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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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man noch einen weiten Blick hat; der ganze Eindruck ist kräftig, etwas rauh,
aber nicht finster, sondern klar und frei. Kurz, es ist eine Gegend, in der die
Sage von dem derben, neckischen, aber gutmüthigen Kobold Leib und Leben
gewinnen konnte. Wie ganz anders das zweite Blatt "Genovefa". Hier
ist die phantastische Poesie duftiger Waldeinsamkeit. Hohe Bäume erheben sich
über einer Felsenhöhle und verschränken sich zu einem Laubdach, durch dessen
Mitte nur ein dämmerndes Licht fällt, in dem man Hirsche weiden sieht. Wie
ein milder Stern glänzt aus dieser Waldesrande Genovefa hervor, die mit
Schmerzenreich und der Hindin neben einer Quelle sitzt, von Vögeln und
Thieren des Waldes friedlich umspielt. In dieser Composttion ist der Eindruck
der Waldeseinsamkeit und der Situation der Genovefa zu einer poetischen und
malerischen Harmonie verschmolzen, welche sie zu einer der vollendetsten Schö¬
pfungen neuer Kunst macht.

Ich werfe nun noch einen Blick auf den weiteren einfachen Lebensgang
unsres Künstlers. Im Jahre 1826 kehrte er aus Rom wieder nach Dresden
zurück, und brachte die Sehnsucht nach Italien mit, ohne welche Niemand von
dort scheidet. Durch die Ausführung der von daher mitgebrachten Skizzen
und Studien wurde dieselbe zu einer fast krankhaften Höhe gesteigert. Er faßte
auch wirklich mit mehreren Freuden den Entschluß, wieder nach Italien zu
gehen, und wanderte voraus nach Böhmen,'um dort die Reisegefährten zu er¬
warten. Allein statt ihrer trafen Entschuldigungen wegen unübersteiglicher Hin¬
dernisse ein, und auch Richter gab seinen Plan auf. Seitdem hat er auch keine
größere Reise unternommen, sondern nur Deutschland nach verschiedenen Rich¬
tungen in kleineren Touren durchstreift, wie er sie gern mutterseelenallein macht,
um in stiller Seligkeit kreuz und quer "herumzudusseln", mit Fels und Wolken,
Wald und Wass"r Zwiegespräch zu halten. Dabei taugt er, wie er selbst ein¬
gesteht, auch sür den besten Freund nicht als Reisegefährte, denn was nicht zur
Staffage zu rechnen sei, das sehe er nicht an, und gute Freunde und liebens¬
würdige Männer möge er unter die Kategorie nicht bringen.

Im Jahre 1828 bekam er eine kleine Anstellung an der mit der Por¬
zellanfabrik in Meißen verbundenen Zeichenschule, eine für einen Künstler
kaum zu ertragende Stellung. Als die Schule aufgehoben wurde, berief man
ihn im Jahre 1836 an die Akademie nach Dresden; seit dem Jahre 1841 ist
er Professor und Vorstand des Atelier sür Landschaftsmaler. Hier lebt er in
einfachen Verhältnissen still und zurückgezogen, glücklich in seiner Familie, be¬
liebt und geehrt in seinem Wirkungskreise als Künstler und Lehrer. Es liegt
in seiner Natur, leicht und gern auf die Bestrebungen seiner Schüler näher
einzugehen, und in theilnehmenden Gespräch ihnen zuzuhören und zuzureden;
durch die anspruchslose Einfachheit seines Charakters ist er so geeignet, ihr
Vertrauen zu erwecken, als durch die Macht einer ursprünglichen Künstlernatur


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man noch einen weiten Blick hat; der ganze Eindruck ist kräftig, etwas rauh,
aber nicht finster, sondern klar und frei. Kurz, es ist eine Gegend, in der die
Sage von dem derben, neckischen, aber gutmüthigen Kobold Leib und Leben
gewinnen konnte. Wie ganz anders das zweite Blatt „Genovefa". Hier
ist die phantastische Poesie duftiger Waldeinsamkeit. Hohe Bäume erheben sich
über einer Felsenhöhle und verschränken sich zu einem Laubdach, durch dessen
Mitte nur ein dämmerndes Licht fällt, in dem man Hirsche weiden sieht. Wie
ein milder Stern glänzt aus dieser Waldesrande Genovefa hervor, die mit
Schmerzenreich und der Hindin neben einer Quelle sitzt, von Vögeln und
Thieren des Waldes friedlich umspielt. In dieser Composttion ist der Eindruck
der Waldeseinsamkeit und der Situation der Genovefa zu einer poetischen und
malerischen Harmonie verschmolzen, welche sie zu einer der vollendetsten Schö¬
pfungen neuer Kunst macht.

Ich werfe nun noch einen Blick auf den weiteren einfachen Lebensgang
unsres Künstlers. Im Jahre 1826 kehrte er aus Rom wieder nach Dresden
zurück, und brachte die Sehnsucht nach Italien mit, ohne welche Niemand von
dort scheidet. Durch die Ausführung der von daher mitgebrachten Skizzen
und Studien wurde dieselbe zu einer fast krankhaften Höhe gesteigert. Er faßte
auch wirklich mit mehreren Freuden den Entschluß, wieder nach Italien zu
gehen, und wanderte voraus nach Böhmen,'um dort die Reisegefährten zu er¬
warten. Allein statt ihrer trafen Entschuldigungen wegen unübersteiglicher Hin¬
dernisse ein, und auch Richter gab seinen Plan auf. Seitdem hat er auch keine
größere Reise unternommen, sondern nur Deutschland nach verschiedenen Rich¬
tungen in kleineren Touren durchstreift, wie er sie gern mutterseelenallein macht,
um in stiller Seligkeit kreuz und quer „herumzudusseln", mit Fels und Wolken,
Wald und Wass«r Zwiegespräch zu halten. Dabei taugt er, wie er selbst ein¬
gesteht, auch sür den besten Freund nicht als Reisegefährte, denn was nicht zur
Staffage zu rechnen sei, das sehe er nicht an, und gute Freunde und liebens¬
würdige Männer möge er unter die Kategorie nicht bringen.

Im Jahre 1828 bekam er eine kleine Anstellung an der mit der Por¬
zellanfabrik in Meißen verbundenen Zeichenschule, eine für einen Künstler
kaum zu ertragende Stellung. Als die Schule aufgehoben wurde, berief man
ihn im Jahre 1836 an die Akademie nach Dresden; seit dem Jahre 1841 ist
er Professor und Vorstand des Atelier sür Landschaftsmaler. Hier lebt er in
einfachen Verhältnissen still und zurückgezogen, glücklich in seiner Familie, be¬
liebt und geehrt in seinem Wirkungskreise als Künstler und Lehrer. Es liegt
in seiner Natur, leicht und gern auf die Bestrebungen seiner Schüler näher
einzugehen, und in theilnehmenden Gespräch ihnen zuzuhören und zuzureden;
durch die anspruchslose Einfachheit seines Charakters ist er so geeignet, ihr
Vertrauen zu erwecken, als durch die Macht einer ursprünglichen Künstlernatur


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[0219] man noch einen weiten Blick hat; der ganze Eindruck ist kräftig, etwas rauh, aber nicht finster, sondern klar und frei. Kurz, es ist eine Gegend, in der die Sage von dem derben, neckischen, aber gutmüthigen Kobold Leib und Leben gewinnen konnte. Wie ganz anders das zweite Blatt „Genovefa". Hier ist die phantastische Poesie duftiger Waldeinsamkeit. Hohe Bäume erheben sich über einer Felsenhöhle und verschränken sich zu einem Laubdach, durch dessen Mitte nur ein dämmerndes Licht fällt, in dem man Hirsche weiden sieht. Wie ein milder Stern glänzt aus dieser Waldesrande Genovefa hervor, die mit Schmerzenreich und der Hindin neben einer Quelle sitzt, von Vögeln und Thieren des Waldes friedlich umspielt. In dieser Composttion ist der Eindruck der Waldeseinsamkeit und der Situation der Genovefa zu einer poetischen und malerischen Harmonie verschmolzen, welche sie zu einer der vollendetsten Schö¬ pfungen neuer Kunst macht. Ich werfe nun noch einen Blick auf den weiteren einfachen Lebensgang unsres Künstlers. Im Jahre 1826 kehrte er aus Rom wieder nach Dresden zurück, und brachte die Sehnsucht nach Italien mit, ohne welche Niemand von dort scheidet. Durch die Ausführung der von daher mitgebrachten Skizzen und Studien wurde dieselbe zu einer fast krankhaften Höhe gesteigert. Er faßte auch wirklich mit mehreren Freuden den Entschluß, wieder nach Italien zu gehen, und wanderte voraus nach Böhmen,'um dort die Reisegefährten zu er¬ warten. Allein statt ihrer trafen Entschuldigungen wegen unübersteiglicher Hin¬ dernisse ein, und auch Richter gab seinen Plan auf. Seitdem hat er auch keine größere Reise unternommen, sondern nur Deutschland nach verschiedenen Rich¬ tungen in kleineren Touren durchstreift, wie er sie gern mutterseelenallein macht, um in stiller Seligkeit kreuz und quer „herumzudusseln", mit Fels und Wolken, Wald und Wass«r Zwiegespräch zu halten. Dabei taugt er, wie er selbst ein¬ gesteht, auch sür den besten Freund nicht als Reisegefährte, denn was nicht zur Staffage zu rechnen sei, das sehe er nicht an, und gute Freunde und liebens¬ würdige Männer möge er unter die Kategorie nicht bringen. Im Jahre 1828 bekam er eine kleine Anstellung an der mit der Por¬ zellanfabrik in Meißen verbundenen Zeichenschule, eine für einen Künstler kaum zu ertragende Stellung. Als die Schule aufgehoben wurde, berief man ihn im Jahre 1836 an die Akademie nach Dresden; seit dem Jahre 1841 ist er Professor und Vorstand des Atelier sür Landschaftsmaler. Hier lebt er in einfachen Verhältnissen still und zurückgezogen, glücklich in seiner Familie, be¬ liebt und geehrt in seinem Wirkungskreise als Künstler und Lehrer. Es liegt in seiner Natur, leicht und gern auf die Bestrebungen seiner Schüler näher einzugehen, und in theilnehmenden Gespräch ihnen zuzuhören und zuzureden; durch die anspruchslose Einfachheit seines Charakters ist er so geeignet, ihr Vertrauen zu erwecken, als durch die Macht einer ursprünglichen Künstlernatur Grcnzlwten. I. 4 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/219>, abgerufen am 22.07.2024.