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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Wol ist es ein großer Uebelstand für Preußen, daß die Verfassung und die
Anfänge einer neuen zeitgemäßen Organisation deö Staates der Krone durch die
gewaltsamen Forderungen des Jahres 184-8 aufgenöthigt wurden. Deshalb hängt
ein Odium an ihnen, welches erst langsam und nach ernsten Erfahrungen über¬
wunden wird. Ein noch größerer Uebelstand aber ist, daß bei der gegenwärtigen
Niedergeschlagenheit auch verständige Männer geneigt sind, die geringen Resultate,
welche das junge parlamentarische Leben in Preußen bis jetzt gehabt hat, dem
Princip desselben zuzuschreiben, und an den heilenden Wirkungen desselben zu ver¬
zweifeln. Solche Stimmung ist, wenn sie allgemein wird, der ärgste Feind des
Staates. Denn sie erzeugt Gleichgültigkeit gegen die höchsten Interessen des In-
dividuums, und macht Propaganda für Willkür und Tyrannei der Regierenden.
Glücklicherweise ist diese Annahme bei uns Deutschen nichts als eine der hypochon¬
drischen Grillen, wie sie uns manchmal kommen. Allerdings haben die zahlreichen
constituirenden und repräsentirenden Versammlungen der Kammern bis jetzt keine
glänzenden Resultate gehabt, ja im Gegentheil sind die Preußen durch diese Ver¬
sammlungen vielfach gedemüthigt worden. Es war eine Phrase geworden, an
welche jeder Preuße glaubte, daß Preußen das am meisten in seiner Bildung
vorgeschrittene Land sei. Man verwechselte Wissen mit Bildung, und weil es sich
nicht läugnen läßt, daß in Preußen durchschnittlich der Einzelne mehr lernt, als
in irgend einem anderen großen Staat, so nahm man auch an, das preußische
Volk müsse mehr können, als ein anderes. Gerade die-Kammern haben ge¬
zeigt, wie ungenügend die ganze preußische Bildung ist, daß die lange und ener¬
gische Beschäftigung mit Kunst und Wissenschaft, ja auch mit der Theorie deö
Staats- und Geschäftslebens, nicht ausreicht, Charaktere zu schaffen, wie sie für
das parlamentarische Leben der Völker nöthig sind. Nicht an Verständniß der
großen politischen Fragen fehlte es, wohl aber^an gestählter Beharrlichkeit, an
Parteisinn. Nicht das parlamentarische Getriebe ist schuld, wenn Preußen jetzt
nicht das Aussehen eines starken Staates hat, sondern die sind schuld, welche
das constitutionelle Leben noch uicht verstehen. Und in diese Schuld theilen sich
Alle, die Höchsten und die Niedrigsten, Minister und Beamte, Deputirte und Wähler.

Das ist für den Augenblick sehr schlimm und wird vielleicht dem Staat noch
für längere Zeit ein schwächliches Aussehen geben, aber ein unverbesserliches
Unglück ist es nicht; denn so einseitig die frühere Erziehung der Preußen war,
das Mark deö Lebens hat sie uicht verdorben. Die Liebe zum Vaterlande,
Fähigkeit, sich zu begeistern und zu opfern, Pflichtgefühl und persönliche Bieder¬
keit sind Tugenden der politischen Männer aller Parteien, welche von ihren
Freunden vorausgesetzt und selbst von ihren erbitterten Gegnern nicht geleugnet
werden. Sie sind eine selbstverständliche Voraussetzung, und keinem Menschen
fällt es ein, ein Aufheben davon zu machen. Das ist immerhin ein gutes
Zeichen. Die Schwächen und politischen Unwürdigkeiten, welche sich die Einzel-


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Wol ist es ein großer Uebelstand für Preußen, daß die Verfassung und die
Anfänge einer neuen zeitgemäßen Organisation deö Staates der Krone durch die
gewaltsamen Forderungen des Jahres 184-8 aufgenöthigt wurden. Deshalb hängt
ein Odium an ihnen, welches erst langsam und nach ernsten Erfahrungen über¬
wunden wird. Ein noch größerer Uebelstand aber ist, daß bei der gegenwärtigen
Niedergeschlagenheit auch verständige Männer geneigt sind, die geringen Resultate,
welche das junge parlamentarische Leben in Preußen bis jetzt gehabt hat, dem
Princip desselben zuzuschreiben, und an den heilenden Wirkungen desselben zu ver¬
zweifeln. Solche Stimmung ist, wenn sie allgemein wird, der ärgste Feind des
Staates. Denn sie erzeugt Gleichgültigkeit gegen die höchsten Interessen des In-
dividuums, und macht Propaganda für Willkür und Tyrannei der Regierenden.
Glücklicherweise ist diese Annahme bei uns Deutschen nichts als eine der hypochon¬
drischen Grillen, wie sie uns manchmal kommen. Allerdings haben die zahlreichen
constituirenden und repräsentirenden Versammlungen der Kammern bis jetzt keine
glänzenden Resultate gehabt, ja im Gegentheil sind die Preußen durch diese Ver¬
sammlungen vielfach gedemüthigt worden. Es war eine Phrase geworden, an
welche jeder Preuße glaubte, daß Preußen das am meisten in seiner Bildung
vorgeschrittene Land sei. Man verwechselte Wissen mit Bildung, und weil es sich
nicht läugnen läßt, daß in Preußen durchschnittlich der Einzelne mehr lernt, als
in irgend einem anderen großen Staat, so nahm man auch an, das preußische
Volk müsse mehr können, als ein anderes. Gerade die-Kammern haben ge¬
zeigt, wie ungenügend die ganze preußische Bildung ist, daß die lange und ener¬
gische Beschäftigung mit Kunst und Wissenschaft, ja auch mit der Theorie deö
Staats- und Geschäftslebens, nicht ausreicht, Charaktere zu schaffen, wie sie für
das parlamentarische Leben der Völker nöthig sind. Nicht an Verständniß der
großen politischen Fragen fehlte es, wohl aber^an gestählter Beharrlichkeit, an
Parteisinn. Nicht das parlamentarische Getriebe ist schuld, wenn Preußen jetzt
nicht das Aussehen eines starken Staates hat, sondern die sind schuld, welche
das constitutionelle Leben noch uicht verstehen. Und in diese Schuld theilen sich
Alle, die Höchsten und die Niedrigsten, Minister und Beamte, Deputirte und Wähler.

Das ist für den Augenblick sehr schlimm und wird vielleicht dem Staat noch
für längere Zeit ein schwächliches Aussehen geben, aber ein unverbesserliches
Unglück ist es nicht; denn so einseitig die frühere Erziehung der Preußen war,
das Mark deö Lebens hat sie uicht verdorben. Die Liebe zum Vaterlande,
Fähigkeit, sich zu begeistern und zu opfern, Pflichtgefühl und persönliche Bieder¬
keit sind Tugenden der politischen Männer aller Parteien, welche von ihren
Freunden vorausgesetzt und selbst von ihren erbitterten Gegnern nicht geleugnet
werden. Sie sind eine selbstverständliche Voraussetzung, und keinem Menschen
fällt es ein, ein Aufheben davon zu machen. Das ist immerhin ein gutes
Zeichen. Die Schwächen und politischen Unwürdigkeiten, welche sich die Einzel-


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[0133] Wol ist es ein großer Uebelstand für Preußen, daß die Verfassung und die Anfänge einer neuen zeitgemäßen Organisation deö Staates der Krone durch die gewaltsamen Forderungen des Jahres 184-8 aufgenöthigt wurden. Deshalb hängt ein Odium an ihnen, welches erst langsam und nach ernsten Erfahrungen über¬ wunden wird. Ein noch größerer Uebelstand aber ist, daß bei der gegenwärtigen Niedergeschlagenheit auch verständige Männer geneigt sind, die geringen Resultate, welche das junge parlamentarische Leben in Preußen bis jetzt gehabt hat, dem Princip desselben zuzuschreiben, und an den heilenden Wirkungen desselben zu ver¬ zweifeln. Solche Stimmung ist, wenn sie allgemein wird, der ärgste Feind des Staates. Denn sie erzeugt Gleichgültigkeit gegen die höchsten Interessen des In- dividuums, und macht Propaganda für Willkür und Tyrannei der Regierenden. Glücklicherweise ist diese Annahme bei uns Deutschen nichts als eine der hypochon¬ drischen Grillen, wie sie uns manchmal kommen. Allerdings haben die zahlreichen constituirenden und repräsentirenden Versammlungen der Kammern bis jetzt keine glänzenden Resultate gehabt, ja im Gegentheil sind die Preußen durch diese Ver¬ sammlungen vielfach gedemüthigt worden. Es war eine Phrase geworden, an welche jeder Preuße glaubte, daß Preußen das am meisten in seiner Bildung vorgeschrittene Land sei. Man verwechselte Wissen mit Bildung, und weil es sich nicht läugnen läßt, daß in Preußen durchschnittlich der Einzelne mehr lernt, als in irgend einem anderen großen Staat, so nahm man auch an, das preußische Volk müsse mehr können, als ein anderes. Gerade die-Kammern haben ge¬ zeigt, wie ungenügend die ganze preußische Bildung ist, daß die lange und ener¬ gische Beschäftigung mit Kunst und Wissenschaft, ja auch mit der Theorie deö Staats- und Geschäftslebens, nicht ausreicht, Charaktere zu schaffen, wie sie für das parlamentarische Leben der Völker nöthig sind. Nicht an Verständniß der großen politischen Fragen fehlte es, wohl aber^an gestählter Beharrlichkeit, an Parteisinn. Nicht das parlamentarische Getriebe ist schuld, wenn Preußen jetzt nicht das Aussehen eines starken Staates hat, sondern die sind schuld, welche das constitutionelle Leben noch uicht verstehen. Und in diese Schuld theilen sich Alle, die Höchsten und die Niedrigsten, Minister und Beamte, Deputirte und Wähler. Das ist für den Augenblick sehr schlimm und wird vielleicht dem Staat noch für längere Zeit ein schwächliches Aussehen geben, aber ein unverbesserliches Unglück ist es nicht; denn so einseitig die frühere Erziehung der Preußen war, das Mark deö Lebens hat sie uicht verdorben. Die Liebe zum Vaterlande, Fähigkeit, sich zu begeistern und zu opfern, Pflichtgefühl und persönliche Bieder¬ keit sind Tugenden der politischen Männer aller Parteien, welche von ihren Freunden vorausgesetzt und selbst von ihren erbitterten Gegnern nicht geleugnet werden. Sie sind eine selbstverständliche Voraussetzung, und keinem Menschen fällt es ein, ein Aufheben davon zu machen. Das ist immerhin ein gutes Zeichen. Die Schwächen und politischen Unwürdigkeiten, welche sich die Einzel- ^ 16*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/133>, abgerufen am 22.07.2024.