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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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liömus, im Namen der politischen Freiheit das ganze Institut der Kirche verwirft,
so ist er damit kein ärgerer Feind des Christenthums, wenigstens nicht in geistiger
Beziehung, als Herr von Montalembert, der die Religion zum Vehikel der poli¬
tischen Knechtschaft mißbraucht.

Ich glaube, daß man bei ernsthaftem Nachdenken, bei dem besten Willen,
dem Staat und der Moral eine solide Basis zu geben, ans das entgegengesetzte
Resultat kommt, als unsere Neactionärs. Einmal zu dem Resultat, daß es keinen
schlimmern Feind einer organischen, antirevolutiouären Entwickelung des Staats¬
lebens gibt, als das Papstthum im mittelalterlichen Sinn, die alleinseligmachende
Kirche; daß, wie es in England geschehen ist, die Nationen selbst sich die Formen
ihrer Gottesverehrung und ihr Verhältniß zu der Quelle derselben schaffen müssen;
und daß es im gemeinsamen Interesse Aller liegt (die katholische Kirche, wenn man
sie als endliche, bestimmte Neligiousgesellschaft betrachtet, nicht ausgeschlossen),
die Ideen des geistlichen Principals zu unterdrücken, und die Bande, die einen
Theil des Volks an ein ausländisches Regiment fesseln, zu lösen.

Sodann glaube ich, daß der sittliche Ernst und die sittliche Wahrheit, welche
man wohl allgemein als die Grundlagen echter Religiosität anerkennen möchte,
nur durch ein klares, gewissenhaftes Denken hergestellt werden können; daß also
jene romantische Schwindelei, die mit dem Heiligen tändelt, angeblich um es dem
Volke zu empfehlen, im Interesse der Religion selbst zu bekämpfen ist. Geist¬
reiche Franzosen haben diese Romantik auf zwei verkehrte Richtungen zurückgeführt:
1e iaux sol-Ieux (das gemachte Pathos) und 1a dame 6u simple*). Wenn das.
Behagen am Contrast, welches den Grundzug unsers poetischen Empfindens aus¬
macht, durch den Ernst eines gläubigen Denkens aufgehoben sein wird, so wird
auch jeuer Gegensatz zwischen der christlichen und der naturalistischen Weltanschauung,
von denen die eine behauptet, daß der Mensch von Natur böse, die andere, daß
er von Natur gut sei, in seiner Einseitigkeit begriffen und zu einer verständigen
Vermittelung geführt werden. Der Ernst eines gläubigen Denkens ist aber nur
im Protestantismus, in der Autonomie des Glaubens zu finden, und dem von
seinen ersten, trüben Voraussetzungen geklärten Protestantismus ist es auch vorbe¬
5. 8. halten, die Grundlage der neuen Sittlichkeit zu schaffen.





/) Ewer der eifrigsten Romantiker, Michelet, gibt selber dafür ein sehr passendes Bild.
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liömus, im Namen der politischen Freiheit das ganze Institut der Kirche verwirft,
so ist er damit kein ärgerer Feind des Christenthums, wenigstens nicht in geistiger
Beziehung, als Herr von Montalembert, der die Religion zum Vehikel der poli¬
tischen Knechtschaft mißbraucht.

Ich glaube, daß man bei ernsthaftem Nachdenken, bei dem besten Willen,
dem Staat und der Moral eine solide Basis zu geben, ans das entgegengesetzte
Resultat kommt, als unsere Neactionärs. Einmal zu dem Resultat, daß es keinen
schlimmern Feind einer organischen, antirevolutiouären Entwickelung des Staats¬
lebens gibt, als das Papstthum im mittelalterlichen Sinn, die alleinseligmachende
Kirche; daß, wie es in England geschehen ist, die Nationen selbst sich die Formen
ihrer Gottesverehrung und ihr Verhältniß zu der Quelle derselben schaffen müssen;
und daß es im gemeinsamen Interesse Aller liegt (die katholische Kirche, wenn man
sie als endliche, bestimmte Neligiousgesellschaft betrachtet, nicht ausgeschlossen),
die Ideen des geistlichen Principals zu unterdrücken, und die Bande, die einen
Theil des Volks an ein ausländisches Regiment fesseln, zu lösen.

Sodann glaube ich, daß der sittliche Ernst und die sittliche Wahrheit, welche
man wohl allgemein als die Grundlagen echter Religiosität anerkennen möchte,
nur durch ein klares, gewissenhaftes Denken hergestellt werden können; daß also
jene romantische Schwindelei, die mit dem Heiligen tändelt, angeblich um es dem
Volke zu empfehlen, im Interesse der Religion selbst zu bekämpfen ist. Geist¬
reiche Franzosen haben diese Romantik auf zwei verkehrte Richtungen zurückgeführt:
1e iaux sol-Ieux (das gemachte Pathos) und 1a dame 6u simple*). Wenn das.
Behagen am Contrast, welches den Grundzug unsers poetischen Empfindens aus¬
macht, durch den Ernst eines gläubigen Denkens aufgehoben sein wird, so wird
auch jeuer Gegensatz zwischen der christlichen und der naturalistischen Weltanschauung,
von denen die eine behauptet, daß der Mensch von Natur böse, die andere, daß
er von Natur gut sei, in seiner Einseitigkeit begriffen und zu einer verständigen
Vermittelung geführt werden. Der Ernst eines gläubigen Denkens ist aber nur
im Protestantismus, in der Autonomie des Glaubens zu finden, und dem von
seinen ersten, trüben Voraussetzungen geklärten Protestantismus ist es auch vorbe¬
5. 8. halten, die Grundlage der neuen Sittlichkeit zu schaffen.





/) Ewer der eifrigsten Romantiker, Michelet, gibt selber dafür ein sehr passendes Bild.
I'el qui » Iivauooun sorti, et yui ä I» lonxuo >l»nov le inouclo uniforme et l'naiv, oliorono voluntiers
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/80>, abgerufen am 24.07.2024.