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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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besondern Markt sicherte, sondern weil Oestreich dadurch die Herrschaft über den
Oberrhein gewinnt, eine feste Position gegen die Schweiz und Frankreich. Da
das ganze Handelsproject Oestreichs eine politische Maßregel ist, die Begründung
seiner politischen Hegemonie, so läßt sich erwarten, daß der Kampf um Badens
Zutritt am leidenschaftlichsten geführt werdeu wird. Die beiden Hessen sind durch
die Thätigkeit der östreichischen Diplomatie zu eifrigen Anhängern der östreichischen
Partei geworden. Es ist nicht zu berechnen, bis zu welchen Maßregeln der
Kurfürst und Herr Hasseupflug vorschreiten werden; das Gebiet von Kurhessen
zieht sich in der ganzen Länge seiner Ausdehnung in das Zollgebiet herein,
nud würde im Falle eines Ausschlusses seiue an Krümmungen Einschnitten und
Meilen reiche Grenze dnrch so viele Schlagbäume belästigt sehen, daß das Land,
die ohnehin gedrückte Bevölkerung, dadurch vollständig ruinirt und zur Verzweiflung
gebracht würde. Für den neuen Zollverein ist der Besitz von Hessen-Kassel des¬
halb von äußerster Wichtigkeit, weil eiuer der großen Eisenwege zwischen Ost-
nnd Westdeutschland durchführt, und deshalb ist es eben so wichtig für Oestreich,
diese Position dem Verein zu nehmen. Von der wohlwollenden Mäßigung der
Hessendarmstädtischen Negierung ist zu erwarten, daß sie den Eifer ihrer unzu¬
friedenen Nachbarn nicht steigern wird.

Ausgezeichnet ist die Position, welche Oestreich in Deutschland erhält, im
Fall es ihm gelingt, die genannten Staaten vom Zollverein zu lösen und mit
sich zu verbinden. Von Sachsen bis Rheinbayern, von der Elbe bis zur Saar
wird Deutschland zerschnitten; ein großes geschlossenes Terrain wird für den süd¬
lichen Verein gewonnen, aus welchem sich Hessen und Sachsen wie zwei vorge¬
schobene Werke herausstrecken, das erstere, um die großen Eisenstraßen des Zoll¬
vereins nach dem Mittel- und Oberrhein zu durchbrechen und die Rheinland":
von dem östlichen Zollgebiet zu trennen, das letztere, um Thüringen und Schlesien
zu isoliren. Das ganze Stromgebiet der Donau, der Rhein bis hinter Mainz,
die Weser bis Minden, die Elbe bis vor Torgau gehören in dieses Terrain, wel¬
ches die oberen Stromgebiete aller großen Wasserstraßen des Zollvereins bindet;
die sächsisch-bayrische Bahn fiele mit ihrer ganzen Länge in dieses abgeschlossene
Gebiet; der Schienenweg von Magdeburg nach dem südöstlichen Vereinsgebiete
würde vom östreichischen Zollgebiet durchbrochen, und eben so die Verbindung des
Ostens mit Frankfurt und dem. untern Rheine durch die thüringisch-hessische
Bahn. Merkwürdig gut ist das Terrain ausgewählt; selbst wenn Sachsen im
norddeutschen Zollverein bleibt, selbst wenn die beiden Hessen dasselbe thun, bildet
das Gebiet der östreichischen Freunde noch ein compactes Ganze mit erträglich
gerundeten Grenzen, nur Rheinbayern wäre in diesem Falle schwer zu erhalten.
Von Wichtigkeit wäre im Fall einer Trennung die Erwerbung der Hohenzollern
dnrch Preußen'; denn durch dieses kleine Land würde Preußen auch ein Mitglied
der südlichen Liga. Die östreichische Negierung hat gerade alle die Staaten


Grenzboten. I. -,852. 29

besondern Markt sicherte, sondern weil Oestreich dadurch die Herrschaft über den
Oberrhein gewinnt, eine feste Position gegen die Schweiz und Frankreich. Da
das ganze Handelsproject Oestreichs eine politische Maßregel ist, die Begründung
seiner politischen Hegemonie, so läßt sich erwarten, daß der Kampf um Badens
Zutritt am leidenschaftlichsten geführt werdeu wird. Die beiden Hessen sind durch
die Thätigkeit der östreichischen Diplomatie zu eifrigen Anhängern der östreichischen
Partei geworden. Es ist nicht zu berechnen, bis zu welchen Maßregeln der
Kurfürst und Herr Hasseupflug vorschreiten werden; das Gebiet von Kurhessen
zieht sich in der ganzen Länge seiner Ausdehnung in das Zollgebiet herein,
nud würde im Falle eines Ausschlusses seiue an Krümmungen Einschnitten und
Meilen reiche Grenze dnrch so viele Schlagbäume belästigt sehen, daß das Land,
die ohnehin gedrückte Bevölkerung, dadurch vollständig ruinirt und zur Verzweiflung
gebracht würde. Für den neuen Zollverein ist der Besitz von Hessen-Kassel des¬
halb von äußerster Wichtigkeit, weil eiuer der großen Eisenwege zwischen Ost-
nnd Westdeutschland durchführt, und deshalb ist es eben so wichtig für Oestreich,
diese Position dem Verein zu nehmen. Von der wohlwollenden Mäßigung der
Hessendarmstädtischen Negierung ist zu erwarten, daß sie den Eifer ihrer unzu¬
friedenen Nachbarn nicht steigern wird.

Ausgezeichnet ist die Position, welche Oestreich in Deutschland erhält, im
Fall es ihm gelingt, die genannten Staaten vom Zollverein zu lösen und mit
sich zu verbinden. Von Sachsen bis Rheinbayern, von der Elbe bis zur Saar
wird Deutschland zerschnitten; ein großes geschlossenes Terrain wird für den süd¬
lichen Verein gewonnen, aus welchem sich Hessen und Sachsen wie zwei vorge¬
schobene Werke herausstrecken, das erstere, um die großen Eisenstraßen des Zoll¬
vereins nach dem Mittel- und Oberrhein zu durchbrechen und die Rheinland«:
von dem östlichen Zollgebiet zu trennen, das letztere, um Thüringen und Schlesien
zu isoliren. Das ganze Stromgebiet der Donau, der Rhein bis hinter Mainz,
die Weser bis Minden, die Elbe bis vor Torgau gehören in dieses Terrain, wel¬
ches die oberen Stromgebiete aller großen Wasserstraßen des Zollvereins bindet;
die sächsisch-bayrische Bahn fiele mit ihrer ganzen Länge in dieses abgeschlossene
Gebiet; der Schienenweg von Magdeburg nach dem südöstlichen Vereinsgebiete
würde vom östreichischen Zollgebiet durchbrochen, und eben so die Verbindung des
Ostens mit Frankfurt und dem. untern Rheine durch die thüringisch-hessische
Bahn. Merkwürdig gut ist das Terrain ausgewählt; selbst wenn Sachsen im
norddeutschen Zollverein bleibt, selbst wenn die beiden Hessen dasselbe thun, bildet
das Gebiet der östreichischen Freunde noch ein compactes Ganze mit erträglich
gerundeten Grenzen, nur Rheinbayern wäre in diesem Falle schwer zu erhalten.
Von Wichtigkeit wäre im Fall einer Trennung die Erwerbung der Hohenzollern
dnrch Preußen'; denn durch dieses kleine Land würde Preußen auch ein Mitglied
der südlichen Liga. Die östreichische Negierung hat gerade alle die Staaten


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[0235] besondern Markt sicherte, sondern weil Oestreich dadurch die Herrschaft über den Oberrhein gewinnt, eine feste Position gegen die Schweiz und Frankreich. Da das ganze Handelsproject Oestreichs eine politische Maßregel ist, die Begründung seiner politischen Hegemonie, so läßt sich erwarten, daß der Kampf um Badens Zutritt am leidenschaftlichsten geführt werdeu wird. Die beiden Hessen sind durch die Thätigkeit der östreichischen Diplomatie zu eifrigen Anhängern der östreichischen Partei geworden. Es ist nicht zu berechnen, bis zu welchen Maßregeln der Kurfürst und Herr Hasseupflug vorschreiten werden; das Gebiet von Kurhessen zieht sich in der ganzen Länge seiner Ausdehnung in das Zollgebiet herein, nud würde im Falle eines Ausschlusses seiue an Krümmungen Einschnitten und Meilen reiche Grenze dnrch so viele Schlagbäume belästigt sehen, daß das Land, die ohnehin gedrückte Bevölkerung, dadurch vollständig ruinirt und zur Verzweiflung gebracht würde. Für den neuen Zollverein ist der Besitz von Hessen-Kassel des¬ halb von äußerster Wichtigkeit, weil eiuer der großen Eisenwege zwischen Ost- nnd Westdeutschland durchführt, und deshalb ist es eben so wichtig für Oestreich, diese Position dem Verein zu nehmen. Von der wohlwollenden Mäßigung der Hessendarmstädtischen Negierung ist zu erwarten, daß sie den Eifer ihrer unzu¬ friedenen Nachbarn nicht steigern wird. Ausgezeichnet ist die Position, welche Oestreich in Deutschland erhält, im Fall es ihm gelingt, die genannten Staaten vom Zollverein zu lösen und mit sich zu verbinden. Von Sachsen bis Rheinbayern, von der Elbe bis zur Saar wird Deutschland zerschnitten; ein großes geschlossenes Terrain wird für den süd¬ lichen Verein gewonnen, aus welchem sich Hessen und Sachsen wie zwei vorge¬ schobene Werke herausstrecken, das erstere, um die großen Eisenstraßen des Zoll¬ vereins nach dem Mittel- und Oberrhein zu durchbrechen und die Rheinland«: von dem östlichen Zollgebiet zu trennen, das letztere, um Thüringen und Schlesien zu isoliren. Das ganze Stromgebiet der Donau, der Rhein bis hinter Mainz, die Weser bis Minden, die Elbe bis vor Torgau gehören in dieses Terrain, wel¬ ches die oberen Stromgebiete aller großen Wasserstraßen des Zollvereins bindet; die sächsisch-bayrische Bahn fiele mit ihrer ganzen Länge in dieses abgeschlossene Gebiet; der Schienenweg von Magdeburg nach dem südöstlichen Vereinsgebiete würde vom östreichischen Zollgebiet durchbrochen, und eben so die Verbindung des Ostens mit Frankfurt und dem. untern Rheine durch die thüringisch-hessische Bahn. Merkwürdig gut ist das Terrain ausgewählt; selbst wenn Sachsen im norddeutschen Zollverein bleibt, selbst wenn die beiden Hessen dasselbe thun, bildet das Gebiet der östreichischen Freunde noch ein compactes Ganze mit erträglich gerundeten Grenzen, nur Rheinbayern wäre in diesem Falle schwer zu erhalten. Von Wichtigkeit wäre im Fall einer Trennung die Erwerbung der Hohenzollern dnrch Preußen'; denn durch dieses kleine Land würde Preußen auch ein Mitglied der südlichen Liga. Die östreichische Negierung hat gerade alle die Staaten Grenzboten. I. -,852. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/235>, abgerufen am 22.07.2024.