petersburg bis Havanna überall
zu Hause. Er verkehrt mit den Vornehmen des Landes, aber lieber erquickt er
sich an der Frische des Volkslebens, und wir sehen ihn in Spanien auf vertrau¬
tem Fuße mit den Bauern, Schäfern und Maultiertreibern, deren Brod und
Bacalao er ißt. Am meisten jedoch zieht es ihn zu den Zigeunern sint Durch
zwanzigjährige Bekanntschaft mit ihnen in allen Ländern, wo sie noch vorkommen,
ist er mit ihren Sitten und ihrer Sprache so vertraut geworden, daß die Zi¬
geuner ihn überall als einen "Rom", eiuen Stanungenossen, ansehen, und ihm
als solchem ihr vollstes Vertrauen schenken. In der Verbreitung des Evangeliums
leisteten sie ihm mit Eifer Dienste, -- nicht etwa aus Hinneigung zum Christen¬
thum, sondern in der Hoffnung, daß Derjenige, welchen sie für ihren Bruder hiel¬
ten, mit dieser Verbreitung Etwas zum Besten der Cakes (so nennen sich die
Zigeuner) und zum Schaden der Bnsues oder Heiden (der Spanier) bezwecke.
Seine apostolischen Bemühungen uuter ihnen selbst fanden keinen günstigen Bo¬
den. Er hatte das Evangelium Lucä in die Zigeunersprache übersetzt, und das
Buch wurde mit Begierde gekauft -- weil die Gitanos noch kein in ihrer Sprache
gedrucktes Buch gesehen hatten! Er versuchte mit ihnen die Bibel 'zu lesen --
sie gingen mit Eiser daran, weil sie Freude an dem Kunststück des Uebersetzens
fanden. Hatte der wackere Maun einmal recht herzlich zu ihnen gesprochen,
glaubte er wirklich einmal die Audacht, die ihn selbst erfüllte, in ihnen geweckt
zu haben, und blickte um sich -- so saßen die versammelten Zigeuner stumm da,
das Gesicht zu einer häßlich-komischen Fratze verzerrt. So erzählt Borrow selbst.

Sein erstes Zusammentreffen mit den Gitanos ereignete sich in Badajoz.
Er stand in der Thür der Posada, als zwei Männer, in lange Mäntel gehüllt,
die enge und fast verlassene Straße herabkamen. Sie wollten vorübergehen, und


ist ein eifriger Verbreiter des göttlichen Wortes, und scheut dabei weder Mühen
noch Gefahren; aber so anerkennenswert!) dieser Eifer ist, wir können uns des leisen
Verdachts uicht erwehren, daß das süße Bewußtsein der erfüllten Pflicht nicht wenig
geschärft wird durch den Reiz der abenteuerlichen und gefahrvollen Wege,
auf welchen er ihr nachgeht. Ist er doch auch eine durch und durch originelle
Erscheinung. Sein Haar war schon weiß, als er erst wenig über dreißig Jahre
alt war, und contrastirt merkwürdig mit seinem feurigen Blick, der männlichen Kraft
und imponirenden Gestalt. Er ist der wildesten Rosse mächtig, und der berühmteste
Stierfechter Madrids; Sevilla ist begeistert von seiner Reitkunst. Er ist ein Pferde¬
beschwörer, trotz des besten Zigeuners, und er kann Hammer und Zange führen wie
der geschickteste Hufschmied. Im Ertragen von Beschwerden thut er es Jedem
zuvor, und sein kaltblütiger Muth kennt keine Gefahr. Er besitzt ein eigen¬
thümliches Talent, sich den Sitten aller Klassen der Gesellschaft anzupassen.
Unter allen Himmelsstrichen ist er heimisch: er hat mit dem russischen Muschik
in ärmlicher Hütte am Tisch gesessen, und im Rosengarten von Schiras mit dem
üppigen Perser das Mahl getheilt; er ist von Petersburg bis Havanna überall
zu Hause. Er verkehrt mit den Vornehmen des Landes, aber lieber erquickt er
sich an der Frische des Volkslebens, und wir sehen ihn in Spanien auf vertrau¬
tem Fuße mit den Bauern, Schäfern und Maultiertreibern, deren Brod und
Bacalao er ißt. Am meisten jedoch zieht es ihn zu den Zigeunern sint Durch
zwanzigjährige Bekanntschaft mit ihnen in allen Ländern, wo sie noch vorkommen,
ist er mit ihren Sitten und ihrer Sprache so vertraut geworden, daß die Zi¬
geuner ihn überall als einen „Rom", eiuen Stanungenossen, ansehen, und ihm
als solchem ihr vollstes Vertrauen schenken. In der Verbreitung des Evangeliums
leisteten sie ihm mit Eifer Dienste, — nicht etwa aus Hinneigung zum Christen¬
thum, sondern in der Hoffnung, daß Derjenige, welchen sie für ihren Bruder hiel¬
ten, mit dieser Verbreitung Etwas zum Besten der Cakes (so nennen sich die
Zigeuner) und zum Schaden der Bnsues oder Heiden (der Spanier) bezwecke.
Seine apostolischen Bemühungen uuter ihnen selbst fanden keinen günstigen Bo¬
den. Er hatte das Evangelium Lucä in die Zigeunersprache übersetzt, und das
Buch wurde mit Begierde gekauft — weil die Gitanos noch kein in ihrer Sprache
gedrucktes Buch gesehen hatten! Er versuchte mit ihnen die Bibel 'zu lesen —
sie gingen mit Eiser daran, weil sie Freude an dem Kunststück des Uebersetzens
fanden. Hatte der wackere Maun einmal recht herzlich zu ihnen gesprochen,
glaubte er wirklich einmal die Audacht, die ihn selbst erfüllte, in ihnen geweckt
zu haben, und blickte um sich — so saßen die versammelten Zigeuner stumm da,
das Gesicht zu einer häßlich-komischen Fratze verzerrt. So erzählt Borrow selbst.

Sein erstes Zusammentreffen mit den Gitanos ereignete sich in Badajoz.
Er stand in der Thür der Posada, als zwei Männer, in lange Mäntel gehüllt,
die enge und fast verlassene Straße herabkamen. Sie wollten vorübergehen, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/252>, abgerufen am 22.07.2024.