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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Todtenfeier eröffnet. Eine Menge von Weibern wird zu Ehren des Todten ver¬
brannt, und Kehama beschwört den Geist desselben herauf. Dieser zankt sich sehr
lebhast mit seinem Vater, und verlangt das Weib, um dessen willen er getödtet
ist. Kehama will sie ihm geben, aber irgend eine Gottheit, die noch nicht unter
seiner Botmäßigkeit steht, weiß sie zu retten. Dafür spricht Kehama einen fürch¬
terlichen Fluch gegen ihren Vater ans. Er macht ihn unverwundbar und wenig¬
stens vorläufig unsterblich; aber alle Elemente, Speise und Traut solle" ihn fliehen,
anch der Schlaf. Das Gespenst Ladnrlad's wird befähigt, seine Absichten gegen
das Mädchen weiter zu verfolgen, und versucht mehrmals, ihr Gewalt anzuthun,
wird aber jedesmal durch irgend einen Umstand, in der Regel dnrch das Da¬
zwischenkommen eines wohlthätigen Genius, der zwar große Furcht vor Kehama
hat, aber doch aus Liebe zur schönen Sterblichen ihm zu trotzen wagt, daran
verhindert. Bei der zahllosen Menge von Gottheiten, welche sich in diesen Wett¬
streit mischen, ergeben sich die seltsamsten Verwandlungen nud Wunder. Kehama,
der bereits Herr der Erde ist, steht im Begriff, sich auch deu Himmel zu unter¬
werfen, mit Ausnahme jener Lichtregion, in welcher die indische Dreieinigkeit
waltet. Zu diesem Zweck muß er nur noch dreißig Kameele opfern; neunund-
zwanzig siud schou getödtet, das dreißigste aber wird durch Ladurlad entführt, dem
Kehama seines eigenen Fluches wegen nicht beikommen kann. Dafür läßt er
seine Wuth an seinen eigeuen Getreuen ans, die zu Tausenden niedergemetzelt
werden. Nach einigen Zwischengeschichten, z. B. dem Kampf zwischen Ladlirlad
und einem Ungeheuer, welcher eine Woche dauert, weil dasselbe ebeu so unver¬
wundbar ist wie er, und welcher nur dadurch beendet wird, daß es die Schlaf¬
losigkeit nicht länger ertragen kann, kommt Kehama endlich dazu, sein dreißigstes
Kameel zu opfern. Ein Schauder geht durch das Universum. Er ist jetzt Herr
des Himmels, und alle Götter müssen ihm dienen. Nun will er auch noch die
Holle erobern. Er stürmt die acht Thore derselben, und zwar, da er jetzt all¬
mächtig ist, alle acht Thore zu gleicher Zeit in eigener Person. In allen diesen
Schlachten besiegt er seine höllischen Gegner, und dringt als Herr achtfach in die
Unterwelt ein. Der Thronsessel des höllischen Gottes wird getragen dnrch drei
Männer, die in ewigen Flammen brennen; die vierte Stelle, die noch unbesetzt
ist, soll Ladurlad einnehmen. Kehama läßt sich den Trank der Unsterblichkeit
reichen, aber er hat die Wirkung desselben nicht gehörig berechnet: er steht
plötzlich in Flammen, und muß jene Stelle einnehmen, die er seinem Feind be¬
stimmt hatte. Ladurlad findet jetzt die Nuhe, die er so lange vergebens gesucht
hatte, und seine Tochter wird in eine Art Göttin verwandelt.

Zwar unterscheidet sich dieses Gedicht von der "Empörung des Islam"
wesentlich dnrch den Mangel jeder allgemeinen Idee, so wie es sich dnrch die
Schärfe der einzelnen, obgleich auf widersinnigen Voraussetzungen beruhenden
Bilder vor ihm auszeichnet, doch ist der Fehler der Maßlosigkeit in der Phantasie


Grenzboten. I. 22

Todtenfeier eröffnet. Eine Menge von Weibern wird zu Ehren des Todten ver¬
brannt, und Kehama beschwört den Geist desselben herauf. Dieser zankt sich sehr
lebhast mit seinem Vater, und verlangt das Weib, um dessen willen er getödtet
ist. Kehama will sie ihm geben, aber irgend eine Gottheit, die noch nicht unter
seiner Botmäßigkeit steht, weiß sie zu retten. Dafür spricht Kehama einen fürch¬
terlichen Fluch gegen ihren Vater ans. Er macht ihn unverwundbar und wenig¬
stens vorläufig unsterblich; aber alle Elemente, Speise und Traut solle» ihn fliehen,
anch der Schlaf. Das Gespenst Ladnrlad's wird befähigt, seine Absichten gegen
das Mädchen weiter zu verfolgen, und versucht mehrmals, ihr Gewalt anzuthun,
wird aber jedesmal durch irgend einen Umstand, in der Regel dnrch das Da¬
zwischenkommen eines wohlthätigen Genius, der zwar große Furcht vor Kehama
hat, aber doch aus Liebe zur schönen Sterblichen ihm zu trotzen wagt, daran
verhindert. Bei der zahllosen Menge von Gottheiten, welche sich in diesen Wett¬
streit mischen, ergeben sich die seltsamsten Verwandlungen nud Wunder. Kehama,
der bereits Herr der Erde ist, steht im Begriff, sich auch deu Himmel zu unter¬
werfen, mit Ausnahme jener Lichtregion, in welcher die indische Dreieinigkeit
waltet. Zu diesem Zweck muß er nur noch dreißig Kameele opfern; neunund-
zwanzig siud schou getödtet, das dreißigste aber wird durch Ladurlad entführt, dem
Kehama seines eigenen Fluches wegen nicht beikommen kann. Dafür läßt er
seine Wuth an seinen eigeuen Getreuen ans, die zu Tausenden niedergemetzelt
werden. Nach einigen Zwischengeschichten, z. B. dem Kampf zwischen Ladlirlad
und einem Ungeheuer, welcher eine Woche dauert, weil dasselbe ebeu so unver¬
wundbar ist wie er, und welcher nur dadurch beendet wird, daß es die Schlaf¬
losigkeit nicht länger ertragen kann, kommt Kehama endlich dazu, sein dreißigstes
Kameel zu opfern. Ein Schauder geht durch das Universum. Er ist jetzt Herr
des Himmels, und alle Götter müssen ihm dienen. Nun will er auch noch die
Holle erobern. Er stürmt die acht Thore derselben, und zwar, da er jetzt all¬
mächtig ist, alle acht Thore zu gleicher Zeit in eigener Person. In allen diesen
Schlachten besiegt er seine höllischen Gegner, und dringt als Herr achtfach in die
Unterwelt ein. Der Thronsessel des höllischen Gottes wird getragen dnrch drei
Männer, die in ewigen Flammen brennen; die vierte Stelle, die noch unbesetzt
ist, soll Ladurlad einnehmen. Kehama läßt sich den Trank der Unsterblichkeit
reichen, aber er hat die Wirkung desselben nicht gehörig berechnet: er steht
plötzlich in Flammen, und muß jene Stelle einnehmen, die er seinem Feind be¬
stimmt hatte. Ladurlad findet jetzt die Nuhe, die er so lange vergebens gesucht
hatte, und seine Tochter wird in eine Art Göttin verwandelt.

Zwar unterscheidet sich dieses Gedicht von der „Empörung des Islam"
wesentlich dnrch den Mangel jeder allgemeinen Idee, so wie es sich dnrch die
Schärfe der einzelnen, obgleich auf widersinnigen Voraussetzungen beruhenden
Bilder vor ihm auszeichnet, doch ist der Fehler der Maßlosigkeit in der Phantasie


Grenzboten. I. 22
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[0179] Todtenfeier eröffnet. Eine Menge von Weibern wird zu Ehren des Todten ver¬ brannt, und Kehama beschwört den Geist desselben herauf. Dieser zankt sich sehr lebhast mit seinem Vater, und verlangt das Weib, um dessen willen er getödtet ist. Kehama will sie ihm geben, aber irgend eine Gottheit, die noch nicht unter seiner Botmäßigkeit steht, weiß sie zu retten. Dafür spricht Kehama einen fürch¬ terlichen Fluch gegen ihren Vater ans. Er macht ihn unverwundbar und wenig¬ stens vorläufig unsterblich; aber alle Elemente, Speise und Traut solle» ihn fliehen, anch der Schlaf. Das Gespenst Ladnrlad's wird befähigt, seine Absichten gegen das Mädchen weiter zu verfolgen, und versucht mehrmals, ihr Gewalt anzuthun, wird aber jedesmal durch irgend einen Umstand, in der Regel dnrch das Da¬ zwischenkommen eines wohlthätigen Genius, der zwar große Furcht vor Kehama hat, aber doch aus Liebe zur schönen Sterblichen ihm zu trotzen wagt, daran verhindert. Bei der zahllosen Menge von Gottheiten, welche sich in diesen Wett¬ streit mischen, ergeben sich die seltsamsten Verwandlungen nud Wunder. Kehama, der bereits Herr der Erde ist, steht im Begriff, sich auch deu Himmel zu unter¬ werfen, mit Ausnahme jener Lichtregion, in welcher die indische Dreieinigkeit waltet. Zu diesem Zweck muß er nur noch dreißig Kameele opfern; neunund- zwanzig siud schou getödtet, das dreißigste aber wird durch Ladurlad entführt, dem Kehama seines eigenen Fluches wegen nicht beikommen kann. Dafür läßt er seine Wuth an seinen eigeuen Getreuen ans, die zu Tausenden niedergemetzelt werden. Nach einigen Zwischengeschichten, z. B. dem Kampf zwischen Ladlirlad und einem Ungeheuer, welcher eine Woche dauert, weil dasselbe ebeu so unver¬ wundbar ist wie er, und welcher nur dadurch beendet wird, daß es die Schlaf¬ losigkeit nicht länger ertragen kann, kommt Kehama endlich dazu, sein dreißigstes Kameel zu opfern. Ein Schauder geht durch das Universum. Er ist jetzt Herr des Himmels, und alle Götter müssen ihm dienen. Nun will er auch noch die Holle erobern. Er stürmt die acht Thore derselben, und zwar, da er jetzt all¬ mächtig ist, alle acht Thore zu gleicher Zeit in eigener Person. In allen diesen Schlachten besiegt er seine höllischen Gegner, und dringt als Herr achtfach in die Unterwelt ein. Der Thronsessel des höllischen Gottes wird getragen dnrch drei Männer, die in ewigen Flammen brennen; die vierte Stelle, die noch unbesetzt ist, soll Ladurlad einnehmen. Kehama läßt sich den Trank der Unsterblichkeit reichen, aber er hat die Wirkung desselben nicht gehörig berechnet: er steht plötzlich in Flammen, und muß jene Stelle einnehmen, die er seinem Feind be¬ stimmt hatte. Ladurlad findet jetzt die Nuhe, die er so lange vergebens gesucht hatte, und seine Tochter wird in eine Art Göttin verwandelt. Zwar unterscheidet sich dieses Gedicht von der „Empörung des Islam" wesentlich dnrch den Mangel jeder allgemeinen Idee, so wie es sich dnrch die Schärfe der einzelnen, obgleich auf widersinnigen Voraussetzungen beruhenden Bilder vor ihm auszeichnet, doch ist der Fehler der Maßlosigkeit in der Phantasie Grenzboten. I. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/179>, abgerufen am 22.07.2024.