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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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für sich, welche sie gebrauchen kann. Vielleicht ist dies nicht so-sehr eine
Folge der diplomatischen Gewandtheit zu Wien, als ein Beweis von der Sehn¬
sucht der kleineren Regierungen, zuvorkommend und geschickt behandelt zu werden.

Aber auch gesetzt, was noch immer sehr unwahrscheinlich ist, daß alle diese
Staaten sich von dem neuen Zollverein ausschließen, so ist doch, was für Deutsch¬
land gewonnen wird, größer, als was verloren geht. Wenn ein Theil des Bin¬
nenlandes geopfert werden muß, so wird dafür die Nordsee gewonnen; wenn die
Waarenzufuhr nach den Rheinlands" und Schlesien zu Umwegen gezwungen wird,
so wird dafür die directe Verbindung mit England, Amerika, der ganzen Welt
gewonnen; wenn die Millionen der Consumenten, welche verloren werden, größer
sind, als die Millionen, welche zu gewinnen jetzt gegründete Hoffnung ist, so
ist dafür auch eine Menge divergirender Interessen beseitigt, welche den Tarif
des bisherigen Vereins durch eine Reihe vou Jahren in so trauriger Princip-
losigkeit erhalten haben. Außerdem ist mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten, daß
selbst im schlimmsten Fall diese Trennung keine lange sein wird, wenn auch lang
genug, um beideu Theilen Wunden zu schlagen. Wenn die süddeutschen Regie¬
rungen bis jetzt den überwiegenden Einfluß Preußens mit Empfindlichkeit und
Eifersucht beobachtet haben, so werden ihre Völker als Anhängsel an das Cul¬
turleben des östreichischen Staates weit begründetere Ursachen zur Trauer und
Empfindlichkeit haben. Preußen war in seinen Beziehung"-" zum Zollvereine von
puuktiliöser Redlichkeit; es hatte allerdings die Stellung-des ersten Staates,
aber die Schwerkraft und Masse der anderen war zusammengenommen nicht über¬
mäßig geringer, als die seine, und dieses Verhältniß würde sich bei der neuen
Vereinigung mit Hannover noch sehr zu Gunsten der kleinen Staaten geändert
haben. Jedenfalls ist Preußen nur prürms inter xares, und die Organisation
des Vereins ist eine durchaus liberale, welche dem Schwächeren sehr große
Rechte giebt. Auch die äußere" Bedingungen eines gedeihlichen Verkehrs, Aehn-
lichkeit der Bildung und gemüthliches Verständniß der einzelnen Stämme, Con-
formität der Regierungsgrundsätze, größere Analogie des Geldverkehrs und der
Gesetzgebung verbanden mit Preußen. Der Anschluß an Oestreich aber macht
die kleinen süddeutschen Staaten zu Satelliten eiues großen in sich geschlossenen
Staatskörpers, dessen Lebensbedingungen und Interessen ganz andere sind. Es
wird ihnen unmöglich, einen wesentlichen Einfluß auf seine Culturverhältnisse zu
gewinnen, sie sind an ihn gebunden, um ihm zu nützen, und werden das
mit bitteren Schmerzen empfinden müssen. Durch die Verbindung mit Oestreich
lösen sie sich von der großen Strömung frischen Lebens ab, welche vom Meere her
unaufhörlich ihre Wellen über Deutschland wirft; sie werden zu größerer binnen¬
ländischer Abgeschlossenheit getrieben, und würden daran siechen, nicht blos in Han¬
del und Industrie.

In diese" Wochen ist von einer ehrenwerthen Fraction der conservativen


für sich, welche sie gebrauchen kann. Vielleicht ist dies nicht so-sehr eine
Folge der diplomatischen Gewandtheit zu Wien, als ein Beweis von der Sehn¬
sucht der kleineren Regierungen, zuvorkommend und geschickt behandelt zu werden.

Aber auch gesetzt, was noch immer sehr unwahrscheinlich ist, daß alle diese
Staaten sich von dem neuen Zollverein ausschließen, so ist doch, was für Deutsch¬
land gewonnen wird, größer, als was verloren geht. Wenn ein Theil des Bin¬
nenlandes geopfert werden muß, so wird dafür die Nordsee gewonnen; wenn die
Waarenzufuhr nach den Rheinlands» und Schlesien zu Umwegen gezwungen wird,
so wird dafür die directe Verbindung mit England, Amerika, der ganzen Welt
gewonnen; wenn die Millionen der Consumenten, welche verloren werden, größer
sind, als die Millionen, welche zu gewinnen jetzt gegründete Hoffnung ist, so
ist dafür auch eine Menge divergirender Interessen beseitigt, welche den Tarif
des bisherigen Vereins durch eine Reihe vou Jahren in so trauriger Princip-
losigkeit erhalten haben. Außerdem ist mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten, daß
selbst im schlimmsten Fall diese Trennung keine lange sein wird, wenn auch lang
genug, um beideu Theilen Wunden zu schlagen. Wenn die süddeutschen Regie¬
rungen bis jetzt den überwiegenden Einfluß Preußens mit Empfindlichkeit und
Eifersucht beobachtet haben, so werden ihre Völker als Anhängsel an das Cul¬
turleben des östreichischen Staates weit begründetere Ursachen zur Trauer und
Empfindlichkeit haben. Preußen war in seinen Beziehung«-» zum Zollvereine von
puuktiliöser Redlichkeit; es hatte allerdings die Stellung-des ersten Staates,
aber die Schwerkraft und Masse der anderen war zusammengenommen nicht über¬
mäßig geringer, als die seine, und dieses Verhältniß würde sich bei der neuen
Vereinigung mit Hannover noch sehr zu Gunsten der kleinen Staaten geändert
haben. Jedenfalls ist Preußen nur prürms inter xares, und die Organisation
des Vereins ist eine durchaus liberale, welche dem Schwächeren sehr große
Rechte giebt. Auch die äußere» Bedingungen eines gedeihlichen Verkehrs, Aehn-
lichkeit der Bildung und gemüthliches Verständniß der einzelnen Stämme, Con-
formität der Regierungsgrundsätze, größere Analogie des Geldverkehrs und der
Gesetzgebung verbanden mit Preußen. Der Anschluß an Oestreich aber macht
die kleinen süddeutschen Staaten zu Satelliten eiues großen in sich geschlossenen
Staatskörpers, dessen Lebensbedingungen und Interessen ganz andere sind. Es
wird ihnen unmöglich, einen wesentlichen Einfluß auf seine Culturverhältnisse zu
gewinnen, sie sind an ihn gebunden, um ihm zu nützen, und werden das
mit bitteren Schmerzen empfinden müssen. Durch die Verbindung mit Oestreich
lösen sie sich von der großen Strömung frischen Lebens ab, welche vom Meere her
unaufhörlich ihre Wellen über Deutschland wirft; sie werden zu größerer binnen¬
ländischer Abgeschlossenheit getrieben, und würden daran siechen, nicht blos in Han¬
del und Industrie.

In diese» Wochen ist von einer ehrenwerthen Fraction der conservativen


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[0236] für sich, welche sie gebrauchen kann. Vielleicht ist dies nicht so-sehr eine Folge der diplomatischen Gewandtheit zu Wien, als ein Beweis von der Sehn¬ sucht der kleineren Regierungen, zuvorkommend und geschickt behandelt zu werden. Aber auch gesetzt, was noch immer sehr unwahrscheinlich ist, daß alle diese Staaten sich von dem neuen Zollverein ausschließen, so ist doch, was für Deutsch¬ land gewonnen wird, größer, als was verloren geht. Wenn ein Theil des Bin¬ nenlandes geopfert werden muß, so wird dafür die Nordsee gewonnen; wenn die Waarenzufuhr nach den Rheinlands» und Schlesien zu Umwegen gezwungen wird, so wird dafür die directe Verbindung mit England, Amerika, der ganzen Welt gewonnen; wenn die Millionen der Consumenten, welche verloren werden, größer sind, als die Millionen, welche zu gewinnen jetzt gegründete Hoffnung ist, so ist dafür auch eine Menge divergirender Interessen beseitigt, welche den Tarif des bisherigen Vereins durch eine Reihe vou Jahren in so trauriger Princip- losigkeit erhalten haben. Außerdem ist mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten, daß selbst im schlimmsten Fall diese Trennung keine lange sein wird, wenn auch lang genug, um beideu Theilen Wunden zu schlagen. Wenn die süddeutschen Regie¬ rungen bis jetzt den überwiegenden Einfluß Preußens mit Empfindlichkeit und Eifersucht beobachtet haben, so werden ihre Völker als Anhängsel an das Cul¬ turleben des östreichischen Staates weit begründetere Ursachen zur Trauer und Empfindlichkeit haben. Preußen war in seinen Beziehung«-» zum Zollvereine von puuktiliöser Redlichkeit; es hatte allerdings die Stellung-des ersten Staates, aber die Schwerkraft und Masse der anderen war zusammengenommen nicht über¬ mäßig geringer, als die seine, und dieses Verhältniß würde sich bei der neuen Vereinigung mit Hannover noch sehr zu Gunsten der kleinen Staaten geändert haben. Jedenfalls ist Preußen nur prürms inter xares, und die Organisation des Vereins ist eine durchaus liberale, welche dem Schwächeren sehr große Rechte giebt. Auch die äußere» Bedingungen eines gedeihlichen Verkehrs, Aehn- lichkeit der Bildung und gemüthliches Verständniß der einzelnen Stämme, Con- formität der Regierungsgrundsätze, größere Analogie des Geldverkehrs und der Gesetzgebung verbanden mit Preußen. Der Anschluß an Oestreich aber macht die kleinen süddeutschen Staaten zu Satelliten eiues großen in sich geschlossenen Staatskörpers, dessen Lebensbedingungen und Interessen ganz andere sind. Es wird ihnen unmöglich, einen wesentlichen Einfluß auf seine Culturverhältnisse zu gewinnen, sie sind an ihn gebunden, um ihm zu nützen, und werden das mit bitteren Schmerzen empfinden müssen. Durch die Verbindung mit Oestreich lösen sie sich von der großen Strömung frischen Lebens ab, welche vom Meere her unaufhörlich ihre Wellen über Deutschland wirft; sie werden zu größerer binnen¬ ländischer Abgeschlossenheit getrieben, und würden daran siechen, nicht blos in Han¬ del und Industrie. In diese» Wochen ist von einer ehrenwerthen Fraction der conservativen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/236>, abgerufen am 22.07.2024.