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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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daß sie unwillkürlich zu dem erhöhten Ton greifen müsse. Nach dieser Ansicht
sollte man meinen, er würde die Musik erst am Schluß seines Kunstwerks der
Zukunft anbringen, aber er zieht diese Consequenz nicht. Sein neues Kunstwerk
soll wie "die alte Oper von Anfang bis zu Ende gesungen werden.

Die moderne Sprache sott überhaupt unfähig sein, sich poetisch auszudrücken.
Staatsmenschen könnten sich nur in Prosa unterhalten. Was wir von einer
poetischen Sprache, von Versen, Reimen und dergleichen zu besitzen glaubten,
sei eine Illusion. Wagner hält sich anch hier im Unbestimmten. Es sällt ihm
nicht ein, daß zwischen der deutschen und zwischen den romanischen Sprachen in
dieser Beziehung ein sehr wesentlicher Unterschied ist. Er läugnet mit der größten
Allgemeinheit die Möglichkeit eines Versmaßes in den modernen Sprachen über¬
haupt, und giebt jener Schauspielerin, die sich Schiller's Jamben in Prosa
ausschreiben ließ, um nicht zu einer falschen Declamation verleitet zu werden, --
ein Unterfangen, wofür sie den Staubbesen verdient hätte, -- vollkommen Recht.
Er geht so weit, die Hebung und Senkung der Verssprache nach dein genanen
Zeitmaß abwägen zu wollen, z. B. eiuen Trochäus nur da anzuerkennen, wo
man ihn im Dreivierteltakt lesen muß. Er macht darauf aufmerksam, daß unsre
Melodien mit dem Versmaß wie mit dem Reim willkürlich umspringen, so daß
man sich gewissermaßen schene, recht schöne Verse zu componiren, um sie nicht
zu entstellen. Allerdings wird in dieser Beziehung in neuerer Zeit von den
Componisten sehr stark gesündigt, nicht allein gegen den sprachlichen Rythmus,
sondern auch gegen den musikalischen Takt; bis zu einem gewissen Grade ist aber
die gegenseitige Beschränkung des natürlichen Accents dnrch Rhythmus und
Melodie kein Uebelstand, so wenig wie die Ordnung eine Aufhebung der Freiheit
ist, was Wagner freilich nicht glauben will. Der Gegensatz zwischen dem Accent,
der Quantität und dem Versrhythmus in der griechischen Sprache hätte ihn
darauf aufmerksam machen sollen, allein er weiß sich hier schnell zu helfen. Er
behauptet nämlich, daß die Griechen den Wortaccent dnrch den höhern Ton der Me¬
lodie ausgedrückt hätten: eine Behauptung, der weiter Nichts fehlt, als der Beweis.

Mau wird nicht wenig überrascht, wenn man als das Mittel, diesen Uebel¬
ständen der modernen Sprache abzuhelfen, die Alliteration angegeben findet. Aus
der Existenz von alliterirendcn sprichwörtlichen Redensarten schließt Wagner ans
das Naturgemäße dieser veralteten Versform. Er findet in der Alliteration zu¬
gleich das Mittel, Melodie und Harmonie organisch zu schaffen. So erfindet er
z. B. den Vers:


Die Liebe bringt Lust und Leid,
Doch in ihr Weh auch webt sie Wonnen,

und zeigt, daß mit den Worten "Lust" und "webt" die Uebergangstonart ge¬
geben sei. Es ist gerade in diesen Punkten, wo man von einem gebildeten Musiker
die vollständigste Aufklärung zu erwarten berechtigt sein würde, sehr schwer zu


daß sie unwillkürlich zu dem erhöhten Ton greifen müsse. Nach dieser Ansicht
sollte man meinen, er würde die Musik erst am Schluß seines Kunstwerks der
Zukunft anbringen, aber er zieht diese Consequenz nicht. Sein neues Kunstwerk
soll wie "die alte Oper von Anfang bis zu Ende gesungen werden.

Die moderne Sprache sott überhaupt unfähig sein, sich poetisch auszudrücken.
Staatsmenschen könnten sich nur in Prosa unterhalten. Was wir von einer
poetischen Sprache, von Versen, Reimen und dergleichen zu besitzen glaubten,
sei eine Illusion. Wagner hält sich anch hier im Unbestimmten. Es sällt ihm
nicht ein, daß zwischen der deutschen und zwischen den romanischen Sprachen in
dieser Beziehung ein sehr wesentlicher Unterschied ist. Er läugnet mit der größten
Allgemeinheit die Möglichkeit eines Versmaßes in den modernen Sprachen über¬
haupt, und giebt jener Schauspielerin, die sich Schiller's Jamben in Prosa
ausschreiben ließ, um nicht zu einer falschen Declamation verleitet zu werden, —
ein Unterfangen, wofür sie den Staubbesen verdient hätte, — vollkommen Recht.
Er geht so weit, die Hebung und Senkung der Verssprache nach dein genanen
Zeitmaß abwägen zu wollen, z. B. eiuen Trochäus nur da anzuerkennen, wo
man ihn im Dreivierteltakt lesen muß. Er macht darauf aufmerksam, daß unsre
Melodien mit dem Versmaß wie mit dem Reim willkürlich umspringen, so daß
man sich gewissermaßen schene, recht schöne Verse zu componiren, um sie nicht
zu entstellen. Allerdings wird in dieser Beziehung in neuerer Zeit von den
Componisten sehr stark gesündigt, nicht allein gegen den sprachlichen Rythmus,
sondern auch gegen den musikalischen Takt; bis zu einem gewissen Grade ist aber
die gegenseitige Beschränkung des natürlichen Accents dnrch Rhythmus und
Melodie kein Uebelstand, so wenig wie die Ordnung eine Aufhebung der Freiheit
ist, was Wagner freilich nicht glauben will. Der Gegensatz zwischen dem Accent,
der Quantität und dem Versrhythmus in der griechischen Sprache hätte ihn
darauf aufmerksam machen sollen, allein er weiß sich hier schnell zu helfen. Er
behauptet nämlich, daß die Griechen den Wortaccent dnrch den höhern Ton der Me¬
lodie ausgedrückt hätten: eine Behauptung, der weiter Nichts fehlt, als der Beweis.

Mau wird nicht wenig überrascht, wenn man als das Mittel, diesen Uebel¬
ständen der modernen Sprache abzuhelfen, die Alliteration angegeben findet. Aus
der Existenz von alliterirendcn sprichwörtlichen Redensarten schließt Wagner ans
das Naturgemäße dieser veralteten Versform. Er findet in der Alliteration zu¬
gleich das Mittel, Melodie und Harmonie organisch zu schaffen. So erfindet er
z. B. den Vers:


Die Liebe bringt Lust und Leid,
Doch in ihr Weh auch webt sie Wonnen,

und zeigt, daß mit den Worten „Lust" und „webt" die Uebergangstonart ge¬
geben sei. Es ist gerade in diesen Punkten, wo man von einem gebildeten Musiker
die vollständigste Aufklärung zu erwarten berechtigt sein würde, sehr schwer zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/103>, abgerufen am 22.07.2024.