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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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kleiner Blätter verloren, außerdem sind die Journale der äußersten Linken, die
rothrepublikanischen und communistischen, ziemlich alle unterdrückt. Dennoch hat
sie außer einigen Blättern zweiten Ranges, die mit Talent redigirt werden (z. B.
die Neue Oderzeitung), drei Blätter von unermeßlichen Einfluß: den
Kladderadatsch, die Nationalzeitung und die Monatsschrift von
Kolatschet. -- Der Kladderadatsch gewöhnt das Publicum, sich die leidige Po¬
litik wöchentlich dnrch einen guten oder schlechten Witz vom Halse zu schaffen. Ans
Consequenz kommt es ihm uicht an; hente verhöhnt er die durch die Schlacht
von Bronzell verlorene preußische Ehre, morgen bringt er einen sehr ernsthaft
gemeinten Leitartikel: "der Krieg ist doch eklig," der ungefähr mit der Rede von
Bismark-Schönhausen übereinstimmt. Darum verträgt sich anch der Zuschauer der
Kreuzzeitung mit ihm ans das Vortrefflichste. In einem Punkt sind sie vollkommen
einig und consequent: in dem Geschmack an den Gothaer Würsten, und sie setzen
dies Gericht unermüdlich mit immer neuen Saucen vor. -- Man darf den Ein¬
fluß dieses Blatts nicht zu gering anschlagen; zwar gibt es nichts Positives, aber
das hat es mit der Demokratie überhaupt gemein, desto gründlicher verleidet
es dem Volk die constitutionelle Staatsform, und arbeitet der Reaction in die
Hände. --'

Die Nationalzeitung hat in diesem Augenblick von allen Journalen
vielleicht das größte Publicum. Sie hat dadurch eine Macht in Händen, die
zweckmäßig und zum Heil des Vaterlandes anzuwenden, ihr auch keineswegs das
Geschick fehlt. Daß sie. es bis jetzt nicht gethan hat, liegt vielleicht an der falschen
Stellung der Demokratie überhaupt. Seit der Veränderung des Wahlgesetzes in
Preußen hat sich die Demokratie der posttiveu Politik überhaupt entfremdet; sie
hat sich lediglich kritisch verhallen, ohne auch uur im Entferntesten anzudeuten,
wie sie sich deu Rückweg in das Gebiet der wirklichen Thätigkeit eigentlich denke.
Sie hat sich meistens -- uicht immer -- als Gegner der Union ausgesprochen,
sie hat aber nicht gesagt, wie sie sich die Fortentwickelung des deutschen Staats¬
lebens denke; es liegt immer im Hintergrund die Spekulation auf eine neue
Umwälzung, d. h. auf deu Zufall. -- Die Zeit ist uicht mehr von der Art, mit
dergleichen zu spielen. Eine Revolution von Unten hat weniger Chancen als
jemals, und man sollte ans der Geschichte endlich so viel gelernt haben, daß jede
Revolution, die sich nicht ans eine vollkommen organisirte Macht stützt, auf eine
Macht, in der alle productive Kraft der Nation vereinigt ist (wie in den verbün¬
deten Tories und Whigs 1688), stets als ein Rückschritt betrachtet werden muß.
Es werdeu sehr bald ernsthafte, praktische Fragen in den Vordergrund treten,
und diese wird die Demokratie nicht mehr durch höhnisches, achselzuckeudes Schweigen
zu lösen unternehmen dürfen. -- Die erwähnte Monatsschrift scheint mehr auf
die Aristokraten unter deu Demokraten berechnet zu sein; da in ihr nicht eine
Partei in xlsno, sondern bestimmte Persönlichkeiten austreten, sind die Leistungen


kleiner Blätter verloren, außerdem sind die Journale der äußersten Linken, die
rothrepublikanischen und communistischen, ziemlich alle unterdrückt. Dennoch hat
sie außer einigen Blättern zweiten Ranges, die mit Talent redigirt werden (z. B.
die Neue Oderzeitung), drei Blätter von unermeßlichen Einfluß: den
Kladderadatsch, die Nationalzeitung und die Monatsschrift von
Kolatschet. — Der Kladderadatsch gewöhnt das Publicum, sich die leidige Po¬
litik wöchentlich dnrch einen guten oder schlechten Witz vom Halse zu schaffen. Ans
Consequenz kommt es ihm uicht an; hente verhöhnt er die durch die Schlacht
von Bronzell verlorene preußische Ehre, morgen bringt er einen sehr ernsthaft
gemeinten Leitartikel: „der Krieg ist doch eklig," der ungefähr mit der Rede von
Bismark-Schönhausen übereinstimmt. Darum verträgt sich anch der Zuschauer der
Kreuzzeitung mit ihm ans das Vortrefflichste. In einem Punkt sind sie vollkommen
einig und consequent: in dem Geschmack an den Gothaer Würsten, und sie setzen
dies Gericht unermüdlich mit immer neuen Saucen vor. — Man darf den Ein¬
fluß dieses Blatts nicht zu gering anschlagen; zwar gibt es nichts Positives, aber
das hat es mit der Demokratie überhaupt gemein, desto gründlicher verleidet
es dem Volk die constitutionelle Staatsform, und arbeitet der Reaction in die
Hände. —'

Die Nationalzeitung hat in diesem Augenblick von allen Journalen
vielleicht das größte Publicum. Sie hat dadurch eine Macht in Händen, die
zweckmäßig und zum Heil des Vaterlandes anzuwenden, ihr auch keineswegs das
Geschick fehlt. Daß sie. es bis jetzt nicht gethan hat, liegt vielleicht an der falschen
Stellung der Demokratie überhaupt. Seit der Veränderung des Wahlgesetzes in
Preußen hat sich die Demokratie der posttiveu Politik überhaupt entfremdet; sie
hat sich lediglich kritisch verhallen, ohne auch uur im Entferntesten anzudeuten,
wie sie sich deu Rückweg in das Gebiet der wirklichen Thätigkeit eigentlich denke.
Sie hat sich meistens — uicht immer — als Gegner der Union ausgesprochen,
sie hat aber nicht gesagt, wie sie sich die Fortentwickelung des deutschen Staats¬
lebens denke; es liegt immer im Hintergrund die Spekulation auf eine neue
Umwälzung, d. h. auf deu Zufall. — Die Zeit ist uicht mehr von der Art, mit
dergleichen zu spielen. Eine Revolution von Unten hat weniger Chancen als
jemals, und man sollte ans der Geschichte endlich so viel gelernt haben, daß jede
Revolution, die sich nicht ans eine vollkommen organisirte Macht stützt, auf eine
Macht, in der alle productive Kraft der Nation vereinigt ist (wie in den verbün¬
deten Tories und Whigs 1688), stets als ein Rückschritt betrachtet werden muß.
Es werdeu sehr bald ernsthafte, praktische Fragen in den Vordergrund treten,
und diese wird die Demokratie nicht mehr durch höhnisches, achselzuckeudes Schweigen
zu lösen unternehmen dürfen. — Die erwähnte Monatsschrift scheint mehr auf
die Aristokraten unter deu Demokraten berechnet zu sein; da in ihr nicht eine
Partei in xlsno, sondern bestimmte Persönlichkeiten austreten, sind die Leistungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/86>, abgerufen am 24.07.2024.