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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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dieser Ansicht einen männlichen Ausdruck gegeben; sie hat bei dieser Gelegen¬
heit nicht zum ersten Mal gezeigt, daß hinter ihrem Uebermuth und ihren oft
sehr bedenklichen Grillen ein lebhaftes Gefühl für Preußens Ehre lebt. Andere
konservative Blätter werden ihr folgen; und die Zeitung des Herrn von Man-
teuffel -- welche auch sonst das Unglück hat, eine der charakterlosesten Zeitungen in
Deutschland zu sein, -- wird in Preußen schwerlich Genossen finden, welche ihre
Ansichten theilen.

Die Kammer ist über den Antrag der Opposition in Bezug auf die Presse
mit 137 gegen 136 Stimmen zur motivirten Tagesordnung übergegangen, und
wahrscheinlich wird die Klage gegen die ungesetzliche Berufung der Provinzialland-
tage mit derselben Majorität beseitigt werden. Indeß ist das immer ein sehr
ungenügender Sieg des gegenwärtigen Ministeriums, und eS gehört keine Seher¬
gabe dazu, ihm zu prophezeien, daß es den größten Theil seiner Laufbahn voll¬
endet habe.

Es ist gerade jetzt an der Zeit, die Preußen und ihre Freunde daran zu er¬
innern, daß die verletzenden Erscheinungen des Tages vergänglich sind, und daß
hinter der unangenehmen Physiognomie, welche der "Staat leider jetzt zur Schau
trÄgt, ein unzerstörbarer Fond von guten Willen und ehrenwerther Gesinnung
wohnt, Gerade jetzt trägt eine kurzsichtige Partei unter den Regierenden ihr
Haupt sehr hoch, und auch in Preußen scheinen einzelne Personen der gegenwär¬
tigen Executive nicht abgeneigt, die patriotische Rücksichtslosigkeit des französischen
Abenteurers nachzuahmen und Lästiges mit Entschlossenheit zu beseitigen. Sie sind mit
der Blindheit geschlagen, welche Vielen in entscheidender Stunde die Augen bedeckt,
damit sie ihr offenes Grab nicht vermeiden. -- Der 2. Decbr. ist ein Wendepunkt
in der Stellung der Parteien und Napoleons Streich war ein tödtlicher Streich
für alle absoluten Gelüste uuserer Legitimen. Daß der kecke Gesell so roh und
rücksichtslos that, was in milderen Formen viele Ehrliche getäuscht hätte, das
hat eine langsame, aber gewaltige Wirkung ans die Herzen auch der Treuesteu und
Loyalsten geübt. Der eifrigste Tory in Preußen, welcher in den ersten Tagen
nach dem unerhörten Streich über die Demüthigung der Volksvertreter jubelte,
sagt sich jetzt in der Stille, woran er in seinem Haß gegenZdie Liberalen lange
uicht gedacht hat, daß das Octroyireu und die Benutzung-der militärischen Macht
zu Gewaltstreichen eine gefährliche und furchtbare Licenz sei; und daß eS wol
einen Punkt geben könne, wo auch ihm Ehre und Gewissen verbieten würden, noch
weiter mit der Regierung zu gehen. -- Wer fortan in Preußen regieren will, muß
das Gesetz nicht als einen hohlen Gummiball betrachte", dem er durch das Ein-
blasen seines Athems beliebige Form und Richtung geben kann, denn der größte
Segen aller bösen Tage in Preußen war, daß sehr Viele gelernt haben, das
Gesetz sei zu ehren, und wer es verletzt, sei ein Feind aller Parteien.




dieser Ansicht einen männlichen Ausdruck gegeben; sie hat bei dieser Gelegen¬
heit nicht zum ersten Mal gezeigt, daß hinter ihrem Uebermuth und ihren oft
sehr bedenklichen Grillen ein lebhaftes Gefühl für Preußens Ehre lebt. Andere
konservative Blätter werden ihr folgen; und die Zeitung des Herrn von Man-
teuffel — welche auch sonst das Unglück hat, eine der charakterlosesten Zeitungen in
Deutschland zu sein, — wird in Preußen schwerlich Genossen finden, welche ihre
Ansichten theilen.

Die Kammer ist über den Antrag der Opposition in Bezug auf die Presse
mit 137 gegen 136 Stimmen zur motivirten Tagesordnung übergegangen, und
wahrscheinlich wird die Klage gegen die ungesetzliche Berufung der Provinzialland-
tage mit derselben Majorität beseitigt werden. Indeß ist das immer ein sehr
ungenügender Sieg des gegenwärtigen Ministeriums, und eS gehört keine Seher¬
gabe dazu, ihm zu prophezeien, daß es den größten Theil seiner Laufbahn voll¬
endet habe.

Es ist gerade jetzt an der Zeit, die Preußen und ihre Freunde daran zu er¬
innern, daß die verletzenden Erscheinungen des Tages vergänglich sind, und daß
hinter der unangenehmen Physiognomie, welche der «Staat leider jetzt zur Schau
trÄgt, ein unzerstörbarer Fond von guten Willen und ehrenwerther Gesinnung
wohnt, Gerade jetzt trägt eine kurzsichtige Partei unter den Regierenden ihr
Haupt sehr hoch, und auch in Preußen scheinen einzelne Personen der gegenwär¬
tigen Executive nicht abgeneigt, die patriotische Rücksichtslosigkeit des französischen
Abenteurers nachzuahmen und Lästiges mit Entschlossenheit zu beseitigen. Sie sind mit
der Blindheit geschlagen, welche Vielen in entscheidender Stunde die Augen bedeckt,
damit sie ihr offenes Grab nicht vermeiden. — Der 2. Decbr. ist ein Wendepunkt
in der Stellung der Parteien und Napoleons Streich war ein tödtlicher Streich
für alle absoluten Gelüste uuserer Legitimen. Daß der kecke Gesell so roh und
rücksichtslos that, was in milderen Formen viele Ehrliche getäuscht hätte, das
hat eine langsame, aber gewaltige Wirkung ans die Herzen auch der Treuesteu und
Loyalsten geübt. Der eifrigste Tory in Preußen, welcher in den ersten Tagen
nach dem unerhörten Streich über die Demüthigung der Volksvertreter jubelte,
sagt sich jetzt in der Stille, woran er in seinem Haß gegenZdie Liberalen lange
uicht gedacht hat, daß das Octroyireu und die Benutzung-der militärischen Macht
zu Gewaltstreichen eine gefährliche und furchtbare Licenz sei; und daß eS wol
einen Punkt geben könne, wo auch ihm Ehre und Gewissen verbieten würden, noch
weiter mit der Regierung zu gehen. — Wer fortan in Preußen regieren will, muß
das Gesetz nicht als einen hohlen Gummiball betrachte», dem er durch das Ein-
blasen seines Athems beliebige Form und Richtung geben kann, denn der größte
Segen aller bösen Tage in Preußen war, daß sehr Viele gelernt haben, das
Gesetz sei zu ehren, und wer es verletzt, sei ein Feind aller Parteien.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/136>, abgerufen am 22.07.2024.