Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

keit, den Neid, die Dummheit der deutschen Fürsten, sein Weib und Sohn sind
gleich im Anfange des Stückes in die Gewalt der Römer gefallen und im Triumph
zu Rom aufgeführt worden; er eilt verkleidet nach Rom, findet Thusnelda todt,
seinen Sohn sterbend und begegnet der Gemahlin des Germaniens, der männ¬
lichen und leidenschaftlichen Agrippina an dem Grabmahl des Germaniens. Die
Römerin verzweifelt an ihrem Leben und an Rom. Dem Deutschen dagegen steht
über Weib und Kind das Vaterland. Er wendet sich nach Deutschland zurück.

Die dargestellten Scenen stehen nur in historischem Zusammenhang. Das
Drama könnte eben so gut von der Teutoburger Schlacht ansaugen und bis zum
Tode des Armin, ja über denselben hinaus, bis zum Untergang des römischen
Reiches fortgesetzt werden. Der Dichter hat also noch sehr wenig gethan/ den Stoff
in eine Tragödie umzuformen. Es ist weder ein "nfregendes Moment, noch eine
Verwickelung, noch ein Höhenpunkt, noch eine Lösung und Katastrophe zu er¬
kennen. Auch die Ausführung der meisten Situationen ist unvollständig, abgerissen,
seizzenhaft; Einzelnes dagegen wieder sehr gut und behaglich ausgeführt, vor Allem
die Zankscenen der deutschen Fürsten, welche die besten des Dramas sind, und auch
auf der Bühne wirksam wären. Die Sprache ist, einzelne Ungenauigkeiten in
Ausdruck und Satzbildung abgerechnet, würdig und edel und der Vers an vielen
Stellen wie für den Mund des darstellenden Künstlers geschrieben. Die Cha¬
rakteristik einzelner Nebenfiguren z. B. des Segest, deö Adgandester, des Marbod
ganz vortrefflich, bei deu Hauptfiguren, Armin, Germaniens, wird sie mangelhaft,
weil die Seele auch dieses Dichters lebhafter empfindet, welche Gefühle die
Personen zweckmäßig aussprechen müssen, als, wie diese Gefühle sich in Sprache,
Geberden, Haltung und Thaten der Personen äußern. Er läßt sie nichts Un¬
passendes sagen, aber uicht immer das, was für ihre Bühnensituation charakteristisch
ist und dem Zuschauer das wirksame Bild ihrer Persönlichkeit geben kann. So
führt z. B. der erste Monolog des Germaniens zwar in die Handlung des Stückes
ein, in so fern er die historischen Voraussetzungen des Drama's zusammenfaßt,
aber er giebt kein Bild von dem Charakter des römischen Helden selbst, das dem
Zuschauer möglich machte, sich für ihn zu interessiren, im Gegentheil spricht der
Feldherr so kleinmüthig, daß seine Rede einem Bühnen-Publicum falsche Mei¬
nungen von ihm geben würde.

Da aber Einzelnes in dem Drama sehr deutlich ein Darstellungstalent zeigt,
welches sich möglicherweise zum Nutzen unsrer Bühne entwickeln könnte, so richtet
dies Blatt an den Verfasser die ehrlich gemeinte Bitte, er möge vor Allem dahin
arbeiten, an fertigen Stücken von guter Technik sich klar zu machen, welches der
Organismus eines künstlerisch gebildeten Dramas sei. Erst dann wird er uns
beweise", daß sein Talent den hoffnungsvollen Dilettantismus zu überwinden stark
genug ist, und er das Recht hatte, sein Volk zum Richter über sein Talent zu machen.




keit, den Neid, die Dummheit der deutschen Fürsten, sein Weib und Sohn sind
gleich im Anfange des Stückes in die Gewalt der Römer gefallen und im Triumph
zu Rom aufgeführt worden; er eilt verkleidet nach Rom, findet Thusnelda todt,
seinen Sohn sterbend und begegnet der Gemahlin des Germaniens, der männ¬
lichen und leidenschaftlichen Agrippina an dem Grabmahl des Germaniens. Die
Römerin verzweifelt an ihrem Leben und an Rom. Dem Deutschen dagegen steht
über Weib und Kind das Vaterland. Er wendet sich nach Deutschland zurück.

Die dargestellten Scenen stehen nur in historischem Zusammenhang. Das
Drama könnte eben so gut von der Teutoburger Schlacht ansaugen und bis zum
Tode des Armin, ja über denselben hinaus, bis zum Untergang des römischen
Reiches fortgesetzt werden. Der Dichter hat also noch sehr wenig gethan/ den Stoff
in eine Tragödie umzuformen. Es ist weder ein «nfregendes Moment, noch eine
Verwickelung, noch ein Höhenpunkt, noch eine Lösung und Katastrophe zu er¬
kennen. Auch die Ausführung der meisten Situationen ist unvollständig, abgerissen,
seizzenhaft; Einzelnes dagegen wieder sehr gut und behaglich ausgeführt, vor Allem
die Zankscenen der deutschen Fürsten, welche die besten des Dramas sind, und auch
auf der Bühne wirksam wären. Die Sprache ist, einzelne Ungenauigkeiten in
Ausdruck und Satzbildung abgerechnet, würdig und edel und der Vers an vielen
Stellen wie für den Mund des darstellenden Künstlers geschrieben. Die Cha¬
rakteristik einzelner Nebenfiguren z. B. des Segest, deö Adgandester, des Marbod
ganz vortrefflich, bei deu Hauptfiguren, Armin, Germaniens, wird sie mangelhaft,
weil die Seele auch dieses Dichters lebhafter empfindet, welche Gefühle die
Personen zweckmäßig aussprechen müssen, als, wie diese Gefühle sich in Sprache,
Geberden, Haltung und Thaten der Personen äußern. Er läßt sie nichts Un¬
passendes sagen, aber uicht immer das, was für ihre Bühnensituation charakteristisch
ist und dem Zuschauer das wirksame Bild ihrer Persönlichkeit geben kann. So
führt z. B. der erste Monolog des Germaniens zwar in die Handlung des Stückes
ein, in so fern er die historischen Voraussetzungen des Drama's zusammenfaßt,
aber er giebt kein Bild von dem Charakter des römischen Helden selbst, das dem
Zuschauer möglich machte, sich für ihn zu interessiren, im Gegentheil spricht der
Feldherr so kleinmüthig, daß seine Rede einem Bühnen-Publicum falsche Mei¬
nungen von ihm geben würde.

Da aber Einzelnes in dem Drama sehr deutlich ein Darstellungstalent zeigt,
welches sich möglicherweise zum Nutzen unsrer Bühne entwickeln könnte, so richtet
dies Blatt an den Verfasser die ehrlich gemeinte Bitte, er möge vor Allem dahin
arbeiten, an fertigen Stücken von guter Technik sich klar zu machen, welches der
Organismus eines künstlerisch gebildeten Dramas sei. Erst dann wird er uns
beweise», daß sein Talent den hoffnungsvollen Dilettantismus zu überwinden stark
genug ist, und er das Recht hatte, sein Volk zum Richter über sein Talent zu machen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0138" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93503"/>
          <p xml:id="ID_397" prev="#ID_396"> keit, den Neid, die Dummheit der deutschen Fürsten, sein Weib und Sohn sind<lb/>
gleich im Anfange des Stückes in die Gewalt der Römer gefallen und im Triumph<lb/>
zu Rom aufgeführt worden; er eilt verkleidet nach Rom, findet Thusnelda todt,<lb/>
seinen Sohn sterbend und begegnet der Gemahlin des Germaniens, der männ¬<lb/>
lichen und leidenschaftlichen Agrippina an dem Grabmahl des Germaniens. Die<lb/>
Römerin verzweifelt an ihrem Leben und an Rom. Dem Deutschen dagegen steht<lb/>
über Weib und Kind das Vaterland.  Er wendet sich nach Deutschland zurück.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_398"> Die dargestellten Scenen stehen nur in historischem Zusammenhang. Das<lb/>
Drama könnte eben so gut von der Teutoburger Schlacht ansaugen und bis zum<lb/>
Tode des Armin, ja über denselben hinaus, bis zum Untergang des römischen<lb/>
Reiches fortgesetzt werden. Der Dichter hat also noch sehr wenig gethan/ den Stoff<lb/>
in eine Tragödie umzuformen.  Es ist weder ein «nfregendes Moment, noch eine<lb/>
Verwickelung, noch ein Höhenpunkt, noch eine Lösung und Katastrophe zu er¬<lb/>
kennen. Auch die Ausführung der meisten Situationen ist unvollständig, abgerissen,<lb/>
seizzenhaft; Einzelnes dagegen wieder sehr gut und behaglich ausgeführt, vor Allem<lb/>
die Zankscenen der deutschen Fürsten, welche die besten des Dramas sind, und auch<lb/>
auf der Bühne wirksam wären.  Die Sprache ist, einzelne Ungenauigkeiten in<lb/>
Ausdruck und Satzbildung abgerechnet, würdig und edel und der Vers an vielen<lb/>
Stellen wie für den Mund des darstellenden Künstlers geschrieben.  Die Cha¬<lb/>
rakteristik einzelner Nebenfiguren z. B. des Segest, deö Adgandester, des Marbod<lb/>
ganz vortrefflich, bei deu Hauptfiguren, Armin, Germaniens, wird sie mangelhaft,<lb/>
weil die Seele auch dieses Dichters lebhafter empfindet, welche Gefühle die<lb/>
Personen zweckmäßig aussprechen müssen, als, wie diese Gefühle sich in Sprache,<lb/>
Geberden, Haltung und Thaten der Personen äußern.  Er läßt sie nichts Un¬<lb/>
passendes sagen, aber uicht immer das, was für ihre Bühnensituation charakteristisch<lb/>
ist und dem Zuschauer das wirksame Bild ihrer Persönlichkeit geben kann. So<lb/>
führt z. B. der erste Monolog des Germaniens zwar in die Handlung des Stückes<lb/>
ein, in so fern er die historischen Voraussetzungen des Drama's zusammenfaßt,<lb/>
aber er giebt kein Bild von dem Charakter des römischen Helden selbst, das dem<lb/>
Zuschauer möglich machte, sich für ihn zu interessiren, im Gegentheil spricht der<lb/>
Feldherr so kleinmüthig, daß seine Rede einem Bühnen-Publicum falsche Mei¬<lb/>
nungen von ihm geben würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_399"> Da aber Einzelnes in dem Drama sehr deutlich ein Darstellungstalent zeigt,<lb/>
welches sich möglicherweise zum Nutzen unsrer Bühne entwickeln könnte, so richtet<lb/>
dies Blatt an den Verfasser die ehrlich gemeinte Bitte, er möge vor Allem dahin<lb/>
arbeiten, an fertigen Stücken von guter Technik sich klar zu machen, welches der<lb/>
Organismus eines künstlerisch gebildeten Dramas sei. Erst dann wird er uns<lb/>
beweise», daß sein Talent den hoffnungsvollen Dilettantismus zu überwinden stark<lb/>
genug ist, und er das Recht hatte, sein Volk zum Richter über sein Talent zu machen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0138] keit, den Neid, die Dummheit der deutschen Fürsten, sein Weib und Sohn sind gleich im Anfange des Stückes in die Gewalt der Römer gefallen und im Triumph zu Rom aufgeführt worden; er eilt verkleidet nach Rom, findet Thusnelda todt, seinen Sohn sterbend und begegnet der Gemahlin des Germaniens, der männ¬ lichen und leidenschaftlichen Agrippina an dem Grabmahl des Germaniens. Die Römerin verzweifelt an ihrem Leben und an Rom. Dem Deutschen dagegen steht über Weib und Kind das Vaterland. Er wendet sich nach Deutschland zurück. Die dargestellten Scenen stehen nur in historischem Zusammenhang. Das Drama könnte eben so gut von der Teutoburger Schlacht ansaugen und bis zum Tode des Armin, ja über denselben hinaus, bis zum Untergang des römischen Reiches fortgesetzt werden. Der Dichter hat also noch sehr wenig gethan/ den Stoff in eine Tragödie umzuformen. Es ist weder ein «nfregendes Moment, noch eine Verwickelung, noch ein Höhenpunkt, noch eine Lösung und Katastrophe zu er¬ kennen. Auch die Ausführung der meisten Situationen ist unvollständig, abgerissen, seizzenhaft; Einzelnes dagegen wieder sehr gut und behaglich ausgeführt, vor Allem die Zankscenen der deutschen Fürsten, welche die besten des Dramas sind, und auch auf der Bühne wirksam wären. Die Sprache ist, einzelne Ungenauigkeiten in Ausdruck und Satzbildung abgerechnet, würdig und edel und der Vers an vielen Stellen wie für den Mund des darstellenden Künstlers geschrieben. Die Cha¬ rakteristik einzelner Nebenfiguren z. B. des Segest, deö Adgandester, des Marbod ganz vortrefflich, bei deu Hauptfiguren, Armin, Germaniens, wird sie mangelhaft, weil die Seele auch dieses Dichters lebhafter empfindet, welche Gefühle die Personen zweckmäßig aussprechen müssen, als, wie diese Gefühle sich in Sprache, Geberden, Haltung und Thaten der Personen äußern. Er läßt sie nichts Un¬ passendes sagen, aber uicht immer das, was für ihre Bühnensituation charakteristisch ist und dem Zuschauer das wirksame Bild ihrer Persönlichkeit geben kann. So führt z. B. der erste Monolog des Germaniens zwar in die Handlung des Stückes ein, in so fern er die historischen Voraussetzungen des Drama's zusammenfaßt, aber er giebt kein Bild von dem Charakter des römischen Helden selbst, das dem Zuschauer möglich machte, sich für ihn zu interessiren, im Gegentheil spricht der Feldherr so kleinmüthig, daß seine Rede einem Bühnen-Publicum falsche Mei¬ nungen von ihm geben würde. Da aber Einzelnes in dem Drama sehr deutlich ein Darstellungstalent zeigt, welches sich möglicherweise zum Nutzen unsrer Bühne entwickeln könnte, so richtet dies Blatt an den Verfasser die ehrlich gemeinte Bitte, er möge vor Allem dahin arbeiten, an fertigen Stücken von guter Technik sich klar zu machen, welches der Organismus eines künstlerisch gebildeten Dramas sei. Erst dann wird er uns beweise», daß sein Talent den hoffnungsvollen Dilettantismus zu überwinden stark genug ist, und er das Recht hatte, sein Volk zum Richter über sein Talent zu machen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/138
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/138>, abgerufen am 22.07.2024.