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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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haften Befugnissen ohnedies sehr bald beim Volke alles Ansehen verlieren muß. Bei
dieser Art von Regiment, wo die Kammern nicht mehr das Recht haben, in gesetz¬
lichen Formen eine laute und erfolgreiche Kritik der Negiernngsmaßregeln auszuüben,
entsteht sehr schnell im Volke wieder das Mißtrauen, die stille Antipathie und
die schwächliche, kurzsichtige und perfide Kritik der Staatsregierung, welche in der
Stille um sich frißt, in ruhigen Zeiten von der Regierung durch einzelne Straf¬
exempel leicht gebändigt werden kann, in Zeiten der Aufregung und Gefahr aber
den Staat uneinig, schwach und hilflos macht, wie Preußen im Jahre 1848 war.
Wenn Herr v. Manteuffel Luft hat, diesen kläglichen Zustand in Preußen wieder
zurückzuführen, und die Majestät der Krone ähnlichen Zufällen und Demüthigun-
gen auszusetzen, wie sie die Verbitterung des Volkes im unglücklichen Sommer
1848 hervorgebracht hat, so verdient er vielleicht den Dank anderer Mächte, aber
ans die Achtung der Preußen hat er keinen Anspruch.

Gerade das ist der unendliche Segen einer offenen und schnellen Kritik der
Executive durch die Kammern, daß das Verhältniß zwischen dem Fürsten und
seinem Volk auch unter schwierigen Verhältnissen rein und edel bleiben kann.
Jede NegieruugSmaßregel, welche in den Kreisen des Volkslebens Befremden
oder Mißvergnügen erregt, kaun sogleich in den würdigsten Formen offen vor
der gesammten Nation angegriffen und vertheidigt werden, die Gründe der Re¬
gierung und ihrer Gegner werden ausführlich und Jedem faßlich vorgetragen, und
die durch das Vertrauen ihrer Mitbürger Erwählten, die beste Kraft der Nation,
sprechen ihre Ansicht über die Kontroverse aus. Billiger sie die Maßregel der
Regierung, wie bei wahrhaft constitutionellen Regiment fast immer der Fall sein
muß, so wird die Regierung auf die edelste Weise durch die Majorität des Volkes
gerechtfertigt; erklärt die Majorität der Volksvertreter die Handlung des Mini-
steriums für ungesetzlich, so wird die Majestät der Krone auf höchst loyale Weise
benachrichtigt, daß in der Executive etwas schadhaft sei, was des Herrschers Auf¬
merksamkeit erfordere. Gerade diese Function der Kammern ist es, welche der
treuste Freund des Bestehenden, der wärmste Verehrer seines Königshauses am
höchsten halten muß, denn sie ist der beste Schutz vor Unzufriedenheit des Volkes,
vor Lüge, heimlichen Umtrieben und Verschwörungen; gerade durch dieses Recht
der Kammern wird die Majestät der Krone so hoch gehoben, daß Haß und Ver¬
kennen sie nicht mehr verletzen kann; und nur durch dieses Recht der Kammern
wird der König ein König. Nimmt man den Kammern dies Recht, dann sinkt
anch die höchste Majestät herab zum Bureanvorstand ihres Ministeriums, sie er¬
scheint als Mitschuldiger aller Versehen und Vergehen, welche die Executive
irgendwie begeht, und gegen die geweihte Person des Fürsten selbst arbeitet dann
die Unzufriedenheit, der Groll, dies gekränkte Rechtsgefühl im Volke.

Glücklicherweise lebt in allen Parteien Preußens die Empfindung, daß die Er¬
klärung des Ministeriums ein Unrecht sei. Die neue preußische Zeitung hat


haften Befugnissen ohnedies sehr bald beim Volke alles Ansehen verlieren muß. Bei
dieser Art von Regiment, wo die Kammern nicht mehr das Recht haben, in gesetz¬
lichen Formen eine laute und erfolgreiche Kritik der Negiernngsmaßregeln auszuüben,
entsteht sehr schnell im Volke wieder das Mißtrauen, die stille Antipathie und
die schwächliche, kurzsichtige und perfide Kritik der Staatsregierung, welche in der
Stille um sich frißt, in ruhigen Zeiten von der Regierung durch einzelne Straf¬
exempel leicht gebändigt werden kann, in Zeiten der Aufregung und Gefahr aber
den Staat uneinig, schwach und hilflos macht, wie Preußen im Jahre 1848 war.
Wenn Herr v. Manteuffel Luft hat, diesen kläglichen Zustand in Preußen wieder
zurückzuführen, und die Majestät der Krone ähnlichen Zufällen und Demüthigun-
gen auszusetzen, wie sie die Verbitterung des Volkes im unglücklichen Sommer
1848 hervorgebracht hat, so verdient er vielleicht den Dank anderer Mächte, aber
ans die Achtung der Preußen hat er keinen Anspruch.

Gerade das ist der unendliche Segen einer offenen und schnellen Kritik der
Executive durch die Kammern, daß das Verhältniß zwischen dem Fürsten und
seinem Volk auch unter schwierigen Verhältnissen rein und edel bleiben kann.
Jede NegieruugSmaßregel, welche in den Kreisen des Volkslebens Befremden
oder Mißvergnügen erregt, kaun sogleich in den würdigsten Formen offen vor
der gesammten Nation angegriffen und vertheidigt werden, die Gründe der Re¬
gierung und ihrer Gegner werden ausführlich und Jedem faßlich vorgetragen, und
die durch das Vertrauen ihrer Mitbürger Erwählten, die beste Kraft der Nation,
sprechen ihre Ansicht über die Kontroverse aus. Billiger sie die Maßregel der
Regierung, wie bei wahrhaft constitutionellen Regiment fast immer der Fall sein
muß, so wird die Regierung auf die edelste Weise durch die Majorität des Volkes
gerechtfertigt; erklärt die Majorität der Volksvertreter die Handlung des Mini-
steriums für ungesetzlich, so wird die Majestät der Krone auf höchst loyale Weise
benachrichtigt, daß in der Executive etwas schadhaft sei, was des Herrschers Auf¬
merksamkeit erfordere. Gerade diese Function der Kammern ist es, welche der
treuste Freund des Bestehenden, der wärmste Verehrer seines Königshauses am
höchsten halten muß, denn sie ist der beste Schutz vor Unzufriedenheit des Volkes,
vor Lüge, heimlichen Umtrieben und Verschwörungen; gerade durch dieses Recht
der Kammern wird die Majestät der Krone so hoch gehoben, daß Haß und Ver¬
kennen sie nicht mehr verletzen kann; und nur durch dieses Recht der Kammern
wird der König ein König. Nimmt man den Kammern dies Recht, dann sinkt
anch die höchste Majestät herab zum Bureanvorstand ihres Ministeriums, sie er¬
scheint als Mitschuldiger aller Versehen und Vergehen, welche die Executive
irgendwie begeht, und gegen die geweihte Person des Fürsten selbst arbeitet dann
die Unzufriedenheit, der Groll, dies gekränkte Rechtsgefühl im Volke.

Glücklicherweise lebt in allen Parteien Preußens die Empfindung, daß die Er¬
klärung des Ministeriums ein Unrecht sei. Die neue preußische Zeitung hat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/135>, abgerufen am 22.07.2024.