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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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das gelbe Schweinefleisch, und nur das Schaffleisch mit Zwiebeln, die Schweins-
keule mit Gurken, die gebratene Gans mit rothen Rüben erinnern an eine anch
unter uns noch nicht aller Orten entschwundene primitive Zeit. Bei ihrem An¬
blick kommt man sich vor, wie ein Naturforscher, der nnter den seltsam gestalte¬
ten Ueberresten einer längst untergegangenen Welt plötzlich bekannte, den heute
Noch vorhandenen verwandte Formen findet, nur daß sie, damals zu den höchst¬
ausgebildeten der Schöpfung gehörend, jetzt als ihre niedrigste Stufe uur in
fernsten Erdwinkeln erscheinen.

Die Morgenröthe der neuen Zeit brach erst nach den Kreuzzügen an, als
man im Morgenlande neue und feinere Genüsse kennen gelernt hatte, als der
nun eröffnete Orient seine Gewürze und exotischen Erzeugnisse dein Abendlande
znsendete. Die Wiedergeburt der Kochkunst haben wir vor Allem den Mön¬
chen zu danken, die in dem stillen Asyl der Klostermauern -- während die
Welt draußen von Waffengetöse erfüllt war -- ueben dem zarten .Keime der nen
aufblühenden Literatur auch die Gastronomie pflegten. Zum Glück fanden sie
auch unter der Laienwelt einen günstigen Boden in dem reichen Gemeinwesen
Italiens, in Genua, Venedig, Pisa, Florenz, und ans der Wiege der modernen
Kunst und Poesie sehen wir anch die Gastronomie, ihre Milchschwester, sich er¬
heben. Der reiche Adel Italiens, die stolzen Handelsherren seiner Hafenstädte, die
Häupter der Kirche, Bischöfe, Cardinäle und Päpste culrivirteu und begünstigten jetzt
die Kochkunst, und nnter den Gourmands des Is. und 16. Jahrhunderts finden wir
einige der berühmtesten Päpste und Künstler aufgezählt, wie Leo X., Raphael,
Guido, Baccio Bandinelli und Johann von Bologna. Der göttliche Raphael
hielt es nicht nnter seiner Würde, Teller und Schüsseln für seinen hohen Gön¬
ner, den heiligen Vater, zu malen. Während Italien diese Fortschritte machte,
war Frankreich, das classische Land der modernen Kochkunst, noch in der Nacht
der Barbarei begraben, und erst durch die italienischen Kriegszüge Karls VIII.
und Ludwigs XII. wurde es daraus erlöst. Von da an machte es stetige und
rasche Fortschritte, denn während noch Karl VI. in einem LuxuSedict verbietet,
mehr als zwei Gerichte und Suppe auf deu Tisch zu bringen, finden wir bereits
unter Heinrich III. alle Delicatessen der italienischen Tafel bei jedem feinen Mahl
im Gebrauche, und auch hie verwandten Künste der Malerei und des Mvdellirens
müssen zur Erhöhung des Genusses dienstbar werden. Die Geschichte der fran¬
zösischen Kochkunst fällt vou da an mit der Geschichte der Kochkunst überhaupt
zusammen. Leider können wir ihre Ausbildung in jener regsamen Epoche nicht
Schritt für Schritt verfolgen, denn ihre Annalen, die Kochbücher, wurden da¬
mals noch nicht geschrieben, oder sind uns verloren gegangen, und die Tradition
ist in solchen Sachen ein allzu unsicherer Führer. Es ist daher nicht zu verwun¬
dern, daß wir sie beim Erscheinen des ersten französischen Kochbuchs auf einer
hohen Stufe per Ausbildung finden, ohne daß wir uns Rechenschaft ablegen


das gelbe Schweinefleisch, und nur das Schaffleisch mit Zwiebeln, die Schweins-
keule mit Gurken, die gebratene Gans mit rothen Rüben erinnern an eine anch
unter uns noch nicht aller Orten entschwundene primitive Zeit. Bei ihrem An¬
blick kommt man sich vor, wie ein Naturforscher, der nnter den seltsam gestalte¬
ten Ueberresten einer längst untergegangenen Welt plötzlich bekannte, den heute
Noch vorhandenen verwandte Formen findet, nur daß sie, damals zu den höchst¬
ausgebildeten der Schöpfung gehörend, jetzt als ihre niedrigste Stufe uur in
fernsten Erdwinkeln erscheinen.

Die Morgenröthe der neuen Zeit brach erst nach den Kreuzzügen an, als
man im Morgenlande neue und feinere Genüsse kennen gelernt hatte, als der
nun eröffnete Orient seine Gewürze und exotischen Erzeugnisse dein Abendlande
znsendete. Die Wiedergeburt der Kochkunst haben wir vor Allem den Mön¬
chen zu danken, die in dem stillen Asyl der Klostermauern — während die
Welt draußen von Waffengetöse erfüllt war — ueben dem zarten .Keime der nen
aufblühenden Literatur auch die Gastronomie pflegten. Zum Glück fanden sie
auch unter der Laienwelt einen günstigen Boden in dem reichen Gemeinwesen
Italiens, in Genua, Venedig, Pisa, Florenz, und ans der Wiege der modernen
Kunst und Poesie sehen wir anch die Gastronomie, ihre Milchschwester, sich er¬
heben. Der reiche Adel Italiens, die stolzen Handelsherren seiner Hafenstädte, die
Häupter der Kirche, Bischöfe, Cardinäle und Päpste culrivirteu und begünstigten jetzt
die Kochkunst, und nnter den Gourmands des Is. und 16. Jahrhunderts finden wir
einige der berühmtesten Päpste und Künstler aufgezählt, wie Leo X., Raphael,
Guido, Baccio Bandinelli und Johann von Bologna. Der göttliche Raphael
hielt es nicht nnter seiner Würde, Teller und Schüsseln für seinen hohen Gön¬
ner, den heiligen Vater, zu malen. Während Italien diese Fortschritte machte,
war Frankreich, das classische Land der modernen Kochkunst, noch in der Nacht
der Barbarei begraben, und erst durch die italienischen Kriegszüge Karls VIII.
und Ludwigs XII. wurde es daraus erlöst. Von da an machte es stetige und
rasche Fortschritte, denn während noch Karl VI. in einem LuxuSedict verbietet,
mehr als zwei Gerichte und Suppe auf deu Tisch zu bringen, finden wir bereits
unter Heinrich III. alle Delicatessen der italienischen Tafel bei jedem feinen Mahl
im Gebrauche, und auch hie verwandten Künste der Malerei und des Mvdellirens
müssen zur Erhöhung des Genusses dienstbar werden. Die Geschichte der fran¬
zösischen Kochkunst fällt vou da an mit der Geschichte der Kochkunst überhaupt
zusammen. Leider können wir ihre Ausbildung in jener regsamen Epoche nicht
Schritt für Schritt verfolgen, denn ihre Annalen, die Kochbücher, wurden da¬
mals noch nicht geschrieben, oder sind uns verloren gegangen, und die Tradition
ist in solchen Sachen ein allzu unsicherer Führer. Es ist daher nicht zu verwun¬
dern, daß wir sie beim Erscheinen des ersten französischen Kochbuchs auf einer
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[0152] das gelbe Schweinefleisch, und nur das Schaffleisch mit Zwiebeln, die Schweins- keule mit Gurken, die gebratene Gans mit rothen Rüben erinnern an eine anch unter uns noch nicht aller Orten entschwundene primitive Zeit. Bei ihrem An¬ blick kommt man sich vor, wie ein Naturforscher, der nnter den seltsam gestalte¬ ten Ueberresten einer längst untergegangenen Welt plötzlich bekannte, den heute Noch vorhandenen verwandte Formen findet, nur daß sie, damals zu den höchst¬ ausgebildeten der Schöpfung gehörend, jetzt als ihre niedrigste Stufe uur in fernsten Erdwinkeln erscheinen. Die Morgenröthe der neuen Zeit brach erst nach den Kreuzzügen an, als man im Morgenlande neue und feinere Genüsse kennen gelernt hatte, als der nun eröffnete Orient seine Gewürze und exotischen Erzeugnisse dein Abendlande znsendete. Die Wiedergeburt der Kochkunst haben wir vor Allem den Mön¬ chen zu danken, die in dem stillen Asyl der Klostermauern — während die Welt draußen von Waffengetöse erfüllt war — ueben dem zarten .Keime der nen aufblühenden Literatur auch die Gastronomie pflegten. Zum Glück fanden sie auch unter der Laienwelt einen günstigen Boden in dem reichen Gemeinwesen Italiens, in Genua, Venedig, Pisa, Florenz, und ans der Wiege der modernen Kunst und Poesie sehen wir anch die Gastronomie, ihre Milchschwester, sich er¬ heben. Der reiche Adel Italiens, die stolzen Handelsherren seiner Hafenstädte, die Häupter der Kirche, Bischöfe, Cardinäle und Päpste culrivirteu und begünstigten jetzt die Kochkunst, und nnter den Gourmands des Is. und 16. Jahrhunderts finden wir einige der berühmtesten Päpste und Künstler aufgezählt, wie Leo X., Raphael, Guido, Baccio Bandinelli und Johann von Bologna. Der göttliche Raphael hielt es nicht nnter seiner Würde, Teller und Schüsseln für seinen hohen Gön¬ ner, den heiligen Vater, zu malen. Während Italien diese Fortschritte machte, war Frankreich, das classische Land der modernen Kochkunst, noch in der Nacht der Barbarei begraben, und erst durch die italienischen Kriegszüge Karls VIII. und Ludwigs XII. wurde es daraus erlöst. Von da an machte es stetige und rasche Fortschritte, denn während noch Karl VI. in einem LuxuSedict verbietet, mehr als zwei Gerichte und Suppe auf deu Tisch zu bringen, finden wir bereits unter Heinrich III. alle Delicatessen der italienischen Tafel bei jedem feinen Mahl im Gebrauche, und auch hie verwandten Künste der Malerei und des Mvdellirens müssen zur Erhöhung des Genusses dienstbar werden. Die Geschichte der fran¬ zösischen Kochkunst fällt vou da an mit der Geschichte der Kochkunst überhaupt zusammen. Leider können wir ihre Ausbildung in jener regsamen Epoche nicht Schritt für Schritt verfolgen, denn ihre Annalen, die Kochbücher, wurden da¬ mals noch nicht geschrieben, oder sind uns verloren gegangen, und die Tradition ist in solchen Sachen ein allzu unsicherer Führer. Es ist daher nicht zu verwun¬ dern, daß wir sie beim Erscheinen des ersten französischen Kochbuchs auf einer hohen Stufe per Ausbildung finden, ohne daß wir uns Rechenschaft ablegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/152>, abgerufen am 22.07.2024.