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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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nen zu Schulden kommen lassen, sind fast ohne alle Ausnahme kein Verkaufen
der eigenen Ueberzeugung, sondern Schwäche des Willens, Mißtrauen gegen die
eigene Ausicht und mißverstandene Pietät. Die Periode der constitutionellen Kor¬
ruption, welche England durchmachen mußte, bevor es zu einer selbstständigen
Charakterbildung seiner Staatsmänner im parlamentarischen Leben durchdrang,
und welche in Frankreich noch gegenwärtig die kläglichen Umwandlungen der letz¬
ten Jahre möglich gemacht hat, wird Preußen hoffentlich erspart bleiben.

Wie schwer aber der Uebergang zu constitutionellen Leben selbst bei guter
Anlage des Volkes wird, zeigen die gegenwärtigen Verhandlungen der zweiten
preußischen Kammer. Das Ministerium hat im letzten Jahre durch die Berufung
der Provinzialstände und die ärgerlichsten politischen Beschränkungen der Presse,
wenn nicht den Buchstaben, doch sicherlich das Wesen der preußischen Verfassung
auf das Tiefste verletzt. Die Opposition hat die Kanunern aufgefordert, zu er¬
klären, daß die Maßregeln der Regierung gegen die Presse und die Einberufung
der Provinzialstände im Widerspruch mit der Verfassung stehen. Da hat das
Ministerium den Kammern die Befugniß zu diesem Schritt abgesprochen, weil
der Kammer nicht zustehe, "daß sie das Verfahren eines Ministers Sr. Majestät
für ungesetzlich erkläre, und über Verwaltungsmaßregelu eine Anklage erhebe, die
Untersuchung führe und ein Urtheil fälle".

Dieser Streit ist ein Kampf um die Grundlagen alles constitutionellen Le¬
bens. Wenn die Kammer" nichts sind, als Factoren bei der Gesetzgebung des
Staates und Vertreter des Volkes bei Prüfung des Staatsbudgets, so siud sie
eine Erfindung von zweifelhaftem Werth, deun Gesetze werden vielleicht correcter
und sicherer dnrch Fachleute redigirt, als durch die Kammern, und die Prüfung
des Budgets kauu allenfalls auch durch einen Rechnungshof, dessen Glieder un¬
absetzbar, wie Richter, sein mögen, bewirkt werden. Was nützt die Mitwirkung
der Volksvertreter bei der Gesetzgebung? wenn es der Executivgewalt freisteht, die
gegebenen Gesetze uicht zu befolgen, und durch ihre Beamten thun zu lassen, was
ihr gutdünkt? Eine solche Organisation des Staates ist ein Unsinn, und ein
absolutes Regiment ist mit ihr verglichen fast ein Glück zu nennen. Denn in einem
absoluten Staat hat die Regierung in der öffentlichen Meinung, welche ihr jedesmal
kritisch, gereizt, zuweilen feindlich gegenübersteht, einen furchtbaren Gegner, den sie eben
deshalb überall zu scheuen hat, weil seiue Rechte durch gar kein Gesetz festgestellt sind.
Dagegen hat eine, absolute Execntivgewalt mit Kammern der öffentlichen Meinung ge¬
genüber eine Deckung, welche sie der Nothwendigkeit überhebt, irgend welche Rücksicht
zu nehmen. So lange solche Kammern in Uebereinstimmung mit ihr hier und
da ein nützliches Gesetz geben, nimmt sie den Schein an, sich ans die Majorität
der Wahlbürger zu stützen, und sobald eine solche Kammer ihr die Beihilfe bei
neuen Gesetzentwürfen versagt, vctroyirt sie selbstständig Gesetze und entzieht diese
als Negierungsmaßregeln ebenfalls der Kritik der Kammer, welche bei so mangel-


nen zu Schulden kommen lassen, sind fast ohne alle Ausnahme kein Verkaufen
der eigenen Ueberzeugung, sondern Schwäche des Willens, Mißtrauen gegen die
eigene Ausicht und mißverstandene Pietät. Die Periode der constitutionellen Kor¬
ruption, welche England durchmachen mußte, bevor es zu einer selbstständigen
Charakterbildung seiner Staatsmänner im parlamentarischen Leben durchdrang,
und welche in Frankreich noch gegenwärtig die kläglichen Umwandlungen der letz¬
ten Jahre möglich gemacht hat, wird Preußen hoffentlich erspart bleiben.

Wie schwer aber der Uebergang zu constitutionellen Leben selbst bei guter
Anlage des Volkes wird, zeigen die gegenwärtigen Verhandlungen der zweiten
preußischen Kammer. Das Ministerium hat im letzten Jahre durch die Berufung
der Provinzialstände und die ärgerlichsten politischen Beschränkungen der Presse,
wenn nicht den Buchstaben, doch sicherlich das Wesen der preußischen Verfassung
auf das Tiefste verletzt. Die Opposition hat die Kanunern aufgefordert, zu er¬
klären, daß die Maßregeln der Regierung gegen die Presse und die Einberufung
der Provinzialstände im Widerspruch mit der Verfassung stehen. Da hat das
Ministerium den Kammern die Befugniß zu diesem Schritt abgesprochen, weil
der Kammer nicht zustehe, „daß sie das Verfahren eines Ministers Sr. Majestät
für ungesetzlich erkläre, und über Verwaltungsmaßregelu eine Anklage erhebe, die
Untersuchung führe und ein Urtheil fälle".

Dieser Streit ist ein Kampf um die Grundlagen alles constitutionellen Le¬
bens. Wenn die Kammer» nichts sind, als Factoren bei der Gesetzgebung des
Staates und Vertreter des Volkes bei Prüfung des Staatsbudgets, so siud sie
eine Erfindung von zweifelhaftem Werth, deun Gesetze werden vielleicht correcter
und sicherer dnrch Fachleute redigirt, als durch die Kammern, und die Prüfung
des Budgets kauu allenfalls auch durch einen Rechnungshof, dessen Glieder un¬
absetzbar, wie Richter, sein mögen, bewirkt werden. Was nützt die Mitwirkung
der Volksvertreter bei der Gesetzgebung? wenn es der Executivgewalt freisteht, die
gegebenen Gesetze uicht zu befolgen, und durch ihre Beamten thun zu lassen, was
ihr gutdünkt? Eine solche Organisation des Staates ist ein Unsinn, und ein
absolutes Regiment ist mit ihr verglichen fast ein Glück zu nennen. Denn in einem
absoluten Staat hat die Regierung in der öffentlichen Meinung, welche ihr jedesmal
kritisch, gereizt, zuweilen feindlich gegenübersteht, einen furchtbaren Gegner, den sie eben
deshalb überall zu scheuen hat, weil seiue Rechte durch gar kein Gesetz festgestellt sind.
Dagegen hat eine, absolute Execntivgewalt mit Kammern der öffentlichen Meinung ge¬
genüber eine Deckung, welche sie der Nothwendigkeit überhebt, irgend welche Rücksicht
zu nehmen. So lange solche Kammern in Uebereinstimmung mit ihr hier und
da ein nützliches Gesetz geben, nimmt sie den Schein an, sich ans die Majorität
der Wahlbürger zu stützen, und sobald eine solche Kammer ihr die Beihilfe bei
neuen Gesetzentwürfen versagt, vctroyirt sie selbstständig Gesetze und entzieht diese
als Negierungsmaßregeln ebenfalls der Kritik der Kammer, welche bei so mangel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/134>, abgerufen am 25.08.2024.