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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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düngen, daß wir uns über den Ausgang, den Aeschylus am Schluß seiner Tri-
logie dieser seltsamen Verwickelung gegeben haben könnte, in die widersprechendsten
Vermuthungen eingelassen haben, ohne der Lösung um einen Schritt näher gekommen
zu sein. Bei der Naivetät der alten Göttergeschichten, in denen Zeus eben so indivi¬
duell auftritt, wie die übrigen Bewohner des Olymp, in denen er seine Vorgänger
stürzt, und sich auf der Erde in eben so anmuthige, als bedenkliche Abenteuer
einläßt, würde diese Vorstellung nichts Befremdendes haben; aber in Aeschylus
ist bereits der Geist philosophischer Verallgemeinerung vorhanden, und es scheint
sast so, als ob sich jener Mythus in der That auf das Wesen der göttlichen
Natur beziehen sollte. Shelley hat in seinem Drama die alte Mythologie und
die moderne Vorstellungsweise so in einander gemischt, daß das Verworrene
noch verworrener, das Dunkle noch dunkler geworden ist. Jupiter ist bei ihm
allmächtiger Gott, der Sieger und Herr über alle geschaffenen und ""geschaffenen
Wesen; zugleich ist er aber ein ausgemachter Teufel, ein boshafter Tyrann ohne
alle Spur edler Empfindung. Nun schimmert zwar an einigen Stellen die Idee
eines andern, guten Gottes dnrch, der nnr nicht im Stande ist, sich geltend zu
machen, wahrscheinlich der Spinozistische Naturgott, dessen Vollkommenheit ledig¬
lich in seiner UnPersönlichkeit beruht; aber als ein anderer, mächtiger Gegner
Jupiters tritt Demogvrgon auf, der, gleichfalls unpersönlich, gleichfalls ein Natnr-
symbol, dennoch von jenem Spiuozistischen Gott unterschieden wird. Er steigt
gegen das Ende der Tragödie ans dem "Wagen der Stunden" zu Jupiter's Be¬
hausung empor, und bannt diesen, der vergebens seine Blitze spielen läßt, durch
einen magischen Zauber. Jupiter versinkt in unermeßliche Ewigkeiten, und mit
ihm, wie es scheint, der größte Theil der übrigen Götter, obgleich einige übrig
bleiben, z. B. Apollo, der Sonnengott. Auf den Thron des Himmels und der
Erde wird der Repräsentant der leidenden und empfindende" Menschheit, Prome¬
theus, gestellt, und mit ihm seine Gemahlin Asia, von der es zuerst so aussieht,
als ob sie eine wirkliche Individualität darstellen sollte, die sich dann aber zum
Begriff des Welttheils Asien erweitert, und endlich in so überschwenglichen Lichte
strahlt, daß man annehmen muß, sie solle noch etwas mehr bedeute", etwa deu
weiblichen Theil der Menschheit, oder sonst etwas. Charakterlos wie diese Haupt¬
personen, sind alle Figuren von untergeordneter Bedeutung gehalten, z. B.
mehrere Schwester" der Asia, der Chor der Furien, der neben dem physischen
Schmerz, den er Prometheus bereitet, sich auch in geistigen Martern gefällt, in¬
dem er ihm z. B. das Elend der Menschheit in einem Gesammtbilde vorführt,
in welcher Vision auch Christi Kreuzigung vorkommt. Von einem anch nur
ideellen Zusammenhang ist keine Rede. Die einzelnen Scenen breiten sich mit
der größten Unbefangenheit lyrisch ans, und eine folgt ans die andere ohne Ver¬
mittelung. Gegen dieses Gedicht gehalten, ist der zweite Theil des Faust noch
sehr klar und verständlich. Was einem solchen Quodlibet allein eine gewisse


düngen, daß wir uns über den Ausgang, den Aeschylus am Schluß seiner Tri-
logie dieser seltsamen Verwickelung gegeben haben könnte, in die widersprechendsten
Vermuthungen eingelassen haben, ohne der Lösung um einen Schritt näher gekommen
zu sein. Bei der Naivetät der alten Göttergeschichten, in denen Zeus eben so indivi¬
duell auftritt, wie die übrigen Bewohner des Olymp, in denen er seine Vorgänger
stürzt, und sich auf der Erde in eben so anmuthige, als bedenkliche Abenteuer
einläßt, würde diese Vorstellung nichts Befremdendes haben; aber in Aeschylus
ist bereits der Geist philosophischer Verallgemeinerung vorhanden, und es scheint
sast so, als ob sich jener Mythus in der That auf das Wesen der göttlichen
Natur beziehen sollte. Shelley hat in seinem Drama die alte Mythologie und
die moderne Vorstellungsweise so in einander gemischt, daß das Verworrene
noch verworrener, das Dunkle noch dunkler geworden ist. Jupiter ist bei ihm
allmächtiger Gott, der Sieger und Herr über alle geschaffenen und ««geschaffenen
Wesen; zugleich ist er aber ein ausgemachter Teufel, ein boshafter Tyrann ohne
alle Spur edler Empfindung. Nun schimmert zwar an einigen Stellen die Idee
eines andern, guten Gottes dnrch, der nnr nicht im Stande ist, sich geltend zu
machen, wahrscheinlich der Spinozistische Naturgott, dessen Vollkommenheit ledig¬
lich in seiner UnPersönlichkeit beruht; aber als ein anderer, mächtiger Gegner
Jupiters tritt Demogvrgon auf, der, gleichfalls unpersönlich, gleichfalls ein Natnr-
symbol, dennoch von jenem Spiuozistischen Gott unterschieden wird. Er steigt
gegen das Ende der Tragödie ans dem „Wagen der Stunden" zu Jupiter's Be¬
hausung empor, und bannt diesen, der vergebens seine Blitze spielen läßt, durch
einen magischen Zauber. Jupiter versinkt in unermeßliche Ewigkeiten, und mit
ihm, wie es scheint, der größte Theil der übrigen Götter, obgleich einige übrig
bleiben, z. B. Apollo, der Sonnengott. Auf den Thron des Himmels und der
Erde wird der Repräsentant der leidenden und empfindende» Menschheit, Prome¬
theus, gestellt, und mit ihm seine Gemahlin Asia, von der es zuerst so aussieht,
als ob sie eine wirkliche Individualität darstellen sollte, die sich dann aber zum
Begriff des Welttheils Asien erweitert, und endlich in so überschwenglichen Lichte
strahlt, daß man annehmen muß, sie solle noch etwas mehr bedeute», etwa deu
weiblichen Theil der Menschheit, oder sonst etwas. Charakterlos wie diese Haupt¬
personen, sind alle Figuren von untergeordneter Bedeutung gehalten, z. B.
mehrere Schwester» der Asia, der Chor der Furien, der neben dem physischen
Schmerz, den er Prometheus bereitet, sich auch in geistigen Martern gefällt, in¬
dem er ihm z. B. das Elend der Menschheit in einem Gesammtbilde vorführt,
in welcher Vision auch Christi Kreuzigung vorkommt. Von einem anch nur
ideellen Zusammenhang ist keine Rede. Die einzelnen Scenen breiten sich mit
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mittelung. Gegen dieses Gedicht gehalten, ist der zweite Theil des Faust noch
sehr klar und verständlich. Was einem solchen Quodlibet allein eine gewisse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/176>, abgerufen am 22.07.2024.