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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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geschöpft habe. Es war für den Künstler, der sein innerstes Wesen so be¬
stimmt und klar ausgesprochen hatte, daß es auch in der entstellenden Copie
noch unverkennbar hervortritt, nicht minder erfreulich, daß der aufmerksame
Beschauer dasselbe mit Sicherheit bezeichnete, als für den Kritiker, so seinen
richtigen Blick bewährt zu haben. In der That muß man den wesentlichen
Charakter der Richter'schen Kunst als den volksthümlichen bezeichnen, und zwar
nicht in der Weise, wie es in neuerer Zeit beliebt geworden ist, durch Beobach¬
tung einzelner Züge in den Sitten und Gewohnheiten der unteren Volks¬
schichten, die von denen der gebildeten Stande scharf abstechen, gewissermaßen
neue Decorationen und Costümes zum Vorschein zu bringen. Richter ist volks¬
tümlich, weil er mit aller Unbefangenheit und Wahrheit die menschliche Natur
aufzufassen und wiederzugeben weiß, in sofern sie eben als rein menschliche
einfach sich ausspricht, in sittlicher wie socialer Beziehung, und weil er in
dieser Richtung mit gleicher Liebe und Treue alle Aeußerungen derselben aus¬
nimmt, mögen sich dieselben individuell noch so verschieden gestalten, zart
romantisch oder komisch derb, aber stets gesund und wahr, immer ein Spiegel
der nächsten Umgebung. Es ist dies ja dieselbe Richtung seiner Natur, welche
ihn zu der eigenthümlichen Ausbildung seiner Landschaften trieb, in denen das
Volksleben die umgebende Natur, welche dasselbe bedingt, reflectirt, und die
auch in den Kompositionen sich geltend macht, in welchen das Landschaftliche
zurücktritt. Diese Einfachheit, die stets das Nächste wählt, ist der Grund der
Wahrheit und der Fülle in Richter's Schöpfungen. Wie die Natur in den
Aeußerungen der allgemeinen, ihrem innersten Wesen nach beschränkten und
sich gleich bleibenden Grundgesetze aller menschlichen Empfindungen und Hand¬
lungen eine unerschöpfliche Mannichfaltigkeit zeigt, und jeder einzelnenden Cha¬
rakter der Individualität aufprägt, so bewährt sich Richter dadurch wahrhaft
productiv, daß er es vermag, eine und dieselb? Grundempsindung oder Situation
durch alle Schattirungen in den feinsten Nuancen mit den einfachsten und gering¬
sten Mitteln stets verschieden zu charakterisieren, daß sie in jeder einzelnen
Erscheinung wahr und individuell wahr ist. Wiederholungen derselben Motive
wird man kaum bei ihm finden, weil jedes an seinem Platz und in seiner Um¬
gebung seinen ganz bestimmten Charakter hat; auch vor allem Manierirten
bewahrt ihn die Hingebung an die Natur, welche bei ihm stets frisch und un¬
getrübt bleibt.

Mustert man die lange Reihe von Schriften, welche Richter mit seinen
Compositionen illustrirt hat, so gewahrt man bald, daß es eine ziemlich bestimmt
begrenzte Sphäre ist, aus welcher er nicht leicht heraustritt. Es sind außer
den Volksbüchern ganz besonders Märchen in verschiedenen Bearbeitungen,
Volkslieder, denen man Hebel's Gedichte wol beigesellen darf, kurz die Litera¬
tur, welche eben jene einfachen Stimmungen und Situationen des Menschen


geschöpft habe. Es war für den Künstler, der sein innerstes Wesen so be¬
stimmt und klar ausgesprochen hatte, daß es auch in der entstellenden Copie
noch unverkennbar hervortritt, nicht minder erfreulich, daß der aufmerksame
Beschauer dasselbe mit Sicherheit bezeichnete, als für den Kritiker, so seinen
richtigen Blick bewährt zu haben. In der That muß man den wesentlichen
Charakter der Richter'schen Kunst als den volksthümlichen bezeichnen, und zwar
nicht in der Weise, wie es in neuerer Zeit beliebt geworden ist, durch Beobach¬
tung einzelner Züge in den Sitten und Gewohnheiten der unteren Volks¬
schichten, die von denen der gebildeten Stande scharf abstechen, gewissermaßen
neue Decorationen und Costümes zum Vorschein zu bringen. Richter ist volks¬
tümlich, weil er mit aller Unbefangenheit und Wahrheit die menschliche Natur
aufzufassen und wiederzugeben weiß, in sofern sie eben als rein menschliche
einfach sich ausspricht, in sittlicher wie socialer Beziehung, und weil er in
dieser Richtung mit gleicher Liebe und Treue alle Aeußerungen derselben aus¬
nimmt, mögen sich dieselben individuell noch so verschieden gestalten, zart
romantisch oder komisch derb, aber stets gesund und wahr, immer ein Spiegel
der nächsten Umgebung. Es ist dies ja dieselbe Richtung seiner Natur, welche
ihn zu der eigenthümlichen Ausbildung seiner Landschaften trieb, in denen das
Volksleben die umgebende Natur, welche dasselbe bedingt, reflectirt, und die
auch in den Kompositionen sich geltend macht, in welchen das Landschaftliche
zurücktritt. Diese Einfachheit, die stets das Nächste wählt, ist der Grund der
Wahrheit und der Fülle in Richter's Schöpfungen. Wie die Natur in den
Aeußerungen der allgemeinen, ihrem innersten Wesen nach beschränkten und
sich gleich bleibenden Grundgesetze aller menschlichen Empfindungen und Hand¬
lungen eine unerschöpfliche Mannichfaltigkeit zeigt, und jeder einzelnenden Cha¬
rakter der Individualität aufprägt, so bewährt sich Richter dadurch wahrhaft
productiv, daß er es vermag, eine und dieselb? Grundempsindung oder Situation
durch alle Schattirungen in den feinsten Nuancen mit den einfachsten und gering¬
sten Mitteln stets verschieden zu charakterisieren, daß sie in jeder einzelnen
Erscheinung wahr und individuell wahr ist. Wiederholungen derselben Motive
wird man kaum bei ihm finden, weil jedes an seinem Platz und in seiner Um¬
gebung seinen ganz bestimmten Charakter hat; auch vor allem Manierirten
bewahrt ihn die Hingebung an die Natur, welche bei ihm stets frisch und un¬
getrübt bleibt.

Mustert man die lange Reihe von Schriften, welche Richter mit seinen
Compositionen illustrirt hat, so gewahrt man bald, daß es eine ziemlich bestimmt
begrenzte Sphäre ist, aus welcher er nicht leicht heraustritt. Es sind außer
den Volksbüchern ganz besonders Märchen in verschiedenen Bearbeitungen,
Volkslieder, denen man Hebel's Gedichte wol beigesellen darf, kurz die Litera¬
tur, welche eben jene einfachen Stimmungen und Situationen des Menschen


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[0222] geschöpft habe. Es war für den Künstler, der sein innerstes Wesen so be¬ stimmt und klar ausgesprochen hatte, daß es auch in der entstellenden Copie noch unverkennbar hervortritt, nicht minder erfreulich, daß der aufmerksame Beschauer dasselbe mit Sicherheit bezeichnete, als für den Kritiker, so seinen richtigen Blick bewährt zu haben. In der That muß man den wesentlichen Charakter der Richter'schen Kunst als den volksthümlichen bezeichnen, und zwar nicht in der Weise, wie es in neuerer Zeit beliebt geworden ist, durch Beobach¬ tung einzelner Züge in den Sitten und Gewohnheiten der unteren Volks¬ schichten, die von denen der gebildeten Stande scharf abstechen, gewissermaßen neue Decorationen und Costümes zum Vorschein zu bringen. Richter ist volks¬ tümlich, weil er mit aller Unbefangenheit und Wahrheit die menschliche Natur aufzufassen und wiederzugeben weiß, in sofern sie eben als rein menschliche einfach sich ausspricht, in sittlicher wie socialer Beziehung, und weil er in dieser Richtung mit gleicher Liebe und Treue alle Aeußerungen derselben aus¬ nimmt, mögen sich dieselben individuell noch so verschieden gestalten, zart romantisch oder komisch derb, aber stets gesund und wahr, immer ein Spiegel der nächsten Umgebung. Es ist dies ja dieselbe Richtung seiner Natur, welche ihn zu der eigenthümlichen Ausbildung seiner Landschaften trieb, in denen das Volksleben die umgebende Natur, welche dasselbe bedingt, reflectirt, und die auch in den Kompositionen sich geltend macht, in welchen das Landschaftliche zurücktritt. Diese Einfachheit, die stets das Nächste wählt, ist der Grund der Wahrheit und der Fülle in Richter's Schöpfungen. Wie die Natur in den Aeußerungen der allgemeinen, ihrem innersten Wesen nach beschränkten und sich gleich bleibenden Grundgesetze aller menschlichen Empfindungen und Hand¬ lungen eine unerschöpfliche Mannichfaltigkeit zeigt, und jeder einzelnenden Cha¬ rakter der Individualität aufprägt, so bewährt sich Richter dadurch wahrhaft productiv, daß er es vermag, eine und dieselb? Grundempsindung oder Situation durch alle Schattirungen in den feinsten Nuancen mit den einfachsten und gering¬ sten Mitteln stets verschieden zu charakterisieren, daß sie in jeder einzelnen Erscheinung wahr und individuell wahr ist. Wiederholungen derselben Motive wird man kaum bei ihm finden, weil jedes an seinem Platz und in seiner Um¬ gebung seinen ganz bestimmten Charakter hat; auch vor allem Manierirten bewahrt ihn die Hingebung an die Natur, welche bei ihm stets frisch und un¬ getrübt bleibt. Mustert man die lange Reihe von Schriften, welche Richter mit seinen Compositionen illustrirt hat, so gewahrt man bald, daß es eine ziemlich bestimmt begrenzte Sphäre ist, aus welcher er nicht leicht heraustritt. Es sind außer den Volksbüchern ganz besonders Märchen in verschiedenen Bearbeitungen, Volkslieder, denen man Hebel's Gedichte wol beigesellen darf, kurz die Litera¬ tur, welche eben jene einfachen Stimmungen und Situationen des Menschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/222>, abgerufen am 22.07.2024.