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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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als 60 Jahren furchten, tadeln und nachahmen. In der pointirter Dictiott
empfinden wir eiuen eitlen Sinn, der nicht die Wahrheit, sondern den Glanz sucht,
in den kurzen präteusiösen Absätzen der Schrift, welche auch das Unbedeutende
wirksam und imponirend darzustellen suchen, einen Geist, dem eS weniger um
ruhige Dauer als um Emotionen zu thun ist, in dem dramatischen Leben ihrer
Sprache, deu scharfen Gegensätzen, dem schnellen Abbrechen, das schnelle, geistes¬
gewandte, entschlossene, sanguinische Volk. Bei dem Vergleich der französischen
und englischen mit der deutschen Schriftsprache läßt sich aber nicht nnr die große
Verschiedenheit der einzelnen Nationalitäten wahrnehmen, sondern auch der eigen¬
thümliche Umstand, daß der deutsche Styl noch in anderer Weise charakteristisch
für uus ist, als der französische für den Franzosen und selbst der englische für
den Bvitteu. Daß er nicht nnr viel mannichfaltiger und verschiedener gefärbt ist,
sondern auch, daß in ihm manche Eigenschaften des französischen und englischen
Styls sich in sehr geringem Grade finden.

Es wird nöthig sein, hier zu sagen, was wir unter Styl verstehen. Nicht
nur die Wahl der einzelnen Wörter beim Lebendigmacher unsrer Vorstellungen,
auch uicht uur die Verbindung der einzelnen kleinen logischen Sätze zu Satzpenodcn
der Sprache, souderu die ganze Darstellmig eines geistigen Inhalts dnrch die
Sprache; also auch die Methode des Denkens, die Einwikruug der in der Seele
aufblitzenden Vergleiche, Bilder und Nebenvorstellungen, welche bei jedem kräf¬
tigen Geiste das Fixiren einer Reihe von Vorstellungen in der Rede begleiten,
kurz die Gesammtthätigkeit der Seele, so weit sie in ihrer Schöpfung, der Sprache,
sich abspiegelt.

Der Engländer und der Franzose haben beide den Vortheil, daß die ge-
sammte Nation ihnen charakteristische Wörter und Redensarten von bestimmter
Färbung unablässig und in Massen bilden hilft. Eine Fülle von gemüthlichen,
launigen, humoristischen Wörtern, von geistreichen, charakteristischen Wendungen, als
Ausdruck der entsprechenden Empfindungen im Volke, klingen in diesen großen
und concentrirten Staaten, in dem bunten Leben der Hauptstädte, aus dem
Munde des Volkes schnell in die Seele des Schreibenden. Das größere Beha¬
gen vieler Einzelnen an ihrer Existenz und die zahlreicheren gemeinsamen Inte¬
ressen der Einzelnen haben dort bereits sehr viele gemüthliche oder geistreiche Vor¬
stellungen zum Gemeingut der ganzen Nation gemacht, und es wird dem Engländer
oder Franzosen bei einem solchen Reichthum des Materials viel leichter, mit Laune
oder Esprit zu schreiben, als dies sonst der Fall wäre. Im Deutschen steht die
Schriftsprache isolirter, dem Volke ferner, das gemüthliche Leben, des deutschen
Volkes steckt ganz in den Dialekten, welche unter einander sehr verschieden, der
Schriftsprache sämmtlich opponiren. Keine große Stadt, kein Centralpunkt des
Volkslebens wirkt verbindend und bestimmend auf alle verschiedenen Gegenden.
Deshalb wird es der deutschen Schriftsprache sehr schwer, den Volkshumor zu


als 60 Jahren furchten, tadeln und nachahmen. In der pointirter Dictiott
empfinden wir eiuen eitlen Sinn, der nicht die Wahrheit, sondern den Glanz sucht,
in den kurzen präteusiösen Absätzen der Schrift, welche auch das Unbedeutende
wirksam und imponirend darzustellen suchen, einen Geist, dem eS weniger um
ruhige Dauer als um Emotionen zu thun ist, in dem dramatischen Leben ihrer
Sprache, deu scharfen Gegensätzen, dem schnellen Abbrechen, das schnelle, geistes¬
gewandte, entschlossene, sanguinische Volk. Bei dem Vergleich der französischen
und englischen mit der deutschen Schriftsprache läßt sich aber nicht nnr die große
Verschiedenheit der einzelnen Nationalitäten wahrnehmen, sondern auch der eigen¬
thümliche Umstand, daß der deutsche Styl noch in anderer Weise charakteristisch
für uus ist, als der französische für den Franzosen und selbst der englische für
den Bvitteu. Daß er nicht nnr viel mannichfaltiger und verschiedener gefärbt ist,
sondern auch, daß in ihm manche Eigenschaften des französischen und englischen
Styls sich in sehr geringem Grade finden.

Es wird nöthig sein, hier zu sagen, was wir unter Styl verstehen. Nicht
nur die Wahl der einzelnen Wörter beim Lebendigmacher unsrer Vorstellungen,
auch uicht uur die Verbindung der einzelnen kleinen logischen Sätze zu Satzpenodcn
der Sprache, souderu die ganze Darstellmig eines geistigen Inhalts dnrch die
Sprache; also auch die Methode des Denkens, die Einwikruug der in der Seele
aufblitzenden Vergleiche, Bilder und Nebenvorstellungen, welche bei jedem kräf¬
tigen Geiste das Fixiren einer Reihe von Vorstellungen in der Rede begleiten,
kurz die Gesammtthätigkeit der Seele, so weit sie in ihrer Schöpfung, der Sprache,
sich abspiegelt.

Der Engländer und der Franzose haben beide den Vortheil, daß die ge-
sammte Nation ihnen charakteristische Wörter und Redensarten von bestimmter
Färbung unablässig und in Massen bilden hilft. Eine Fülle von gemüthlichen,
launigen, humoristischen Wörtern, von geistreichen, charakteristischen Wendungen, als
Ausdruck der entsprechenden Empfindungen im Volke, klingen in diesen großen
und concentrirten Staaten, in dem bunten Leben der Hauptstädte, aus dem
Munde des Volkes schnell in die Seele des Schreibenden. Das größere Beha¬
gen vieler Einzelnen an ihrer Existenz und die zahlreicheren gemeinsamen Inte¬
ressen der Einzelnen haben dort bereits sehr viele gemüthliche oder geistreiche Vor¬
stellungen zum Gemeingut der ganzen Nation gemacht, und es wird dem Engländer
oder Franzosen bei einem solchen Reichthum des Materials viel leichter, mit Laune
oder Esprit zu schreiben, als dies sonst der Fall wäre. Im Deutschen steht die
Schriftsprache isolirter, dem Volke ferner, das gemüthliche Leben, des deutschen
Volkes steckt ganz in den Dialekten, welche unter einander sehr verschieden, der
Schriftsprache sämmtlich opponiren. Keine große Stadt, kein Centralpunkt des
Volkslebens wirkt verbindend und bestimmend auf alle verschiedenen Gegenden.
Deshalb wird es der deutschen Schriftsprache sehr schwer, den Volkshumor zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/15>, abgerufen am 22.07.2024.