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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Wien gut kaiserlich, unter ihnen wieder die Mediciner schneller, als andere, dann
kommen die Slaven, dann die Ungarn, zuletzt die Italiener. Die sanguinischen
Enthusiasten der Wiener Aula werden, wenn sie sich nicht entleihen oder aus¬
zehren, wirkliche eifrige Patrioten, die Slaven fügen sich, die Ungarn gehorchen
aus Ueberlegung oder gutherziger Einfalt, die Italiener verstellen sich. Gegen
diese Beobachtung läßt sich nicht 'viel einwenden. Es ist natürlich, daß ein
jugendlicher, einfacher Sinn, dessen Hoffnungen und Phantasiegebilde zertrümmert
sind, nach dein ersten Schmerz innerhalb der neuen militärischen Welt wieder zu
hoffen und zu träumen anfängt, und ebenso natürlich ist, daß das bloße Gefühl
des Widerwillens und der Abneigung gegen Fahnen und Farben endlich besiegt
wird durch das Jmponirende der militärischen Umgebung, durch die Spottreden
der Kameraden oder die Verachtung der vorgesetzten Officiere, endlich durch
die allgemeine offizielle Begeisterung sür die Großthaten des Heeres und seiner
Führer. -- Aber die Schnelligkeit dieser Bekehrung ist uicht so rasch, wie das
Selbstgefühl mancher kaiserlichen Bataillonscommandenre annimmt, welche bei einem
Deutschen etwa ein Jahr, bei einem Ungarn etwa zwei für hinreichend erklären.
Und unsicher bleiben solche Bekehrte fast immer. Es ist wahrscheinlich, daß sie
Jahre lang ihre Pflicht treu und unverdrossen thun, es ist sicher, daß sie gegen
fremde Feindej, z. B. Preußen, mit größter Bravour und Erbitterung sich
schlagen werden, aber wenn nach sechs, nach acht Jahren der Name Kossuth in
ihr Ohr klingt, oder die italienischen Bänder an irgend einer feindlichen Stand¬
arte flattern, so werden sie über Nacht abfallen und in den Kreis ihrer Jngend-
gefühle zurückkehren. Wenn deshalb Oestreich während der nächsten 6--8 Jahre
in einen großen Krieg mit einem klugen Feind verwickelt würde, welcher kühne
Mittel zu gebrauchen weiß, so wird das Heer des Kaiserstaats, sei es noch so
gut geschult und reorganisier, nicht Stand halten, sondern einen ähnlichen Auflö¬
sungsproceß durchmachen, wie im Jahre 1848. -- Und deshalb ist das Assen-
tirungssystem auch vom militärischen Standpunkt 'eine schlechte Maßregel, von
seiner Rohheit und Uumoralität ganz zu schweigen.

Um aber zu verhindern, daß in einem über kurz oder lang wieder ausbre-
chenden Nationalitätenkampf ganze Regimenter, wie im Jahre 1848, in geschlos¬
senen Reihen übergehen, hat man vielfach die Regimenter bunt dnrch leinander
vermischt, und Polen, Ungarn, Italiener, Deutsche, Böhmen in derselben Com¬
pagnie neben einander gestellt. Das ist ein anderer Uebelstand und vielleicht die
gefährlichste Schwäche des kaiserlichen Heeres. Man hofft dadurch zunächst zu
erreichen, daß ein Kamerad ans Nationalhaß den anderen bewache, und eine
massenhafte Desertion verhindert werde. Mag dies auch der Fall sein, die
Desertion im Einzelnen, welche von je, anch wenn keine politischen Motiven dazu
kamen, der Krebsschaden der östreichischen Armee war, wird dadurch doch nicht
verhindert werden.


Wien gut kaiserlich, unter ihnen wieder die Mediciner schneller, als andere, dann
kommen die Slaven, dann die Ungarn, zuletzt die Italiener. Die sanguinischen
Enthusiasten der Wiener Aula werden, wenn sie sich nicht entleihen oder aus¬
zehren, wirkliche eifrige Patrioten, die Slaven fügen sich, die Ungarn gehorchen
aus Ueberlegung oder gutherziger Einfalt, die Italiener verstellen sich. Gegen
diese Beobachtung läßt sich nicht 'viel einwenden. Es ist natürlich, daß ein
jugendlicher, einfacher Sinn, dessen Hoffnungen und Phantasiegebilde zertrümmert
sind, nach dein ersten Schmerz innerhalb der neuen militärischen Welt wieder zu
hoffen und zu träumen anfängt, und ebenso natürlich ist, daß das bloße Gefühl
des Widerwillens und der Abneigung gegen Fahnen und Farben endlich besiegt
wird durch das Jmponirende der militärischen Umgebung, durch die Spottreden
der Kameraden oder die Verachtung der vorgesetzten Officiere, endlich durch
die allgemeine offizielle Begeisterung sür die Großthaten des Heeres und seiner
Führer. — Aber die Schnelligkeit dieser Bekehrung ist uicht so rasch, wie das
Selbstgefühl mancher kaiserlichen Bataillonscommandenre annimmt, welche bei einem
Deutschen etwa ein Jahr, bei einem Ungarn etwa zwei für hinreichend erklären.
Und unsicher bleiben solche Bekehrte fast immer. Es ist wahrscheinlich, daß sie
Jahre lang ihre Pflicht treu und unverdrossen thun, es ist sicher, daß sie gegen
fremde Feindej, z. B. Preußen, mit größter Bravour und Erbitterung sich
schlagen werden, aber wenn nach sechs, nach acht Jahren der Name Kossuth in
ihr Ohr klingt, oder die italienischen Bänder an irgend einer feindlichen Stand¬
arte flattern, so werden sie über Nacht abfallen und in den Kreis ihrer Jngend-
gefühle zurückkehren. Wenn deshalb Oestreich während der nächsten 6—8 Jahre
in einen großen Krieg mit einem klugen Feind verwickelt würde, welcher kühne
Mittel zu gebrauchen weiß, so wird das Heer des Kaiserstaats, sei es noch so
gut geschult und reorganisier, nicht Stand halten, sondern einen ähnlichen Auflö¬
sungsproceß durchmachen, wie im Jahre 1848. — Und deshalb ist das Assen-
tirungssystem auch vom militärischen Standpunkt 'eine schlechte Maßregel, von
seiner Rohheit und Uumoralität ganz zu schweigen.

Um aber zu verhindern, daß in einem über kurz oder lang wieder ausbre-
chenden Nationalitätenkampf ganze Regimenter, wie im Jahre 1848, in geschlos¬
senen Reihen übergehen, hat man vielfach die Regimenter bunt dnrch leinander
vermischt, und Polen, Ungarn, Italiener, Deutsche, Böhmen in derselben Com¬
pagnie neben einander gestellt. Das ist ein anderer Uebelstand und vielleicht die
gefährlichste Schwäche des kaiserlichen Heeres. Man hofft dadurch zunächst zu
erreichen, daß ein Kamerad ans Nationalhaß den anderen bewache, und eine
massenhafte Desertion verhindert werde. Mag dies auch der Fall sein, die
Desertion im Einzelnen, welche von je, anch wenn keine politischen Motiven dazu
kamen, der Krebsschaden der östreichischen Armee war, wird dadurch doch nicht
verhindert werden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/96>, abgerufen am 24.07.2024.