Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.wie in der Empfindung beiden gemein. Sobald man es verschmäht, durch Be¬ Was wir von der "Empörung des Islam" sagten, gilt eigentlich von Wir lassen hier noch eine Uebersicht der bedeutendsten unter seinen wie in der Empfindung beiden gemein. Sobald man es verschmäht, durch Be¬ Was wir von der „Empörung des Islam" sagten, gilt eigentlich von Wir lassen hier noch eine Uebersicht der bedeutendsten unter seinen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0180" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93545"/> <p xml:id="ID_502" prev="#ID_501"> wie in der Empfindung beiden gemein. Sobald man es verschmäht, durch Be¬<lb/> ziehung ans die Natur der Dinge seinen Visionen Maß und Gestaltung zu geben,<lb/> ist es ziemlich einerlei, ob man in die ideenlose, fratzenhafte Arabeskenwelt der<lb/> bloßen Sinnlichkeit, oder in den Jdeennebel eines unsinnlichen Gedankenlabyrinths<lb/> sich verirrt.</p><lb/> <p xml:id="ID_503"> Was wir von der „Empörung des Islam" sagten, gilt eigentlich von<lb/> sämmtlichen Gedichten Shelley's. Wir haben überall schillernde, glänzende Far¬<lb/> ben, die zuweilen unsre Sinne schmeichlerisch bestricken, aber keine Zeichnung, keine<lb/> Gestalt. Seine Poesie hat denselben unfertigen Charakter, wie, nach dem seinen ge¬<lb/> sammelten Werken vorausgesetzten Portrait zu schließen, seine eigene Physiogno¬<lb/> mie. Sie ist von einer ungemeinen Schönheit, aber unreif, weibisch und zu<lb/> durchsichtig, um einen Charakter zu zeigen. Seine Gedanken und Bilder sind<lb/> embryonisch; sie häufen sich, aber ohne die Sache klar zu machen; seine Gedanken<lb/> künstlich versteckt, die Gefühle in Abstractionen aufgelöst, und diese wieder zu<lb/> räthselhaften Allegorien verdichtet, über die wir keinen Aufschluß erhalten. Nur<lb/> Eins ist bei ihm klar und poetisch: die Stimmung, die zuweilen einen nnaus-<lb/> sprechlich rührenden Eindruck macht. Er hat ein sehr musikalisches Gefühl, ob¬<lb/> gleich er auch hier unfertig geblieben ist, denn selbst im kleinen lyrischen Gedicht<lb/> bringt er es, einzelne anerkennenswerthe Ausnahmen abgerechnet, z. B. das<lb/> schöne Gedicht >>I. 9. 204, nie zum wirklichen Abschluß. Er ist reich an kleinen<lb/> zierlichen Gedanken und Bildern, ungefähr wie Robert Schumann, aber in der<lb/> Freude an dieser Virtuosität verliert er die Fähigkeit, einen großen Plan energisch<lb/> zusammenzuhalten, und dadurch wird auch das kleine Bild beeinträchtigt, denn er<lb/> verweilt zu lange dabei, und führt es breiter aus, als der Umfang des Geben><lb/> tems erträgt. Der Grundzug seiner Poesien ist eine sinnige, träumerische Melan¬<lb/> cholie, die innige, aber unbestimmte Sehnsucht uach einem Gegenstande, der ihm<lb/> beständig entflieht. Ueber alle seine Gedichte, auch wenn sie einen kühnen ide¬<lb/> ellen Anflug zu nehmen scheinen, breitet sich der Schatten des Todes, der für<lb/> ihn etwas geheimnißvoll Reizendes hat. Seine beschauliche, lebhast, aber nicht<lb/> energisch empfindende Natur war am wenigsten zu dem Berufe' geeignet, den er<lb/> sich gesetzt hatte, ein Dichter der Freiheit zu werden. — Außerdem war er zu un¬<lb/> ruhig, um seinen Melodien diejenige äußere Vollendung zu geben, die ihrem Cha¬<lb/> rakter angemessen war: sein Versbau ist schlecht, sein Reim ungenau, am besten<lb/> ist er in den ganz freien Jamben, wo der Rhythmus nur wie ein loses Gewand<lb/> die zarte Gestalt seiner Phantasie umflattert.</p><lb/> <p xml:id="ID_504" next="#ID_505"> Wir lassen hier noch eine Uebersicht der bedeutendsten unter seinen<lb/> kleineren Gedichten folgen. Das erste war die Königin Mad (1810),<lb/> eine zarte, von träumerischen Reflexionen über Schlaf und Tod unter¬<lb/> brochene Vision, in welcher eine Fee in flüchtigen Bildern dem menschlichen<lb/> Geist die Harmonie der Natur anschaulich macht. — Größer ausgeführt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0180]
wie in der Empfindung beiden gemein. Sobald man es verschmäht, durch Be¬
ziehung ans die Natur der Dinge seinen Visionen Maß und Gestaltung zu geben,
ist es ziemlich einerlei, ob man in die ideenlose, fratzenhafte Arabeskenwelt der
bloßen Sinnlichkeit, oder in den Jdeennebel eines unsinnlichen Gedankenlabyrinths
sich verirrt.
Was wir von der „Empörung des Islam" sagten, gilt eigentlich von
sämmtlichen Gedichten Shelley's. Wir haben überall schillernde, glänzende Far¬
ben, die zuweilen unsre Sinne schmeichlerisch bestricken, aber keine Zeichnung, keine
Gestalt. Seine Poesie hat denselben unfertigen Charakter, wie, nach dem seinen ge¬
sammelten Werken vorausgesetzten Portrait zu schließen, seine eigene Physiogno¬
mie. Sie ist von einer ungemeinen Schönheit, aber unreif, weibisch und zu
durchsichtig, um einen Charakter zu zeigen. Seine Gedanken und Bilder sind
embryonisch; sie häufen sich, aber ohne die Sache klar zu machen; seine Gedanken
künstlich versteckt, die Gefühle in Abstractionen aufgelöst, und diese wieder zu
räthselhaften Allegorien verdichtet, über die wir keinen Aufschluß erhalten. Nur
Eins ist bei ihm klar und poetisch: die Stimmung, die zuweilen einen nnaus-
sprechlich rührenden Eindruck macht. Er hat ein sehr musikalisches Gefühl, ob¬
gleich er auch hier unfertig geblieben ist, denn selbst im kleinen lyrischen Gedicht
bringt er es, einzelne anerkennenswerthe Ausnahmen abgerechnet, z. B. das
schöne Gedicht >>I. 9. 204, nie zum wirklichen Abschluß. Er ist reich an kleinen
zierlichen Gedanken und Bildern, ungefähr wie Robert Schumann, aber in der
Freude an dieser Virtuosität verliert er die Fähigkeit, einen großen Plan energisch
zusammenzuhalten, und dadurch wird auch das kleine Bild beeinträchtigt, denn er
verweilt zu lange dabei, und führt es breiter aus, als der Umfang des Geben>
tems erträgt. Der Grundzug seiner Poesien ist eine sinnige, träumerische Melan¬
cholie, die innige, aber unbestimmte Sehnsucht uach einem Gegenstande, der ihm
beständig entflieht. Ueber alle seine Gedichte, auch wenn sie einen kühnen ide¬
ellen Anflug zu nehmen scheinen, breitet sich der Schatten des Todes, der für
ihn etwas geheimnißvoll Reizendes hat. Seine beschauliche, lebhast, aber nicht
energisch empfindende Natur war am wenigsten zu dem Berufe' geeignet, den er
sich gesetzt hatte, ein Dichter der Freiheit zu werden. — Außerdem war er zu un¬
ruhig, um seinen Melodien diejenige äußere Vollendung zu geben, die ihrem Cha¬
rakter angemessen war: sein Versbau ist schlecht, sein Reim ungenau, am besten
ist er in den ganz freien Jamben, wo der Rhythmus nur wie ein loses Gewand
die zarte Gestalt seiner Phantasie umflattert.
Wir lassen hier noch eine Uebersicht der bedeutendsten unter seinen
kleineren Gedichten folgen. Das erste war die Königin Mad (1810),
eine zarte, von träumerischen Reflexionen über Schlaf und Tod unter¬
brochene Vision, in welcher eine Fee in flüchtigen Bildern dem menschlichen
Geist die Harmonie der Natur anschaulich macht. — Größer ausgeführt
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