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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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vorzüglich durch die größeren Blätter getragen wurde, während die kleine Klatsch¬
presse fast ausschließlich den Demokraten oder den Absolutsten angehörte, wie es
der Begriff der Klatschpresse mit sich bringt, so haben wir durch die letzten Pre߬
gesetze, die im Ganzen mehr ans die kleinen Blätter drückten, eigentlich im Ganzen
gewonnen. Dennoch haben wir einige schwere Verluste zu beklagen.

Zunächst das erste Blatt, welches mit der Entschiedenheit einer durchgebildeten
Ueberzeugung unsere Principien vertrat, die Deutsche Zeitung. -- Sie hat
eigentlich unsere Partei gebildet; denn es gehört dazu nicht allein, einen richtigen
Gedanken zu concipiren, sondern ihn in täglich neuen Wendungen so zu bear¬
beiten , daß er für die Masse das Fremdartige verliert, daß man ihm nicht mehr
ans Schen vor einem Gefühlscouflict seine Ueberzeugung verschließt. Dieses Ver¬
dienst ist um so größer, da es eigentlich einem einzigen Manne zukommt: Ger-
vinus. Auch unter den spätern Redactionen waren seine Leitartikel eigentlich noch
immer dasjenige, was dem Blatt seinen Charakter gab, und als er steh ganz davou
zurückzog -- uach dem Compromiß von Gotha -- war auch die Bedeutung des
Blattes vorüber. Zwar nahm es seitdem noch entschiedener den Charakter eines
Parteiblatts an, es wurde sogar gewissermaßen von der Partei selbst redigirt;
aber das ist schon an sich eine mißliche Sache, denn ein Blatt, welches jeden Au¬
genblick bedeutend einzugreifen bestimmt ist, muß dnrch eine entschiedene Persön¬
lichkeit getragen werdeu, die uicht ans hunderttausend sich durchkreuzende Richtungen
ängstlich Rücksicht zu nehmen hat. Sodann waren die äußern Umstände wesentlich
verändert; der Vorort der Partei war nicht mehr Frankfurt, sondern Berlin, und
was man in Berlin wollte, konnte man in Frankfurt nur selteu errathen. Ger-
vinus und seiue Partei hatten Preußen, dessen Kraft man damals uoch zu gering
anschlug, durch das Parlament erobern wollen, es war also billig, daß das leitende
Organ der Partei im Hauptquartier des Parlaments erschien. Seitdem aber
das Feldgeschrei geändert war, seitdem man sich von Preußen erobern lassen wollte,
mußte man die Hegemonie den Eroberern überlassen. -- Um aber ein tüchtiges
Localblatt zu werdeu, was noch für Südwestdeutschland für das Blatt eine sehr
wichtige Aufgabe gewesen wäre, besaß es zu wenig Gewandtheit. -- Vielleicht
wird jetzt das Frankfurter Journal, welches doch immer das liberalere war,
versucht werden, diese Aufgabe zu übernehmen, und im Sinn unserer Partei, in
die sich jetzt der Liberalismus concentriren wird, im Gegensatz zu der Oberpost¬
amtszeitung, die jetzt wahrscheinlich uoch entschiedener die heilige Allianz und
den Bundestag vertreten wird, die Schwaben und Franken zu cultiviren. Ohnehin
existirt dort kein liberales Blatt von einiger Bedeutung, wenn man die Neue
Würtenberger ausnimmt.

Fast ebenso, als die deutsche Zeitung, ist der Verlust der Brunner Presse
zu bedauern. Es kommt gerade darauf an, daß die lieberalen Oestreicher einsehen,
für die Entwicklung ihrer staatlichen Freiheit und Macht, für die Fortbildung


vorzüglich durch die größeren Blätter getragen wurde, während die kleine Klatsch¬
presse fast ausschließlich den Demokraten oder den Absolutsten angehörte, wie es
der Begriff der Klatschpresse mit sich bringt, so haben wir durch die letzten Pre߬
gesetze, die im Ganzen mehr ans die kleinen Blätter drückten, eigentlich im Ganzen
gewonnen. Dennoch haben wir einige schwere Verluste zu beklagen.

Zunächst das erste Blatt, welches mit der Entschiedenheit einer durchgebildeten
Ueberzeugung unsere Principien vertrat, die Deutsche Zeitung. — Sie hat
eigentlich unsere Partei gebildet; denn es gehört dazu nicht allein, einen richtigen
Gedanken zu concipiren, sondern ihn in täglich neuen Wendungen so zu bear¬
beiten , daß er für die Masse das Fremdartige verliert, daß man ihm nicht mehr
ans Schen vor einem Gefühlscouflict seine Ueberzeugung verschließt. Dieses Ver¬
dienst ist um so größer, da es eigentlich einem einzigen Manne zukommt: Ger-
vinus. Auch unter den spätern Redactionen waren seine Leitartikel eigentlich noch
immer dasjenige, was dem Blatt seinen Charakter gab, und als er steh ganz davou
zurückzog — uach dem Compromiß von Gotha — war auch die Bedeutung des
Blattes vorüber. Zwar nahm es seitdem noch entschiedener den Charakter eines
Parteiblatts an, es wurde sogar gewissermaßen von der Partei selbst redigirt;
aber das ist schon an sich eine mißliche Sache, denn ein Blatt, welches jeden Au¬
genblick bedeutend einzugreifen bestimmt ist, muß dnrch eine entschiedene Persön¬
lichkeit getragen werdeu, die uicht ans hunderttausend sich durchkreuzende Richtungen
ängstlich Rücksicht zu nehmen hat. Sodann waren die äußern Umstände wesentlich
verändert; der Vorort der Partei war nicht mehr Frankfurt, sondern Berlin, und
was man in Berlin wollte, konnte man in Frankfurt nur selteu errathen. Ger-
vinus und seiue Partei hatten Preußen, dessen Kraft man damals uoch zu gering
anschlug, durch das Parlament erobern wollen, es war also billig, daß das leitende
Organ der Partei im Hauptquartier des Parlaments erschien. Seitdem aber
das Feldgeschrei geändert war, seitdem man sich von Preußen erobern lassen wollte,
mußte man die Hegemonie den Eroberern überlassen. — Um aber ein tüchtiges
Localblatt zu werdeu, was noch für Südwestdeutschland für das Blatt eine sehr
wichtige Aufgabe gewesen wäre, besaß es zu wenig Gewandtheit. — Vielleicht
wird jetzt das Frankfurter Journal, welches doch immer das liberalere war,
versucht werden, diese Aufgabe zu übernehmen, und im Sinn unserer Partei, in
die sich jetzt der Liberalismus concentriren wird, im Gegensatz zu der Oberpost¬
amtszeitung, die jetzt wahrscheinlich uoch entschiedener die heilige Allianz und
den Bundestag vertreten wird, die Schwaben und Franken zu cultiviren. Ohnehin
existirt dort kein liberales Blatt von einiger Bedeutung, wenn man die Neue
Würtenberger ausnimmt.

Fast ebenso, als die deutsche Zeitung, ist der Verlust der Brunner Presse
zu bedauern. Es kommt gerade darauf an, daß die lieberalen Oestreicher einsehen,
für die Entwicklung ihrer staatlichen Freiheit und Macht, für die Fortbildung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/83>, abgerufen am 24.07.2024.