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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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tung hat und künstlerischer Darstellung fähig ist, für welches er nicht in den
verschiedensten Auffassungen den einfachen und wahren Ausdruck funde. Trauer
und Freude, Neigung und Liebe in den verschiedensten Abstufungen -- selbst
den Kuß darzustellen ist ihm nicht versagt, -- fromme Erhebung und ausge¬
lassene Lustigkeit, heiteres Kinderspiel und mühevolle Tagesarbeit: Alles ist mit
gleicher Liebe und Treue und herzgewinnender Wahrheit dargestellt. Einzelnes
anzuführen wäre überflüssig bei dem Reichthum von Bildern, die überall aus¬
gestreut sind, und unter denen jeder der Leser seine Lieblinge haben wird.
Der unbefangenen Naivetät, welche Richter's Darstellungen auszeichnet, ent¬
spricht es, daß er mit besonderer Vorliebe und also, auch mit besonderem Glück
die Gestalten bildet, welche jeden Eindruck am unbefangensten und anmuthig¬
sten wiedergeben, jugendliche und Frauengestalten. Für die Kinderwelt hat'
Richter eine Empfänglichkeit, wie man sie fast nur von einer Mutter erwarten
sollte, und er wird es nicht müde, sie in allem ihrem Thun und Treiben dar¬
zustellen, in ihrem harmlosen Spiel, in ihrem posstrlichen Ernst und der rührenden
Innigkeit, die erst ahnen läßt, was in dem kleinen Herzchen Alles schlummert
und knospet. Auch die Anmuth und Zartheit wie die Würde der Frauen¬
gestalt gelingt Richter unübertrefflich. Was bei ihm zu kurz kommt ist das
kräftige Mannesalter, und das läßt sich gar nicht läugnen, daß er manche Ehe
gestiftet hat, in denen der Mann unverhältnißmäßig alt gegen die Frau ist;
da indeß das Familienglück sichtlich nicht darunter leidet, so mag man es sich
gefallen lassen. Mit derselben Unbefangenheit faßt Richter auch das Komische
auf und ein bewußter Humor, der mit sich selbst und auch wol mit seiner
Kunst sein Spiel treibt, ist ihm fremd. Das Hauptobject seiner Laune ist,
wie das in Deutschland auch gar nicht anders sein kann, der Philister. , Mit
diesem aber steht er auf dem allerbesten Fuß, er gönnt es ihm von Herzen,
daß ihm in seiner philiströsen Haut so wohl ist, und verkehrt so harmlos mit
ihm, daß dieser sich gar nicht vor ihm genirt und mit ihm zu spaßen glaubt, ohne
es zu merken, daß jener über ihn spaße. Darum giebt er auch typische Figuren
des Philisters und keine Caricaturen. Ja die Linie, wo der Philister für
seine deutschen Landsleute wirklich anfängt, .poetisch zu werden, hält er mit
der feinsten Beobachtung inne. Ich kann auch gar keinen echten Philister
mehr sehen ohne den stillen Wunsch, daß er doch Richter über den Weg laufen
möge: nun, er wird keinen Mangel leiden.

Das landschaftliche Element tritt bei diesen kleinen Kompositionen meistens
zurück, allein es ist keineswegs beseitigt; vielmehr macht sich Richter's Ver¬
trautheit mit demselben und seine Neigung dafür in den meistens leichten An¬
deutungen geltend genug. Man kann hier das Umgekehrte behaupten, was von
seinen Landschaften gilt: so wie dort die menschliche Gestalt nicht blos zur
Staffage benutzt wird, so hier die Landschaft nicht blos zum Einrahmen.


tung hat und künstlerischer Darstellung fähig ist, für welches er nicht in den
verschiedensten Auffassungen den einfachen und wahren Ausdruck funde. Trauer
und Freude, Neigung und Liebe in den verschiedensten Abstufungen — selbst
den Kuß darzustellen ist ihm nicht versagt, — fromme Erhebung und ausge¬
lassene Lustigkeit, heiteres Kinderspiel und mühevolle Tagesarbeit: Alles ist mit
gleicher Liebe und Treue und herzgewinnender Wahrheit dargestellt. Einzelnes
anzuführen wäre überflüssig bei dem Reichthum von Bildern, die überall aus¬
gestreut sind, und unter denen jeder der Leser seine Lieblinge haben wird.
Der unbefangenen Naivetät, welche Richter's Darstellungen auszeichnet, ent¬
spricht es, daß er mit besonderer Vorliebe und also, auch mit besonderem Glück
die Gestalten bildet, welche jeden Eindruck am unbefangensten und anmuthig¬
sten wiedergeben, jugendliche und Frauengestalten. Für die Kinderwelt hat'
Richter eine Empfänglichkeit, wie man sie fast nur von einer Mutter erwarten
sollte, und er wird es nicht müde, sie in allem ihrem Thun und Treiben dar¬
zustellen, in ihrem harmlosen Spiel, in ihrem posstrlichen Ernst und der rührenden
Innigkeit, die erst ahnen läßt, was in dem kleinen Herzchen Alles schlummert
und knospet. Auch die Anmuth und Zartheit wie die Würde der Frauen¬
gestalt gelingt Richter unübertrefflich. Was bei ihm zu kurz kommt ist das
kräftige Mannesalter, und das läßt sich gar nicht läugnen, daß er manche Ehe
gestiftet hat, in denen der Mann unverhältnißmäßig alt gegen die Frau ist;
da indeß das Familienglück sichtlich nicht darunter leidet, so mag man es sich
gefallen lassen. Mit derselben Unbefangenheit faßt Richter auch das Komische
auf und ein bewußter Humor, der mit sich selbst und auch wol mit seiner
Kunst sein Spiel treibt, ist ihm fremd. Das Hauptobject seiner Laune ist,
wie das in Deutschland auch gar nicht anders sein kann, der Philister. , Mit
diesem aber steht er auf dem allerbesten Fuß, er gönnt es ihm von Herzen,
daß ihm in seiner philiströsen Haut so wohl ist, und verkehrt so harmlos mit
ihm, daß dieser sich gar nicht vor ihm genirt und mit ihm zu spaßen glaubt, ohne
es zu merken, daß jener über ihn spaße. Darum giebt er auch typische Figuren
des Philisters und keine Caricaturen. Ja die Linie, wo der Philister für
seine deutschen Landsleute wirklich anfängt, .poetisch zu werden, hält er mit
der feinsten Beobachtung inne. Ich kann auch gar keinen echten Philister
mehr sehen ohne den stillen Wunsch, daß er doch Richter über den Weg laufen
möge: nun, er wird keinen Mangel leiden.

Das landschaftliche Element tritt bei diesen kleinen Kompositionen meistens
zurück, allein es ist keineswegs beseitigt; vielmehr macht sich Richter's Ver¬
trautheit mit demselben und seine Neigung dafür in den meistens leichten An¬
deutungen geltend genug. Man kann hier das Umgekehrte behaupten, was von
seinen Landschaften gilt: so wie dort die menschliche Gestalt nicht blos zur
Staffage benutzt wird, so hier die Landschaft nicht blos zum Einrahmen.


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[0224] tung hat und künstlerischer Darstellung fähig ist, für welches er nicht in den verschiedensten Auffassungen den einfachen und wahren Ausdruck funde. Trauer und Freude, Neigung und Liebe in den verschiedensten Abstufungen — selbst den Kuß darzustellen ist ihm nicht versagt, — fromme Erhebung und ausge¬ lassene Lustigkeit, heiteres Kinderspiel und mühevolle Tagesarbeit: Alles ist mit gleicher Liebe und Treue und herzgewinnender Wahrheit dargestellt. Einzelnes anzuführen wäre überflüssig bei dem Reichthum von Bildern, die überall aus¬ gestreut sind, und unter denen jeder der Leser seine Lieblinge haben wird. Der unbefangenen Naivetät, welche Richter's Darstellungen auszeichnet, ent¬ spricht es, daß er mit besonderer Vorliebe und also, auch mit besonderem Glück die Gestalten bildet, welche jeden Eindruck am unbefangensten und anmuthig¬ sten wiedergeben, jugendliche und Frauengestalten. Für die Kinderwelt hat' Richter eine Empfänglichkeit, wie man sie fast nur von einer Mutter erwarten sollte, und er wird es nicht müde, sie in allem ihrem Thun und Treiben dar¬ zustellen, in ihrem harmlosen Spiel, in ihrem posstrlichen Ernst und der rührenden Innigkeit, die erst ahnen läßt, was in dem kleinen Herzchen Alles schlummert und knospet. Auch die Anmuth und Zartheit wie die Würde der Frauen¬ gestalt gelingt Richter unübertrefflich. Was bei ihm zu kurz kommt ist das kräftige Mannesalter, und das läßt sich gar nicht läugnen, daß er manche Ehe gestiftet hat, in denen der Mann unverhältnißmäßig alt gegen die Frau ist; da indeß das Familienglück sichtlich nicht darunter leidet, so mag man es sich gefallen lassen. Mit derselben Unbefangenheit faßt Richter auch das Komische auf und ein bewußter Humor, der mit sich selbst und auch wol mit seiner Kunst sein Spiel treibt, ist ihm fremd. Das Hauptobject seiner Laune ist, wie das in Deutschland auch gar nicht anders sein kann, der Philister. , Mit diesem aber steht er auf dem allerbesten Fuß, er gönnt es ihm von Herzen, daß ihm in seiner philiströsen Haut so wohl ist, und verkehrt so harmlos mit ihm, daß dieser sich gar nicht vor ihm genirt und mit ihm zu spaßen glaubt, ohne es zu merken, daß jener über ihn spaße. Darum giebt er auch typische Figuren des Philisters und keine Caricaturen. Ja die Linie, wo der Philister für seine deutschen Landsleute wirklich anfängt, .poetisch zu werden, hält er mit der feinsten Beobachtung inne. Ich kann auch gar keinen echten Philister mehr sehen ohne den stillen Wunsch, daß er doch Richter über den Weg laufen möge: nun, er wird keinen Mangel leiden. Das landschaftliche Element tritt bei diesen kleinen Kompositionen meistens zurück, allein es ist keineswegs beseitigt; vielmehr macht sich Richter's Ver¬ trautheit mit demselben und seine Neigung dafür in den meistens leichten An¬ deutungen geltend genug. Man kann hier das Umgekehrte behaupten, was von seinen Landschaften gilt: so wie dort die menschliche Gestalt nicht blos zur Staffage benutzt wird, so hier die Landschaft nicht blos zum Einrahmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/224>, abgerufen am 22.07.2024.