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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Nichts wirklich ist, sondern Alles nur Schein, wo wir uns selber nur als die
Schatten eines Traums bewegen, ist es ein bescheidener und angenehmer Glaube,
daß der Tod, wie alles Uebrige, uur ein Scherz, ein Spiel sei."

Von den übrigen Gedichten ist noch Epipsychidion auszuzeichnen (1821),
das hohe Lied der Liebe, wie sie Shelley begreift. Nach dieser Theorie soll
das Liebesentzücken Unrecht thun, wenn es sich auf einen bestimmten Gegenstand
beschränkt. Trotz dem kann der Geist es nicht vermeiden, sich ans allen mög¬
lichen Bildern des Schönen ein Ideal zusammenzusetzen, dem er sehnsüchtig nach¬
strebt, ohne es je zu erreichen. Mitten in dieser Philosophie werden wir durch
das Geständniß überrascht, daß der Dichter in der schönen Emilie dieses Ideal
gesunden habe. Er wirst sich ihr in rührender Demuth zu Füßen, und fordert
sie auf, mit ihm zu entfliehen. Er habe ein einsames Haus auf einer schönen
Insel, das ihre Heimath werden könne. Dieser scheinbare Realismus wird aber
bald wieder aufgehoben, da die Gluth der Liebe sich immer steigert und die
Phantasie erlahmt, ihr zu folgen. "Weh ist mir," ruft der Dichter aus,, "die
beschwingte" Worte, auf welchen meine Seele sich zu der Höhe des Liebespara¬
dieses aufschwingen möchte, sind Bleiketten um einen Feuerstrom: Ich zittere, ich
sinke, ich sterbe." -- Obgleich die Sprache feiner und zarter ist, erinnert dieses
Gedicht doch stark an Schiller's verliebte Jugendphantasien. -- In einem andern
Gedichte Adonais (1821), einem Trauergedicht 'um den Tod seines Freundes
Keats, spricht sich der Schmerz gar zu redselig aus. Ein gutes beschreibendes
Gedicht ist die Vision der See (1820). -- Von den zahlreichen Fragmenten
heben wir hier noch ein charakteristisches heraus, deu Prinzen Athanasius.
Es schildert einen vortrefflichen jungeu Mann, der aber von einem geheimen
Gram verzehrt wird. Worin dieser Gram besteht, erfahre" seine Freunde so we¬
nig als das Publicum, obgleich der Dichter noch ein Paar Mal den Anlauf gemacht
hat, in einer Fortsetzung sich darüber anzusprechen.

Unter deu Uebersetzungen sind zwei Fragmente des Faust, der Prolog und
die Walpurgisnacht, die von einem tiefen Verständniß des deutschen Dichters
zeugen. Ueberhaupt hat dieses Gedicht auf das Denken und Empfinden Shelley's,
und namentlich auf seine künstlerische Composttion, einen großen und nicht gerade
günstigen Einfluß ausgeübt, und es ist für uns Deutsche ein gemischtes Gefühl,
wenn wir sehen, wie eifrig das junge England uns eben so in unsren Verirrungen
wie in unsren ernsten, hingebenden Bestrebungen folgt.

Wie Shelley's zarte, träumerische Natur auf die neueren Dichter eingewirkt
hat, kaun sich erst ergeben, wenn , wir diese selbst ins Auge fassen, aber schon
gleichzeitig mit ihm treten eine Reihe talentvoller Dichter auf, die ungefähr in
dem nämlichen Sinne wirkten. Seine eigene Fran, die seine Werke herausgegeben
hat, und in ihm einen Märtyrer und Propheten des neuen Evangeliums verehrte,
. die Tochter des Dichters Godwin und der Marie Wollstoucraft, der ersten Dame,


Nichts wirklich ist, sondern Alles nur Schein, wo wir uns selber nur als die
Schatten eines Traums bewegen, ist es ein bescheidener und angenehmer Glaube,
daß der Tod, wie alles Uebrige, uur ein Scherz, ein Spiel sei."

Von den übrigen Gedichten ist noch Epipsychidion auszuzeichnen (1821),
das hohe Lied der Liebe, wie sie Shelley begreift. Nach dieser Theorie soll
das Liebesentzücken Unrecht thun, wenn es sich auf einen bestimmten Gegenstand
beschränkt. Trotz dem kann der Geist es nicht vermeiden, sich ans allen mög¬
lichen Bildern des Schönen ein Ideal zusammenzusetzen, dem er sehnsüchtig nach¬
strebt, ohne es je zu erreichen. Mitten in dieser Philosophie werden wir durch
das Geständniß überrascht, daß der Dichter in der schönen Emilie dieses Ideal
gesunden habe. Er wirst sich ihr in rührender Demuth zu Füßen, und fordert
sie auf, mit ihm zu entfliehen. Er habe ein einsames Haus auf einer schönen
Insel, das ihre Heimath werden könne. Dieser scheinbare Realismus wird aber
bald wieder aufgehoben, da die Gluth der Liebe sich immer steigert und die
Phantasie erlahmt, ihr zu folgen. „Weh ist mir," ruft der Dichter aus,, „die
beschwingte« Worte, auf welchen meine Seele sich zu der Höhe des Liebespara¬
dieses aufschwingen möchte, sind Bleiketten um einen Feuerstrom: Ich zittere, ich
sinke, ich sterbe." — Obgleich die Sprache feiner und zarter ist, erinnert dieses
Gedicht doch stark an Schiller's verliebte Jugendphantasien. — In einem andern
Gedichte Adonais (1821), einem Trauergedicht 'um den Tod seines Freundes
Keats, spricht sich der Schmerz gar zu redselig aus. Ein gutes beschreibendes
Gedicht ist die Vision der See (1820). — Von den zahlreichen Fragmenten
heben wir hier noch ein charakteristisches heraus, deu Prinzen Athanasius.
Es schildert einen vortrefflichen jungeu Mann, der aber von einem geheimen
Gram verzehrt wird. Worin dieser Gram besteht, erfahre» seine Freunde so we¬
nig als das Publicum, obgleich der Dichter noch ein Paar Mal den Anlauf gemacht
hat, in einer Fortsetzung sich darüber anzusprechen.

Unter deu Uebersetzungen sind zwei Fragmente des Faust, der Prolog und
die Walpurgisnacht, die von einem tiefen Verständniß des deutschen Dichters
zeugen. Ueberhaupt hat dieses Gedicht auf das Denken und Empfinden Shelley's,
und namentlich auf seine künstlerische Composttion, einen großen und nicht gerade
günstigen Einfluß ausgeübt, und es ist für uns Deutsche ein gemischtes Gefühl,
wenn wir sehen, wie eifrig das junge England uns eben so in unsren Verirrungen
wie in unsren ernsten, hingebenden Bestrebungen folgt.

Wie Shelley's zarte, träumerische Natur auf die neueren Dichter eingewirkt
hat, kaun sich erst ergeben, wenn , wir diese selbst ins Auge fassen, aber schon
gleichzeitig mit ihm treten eine Reihe talentvoller Dichter auf, die ungefähr in
dem nämlichen Sinne wirkten. Seine eigene Fran, die seine Werke herausgegeben
hat, und in ihm einen Märtyrer und Propheten des neuen Evangeliums verehrte,
. die Tochter des Dichters Godwin und der Marie Wollstoucraft, der ersten Dame,


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[0184] Nichts wirklich ist, sondern Alles nur Schein, wo wir uns selber nur als die Schatten eines Traums bewegen, ist es ein bescheidener und angenehmer Glaube, daß der Tod, wie alles Uebrige, uur ein Scherz, ein Spiel sei." Von den übrigen Gedichten ist noch Epipsychidion auszuzeichnen (1821), das hohe Lied der Liebe, wie sie Shelley begreift. Nach dieser Theorie soll das Liebesentzücken Unrecht thun, wenn es sich auf einen bestimmten Gegenstand beschränkt. Trotz dem kann der Geist es nicht vermeiden, sich ans allen mög¬ lichen Bildern des Schönen ein Ideal zusammenzusetzen, dem er sehnsüchtig nach¬ strebt, ohne es je zu erreichen. Mitten in dieser Philosophie werden wir durch das Geständniß überrascht, daß der Dichter in der schönen Emilie dieses Ideal gesunden habe. Er wirst sich ihr in rührender Demuth zu Füßen, und fordert sie auf, mit ihm zu entfliehen. Er habe ein einsames Haus auf einer schönen Insel, das ihre Heimath werden könne. Dieser scheinbare Realismus wird aber bald wieder aufgehoben, da die Gluth der Liebe sich immer steigert und die Phantasie erlahmt, ihr zu folgen. „Weh ist mir," ruft der Dichter aus,, „die beschwingte« Worte, auf welchen meine Seele sich zu der Höhe des Liebespara¬ dieses aufschwingen möchte, sind Bleiketten um einen Feuerstrom: Ich zittere, ich sinke, ich sterbe." — Obgleich die Sprache feiner und zarter ist, erinnert dieses Gedicht doch stark an Schiller's verliebte Jugendphantasien. — In einem andern Gedichte Adonais (1821), einem Trauergedicht 'um den Tod seines Freundes Keats, spricht sich der Schmerz gar zu redselig aus. Ein gutes beschreibendes Gedicht ist die Vision der See (1820). — Von den zahlreichen Fragmenten heben wir hier noch ein charakteristisches heraus, deu Prinzen Athanasius. Es schildert einen vortrefflichen jungeu Mann, der aber von einem geheimen Gram verzehrt wird. Worin dieser Gram besteht, erfahre» seine Freunde so we¬ nig als das Publicum, obgleich der Dichter noch ein Paar Mal den Anlauf gemacht hat, in einer Fortsetzung sich darüber anzusprechen. Unter deu Uebersetzungen sind zwei Fragmente des Faust, der Prolog und die Walpurgisnacht, die von einem tiefen Verständniß des deutschen Dichters zeugen. Ueberhaupt hat dieses Gedicht auf das Denken und Empfinden Shelley's, und namentlich auf seine künstlerische Composttion, einen großen und nicht gerade günstigen Einfluß ausgeübt, und es ist für uns Deutsche ein gemischtes Gefühl, wenn wir sehen, wie eifrig das junge England uns eben so in unsren Verirrungen wie in unsren ernsten, hingebenden Bestrebungen folgt. Wie Shelley's zarte, träumerische Natur auf die neueren Dichter eingewirkt hat, kaun sich erst ergeben, wenn , wir diese selbst ins Auge fassen, aber schon gleichzeitig mit ihm treten eine Reihe talentvoller Dichter auf, die ungefähr in dem nämlichen Sinne wirkten. Seine eigene Fran, die seine Werke herausgegeben hat, und in ihm einen Märtyrer und Propheten des neuen Evangeliums verehrte, . die Tochter des Dichters Godwin und der Marie Wollstoucraft, der ersten Dame,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/184>, abgerufen am 22.07.2024.