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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Erfolge meiner alliirten Hausirer bemerken. Die in meinen Karten angegebenen
Tauben, Blinden und Gebrechlichen machten mir allerdings häufig zu schaffen;
Augenwasser, Höllenstein, Strychnin, Calomel, spanische Fliegen und Schröpf-
köpfe blieben häufig erfolglos; doch tröstete ich immer mit den glücklichen
Resultaten, welche unfehlbar, aber zuweilen erst nach Jahren, meine Anstrengungen
krönten. Die Erfolge meines Sehendmachens der Blinden waren jedoch in der
That so erbärmlich gewesen, daß selbst die gläubigsten Seelen ihre Köpfe zu
schütteln begannen; ich beschloß daher, durch eine Operation den Muth der
Zweifelnden wieder zu heben, und nahm hierzu eiuen Mann, der am grauen
Staar litt, und dessen Geschichte mir die größte Hoffnung sür einen günstigen
Erfolg gab. Ein Staarmesser hatte ich nicht, es siel mir jedoch ein, daß große
Operateure alle Operationen mit dem Bistouri und der Lanzette machen können.
Mehrere Nachbarn fand ich im Zimmer des Kranken versammelt, und ich griff
nach meiner Lanzette. Das Fixiren des Augapfels hatte seiue Schwierigkeiten
und gelang mir nur theilweis, dennoch stieß ich meine Lanzette dnrch die durch¬
sichtige Hornhaut, die wässerige Feuchtigkeit floß aus, die Iris fiel vor und ich
konnte mit der Lanzette nichts mehr ans lichten. Ich griff nun zur Scheere
und vollendete mit ihr den halbmondförmigen Schnitt; dieses Manoeuvre dauerte
jedoch lauge; ich schuipselte und schnipselte, der vollendete Schnitt hatte so viel
Zickzacks, daß er aussah, als sei er mit einer Holzsäge gemacht worden. Das
zweite Stadium der Operation, das Herausdrücken der Krystalllinse, gelang
besser und der Kranke rief mir zu: "Ich sehe Ihre Hand". Des Operirten
Ange entzündete sich furchtbar, und als er genas, benahm: die ungleiche Wund¬
narbe ihm einen großen Theil seines Gesichts; dennoch konnte er, der früher
nicht sah, sehen. Meinen beiden Herren Collegen, die früher auf eine ganz
ähnliche Art, wie ich, vielleicht nicht ganz so grob, operirt hatten, war der
Zulauf, den ich gleich im Anfang erhielt, ein Dorn im Ange gewesen, sie hatten
mich als den ärgsten Quacksalber der Welt verschrien und in der letzteren Zeit
williges Gehör gefunden. Jetzt hatte ich gewonnen, sie hatten nie die Kühnheit
gehabt, dergleichen zu unternehmen, und vou nun an waren alle ihre Klagen
gegen mich nur Augriffe des Neides in den Augen der Meuge. Mein Nuf
erscholl und Blinde belagerten mein Geschäftszimmer. Bei einem zweiten Ver¬
suche, deu ich machte, lief das ganze Auge aus, und ich habe beschlossen, mit
diesen Operationen sehr karg zu sein.

Im Herbste hatten wir, wie in Ohio, eine Epidemie des remittirenden
Fiebers, und ich habe eine gute Auzahl Menschen verloren. Dennoch stütze ich
mich mit Stolz auf meine Karte, und zeigen sie ungläubig auf die Leichen, so
weise ich die Beschwerde mit der Bemerkung ab, daß man mich zu spät habe
rufen lassen. Ich weiß, daß ich mich hier für immer dnrch meine Praxis würde
nähren können, doch ich will mich nicht allein ernähren, ich will auch erwerben,


Erfolge meiner alliirten Hausirer bemerken. Die in meinen Karten angegebenen
Tauben, Blinden und Gebrechlichen machten mir allerdings häufig zu schaffen;
Augenwasser, Höllenstein, Strychnin, Calomel, spanische Fliegen und Schröpf-
köpfe blieben häufig erfolglos; doch tröstete ich immer mit den glücklichen
Resultaten, welche unfehlbar, aber zuweilen erst nach Jahren, meine Anstrengungen
krönten. Die Erfolge meines Sehendmachens der Blinden waren jedoch in der
That so erbärmlich gewesen, daß selbst die gläubigsten Seelen ihre Köpfe zu
schütteln begannen; ich beschloß daher, durch eine Operation den Muth der
Zweifelnden wieder zu heben, und nahm hierzu eiuen Mann, der am grauen
Staar litt, und dessen Geschichte mir die größte Hoffnung sür einen günstigen
Erfolg gab. Ein Staarmesser hatte ich nicht, es siel mir jedoch ein, daß große
Operateure alle Operationen mit dem Bistouri und der Lanzette machen können.
Mehrere Nachbarn fand ich im Zimmer des Kranken versammelt, und ich griff
nach meiner Lanzette. Das Fixiren des Augapfels hatte seiue Schwierigkeiten
und gelang mir nur theilweis, dennoch stieß ich meine Lanzette dnrch die durch¬
sichtige Hornhaut, die wässerige Feuchtigkeit floß aus, die Iris fiel vor und ich
konnte mit der Lanzette nichts mehr ans lichten. Ich griff nun zur Scheere
und vollendete mit ihr den halbmondförmigen Schnitt; dieses Manoeuvre dauerte
jedoch lauge; ich schuipselte und schnipselte, der vollendete Schnitt hatte so viel
Zickzacks, daß er aussah, als sei er mit einer Holzsäge gemacht worden. Das
zweite Stadium der Operation, das Herausdrücken der Krystalllinse, gelang
besser und der Kranke rief mir zu: „Ich sehe Ihre Hand". Des Operirten
Ange entzündete sich furchtbar, und als er genas, benahm: die ungleiche Wund¬
narbe ihm einen großen Theil seines Gesichts; dennoch konnte er, der früher
nicht sah, sehen. Meinen beiden Herren Collegen, die früher auf eine ganz
ähnliche Art, wie ich, vielleicht nicht ganz so grob, operirt hatten, war der
Zulauf, den ich gleich im Anfang erhielt, ein Dorn im Ange gewesen, sie hatten
mich als den ärgsten Quacksalber der Welt verschrien und in der letzteren Zeit
williges Gehör gefunden. Jetzt hatte ich gewonnen, sie hatten nie die Kühnheit
gehabt, dergleichen zu unternehmen, und vou nun an waren alle ihre Klagen
gegen mich nur Augriffe des Neides in den Augen der Meuge. Mein Nuf
erscholl und Blinde belagerten mein Geschäftszimmer. Bei einem zweiten Ver¬
suche, deu ich machte, lief das ganze Auge aus, und ich habe beschlossen, mit
diesen Operationen sehr karg zu sein.

Im Herbste hatten wir, wie in Ohio, eine Epidemie des remittirenden
Fiebers, und ich habe eine gute Auzahl Menschen verloren. Dennoch stütze ich
mich mit Stolz auf meine Karte, und zeigen sie ungläubig auf die Leichen, so
weise ich die Beschwerde mit der Bemerkung ab, daß man mich zu spät habe
rufen lassen. Ich weiß, daß ich mich hier für immer dnrch meine Praxis würde
nähren können, doch ich will mich nicht allein ernähren, ich will auch erwerben,


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[0068] Erfolge meiner alliirten Hausirer bemerken. Die in meinen Karten angegebenen Tauben, Blinden und Gebrechlichen machten mir allerdings häufig zu schaffen; Augenwasser, Höllenstein, Strychnin, Calomel, spanische Fliegen und Schröpf- köpfe blieben häufig erfolglos; doch tröstete ich immer mit den glücklichen Resultaten, welche unfehlbar, aber zuweilen erst nach Jahren, meine Anstrengungen krönten. Die Erfolge meines Sehendmachens der Blinden waren jedoch in der That so erbärmlich gewesen, daß selbst die gläubigsten Seelen ihre Köpfe zu schütteln begannen; ich beschloß daher, durch eine Operation den Muth der Zweifelnden wieder zu heben, und nahm hierzu eiuen Mann, der am grauen Staar litt, und dessen Geschichte mir die größte Hoffnung sür einen günstigen Erfolg gab. Ein Staarmesser hatte ich nicht, es siel mir jedoch ein, daß große Operateure alle Operationen mit dem Bistouri und der Lanzette machen können. Mehrere Nachbarn fand ich im Zimmer des Kranken versammelt, und ich griff nach meiner Lanzette. Das Fixiren des Augapfels hatte seiue Schwierigkeiten und gelang mir nur theilweis, dennoch stieß ich meine Lanzette dnrch die durch¬ sichtige Hornhaut, die wässerige Feuchtigkeit floß aus, die Iris fiel vor und ich konnte mit der Lanzette nichts mehr ans lichten. Ich griff nun zur Scheere und vollendete mit ihr den halbmondförmigen Schnitt; dieses Manoeuvre dauerte jedoch lauge; ich schuipselte und schnipselte, der vollendete Schnitt hatte so viel Zickzacks, daß er aussah, als sei er mit einer Holzsäge gemacht worden. Das zweite Stadium der Operation, das Herausdrücken der Krystalllinse, gelang besser und der Kranke rief mir zu: „Ich sehe Ihre Hand". Des Operirten Ange entzündete sich furchtbar, und als er genas, benahm: die ungleiche Wund¬ narbe ihm einen großen Theil seines Gesichts; dennoch konnte er, der früher nicht sah, sehen. Meinen beiden Herren Collegen, die früher auf eine ganz ähnliche Art, wie ich, vielleicht nicht ganz so grob, operirt hatten, war der Zulauf, den ich gleich im Anfang erhielt, ein Dorn im Ange gewesen, sie hatten mich als den ärgsten Quacksalber der Welt verschrien und in der letzteren Zeit williges Gehör gefunden. Jetzt hatte ich gewonnen, sie hatten nie die Kühnheit gehabt, dergleichen zu unternehmen, und vou nun an waren alle ihre Klagen gegen mich nur Augriffe des Neides in den Augen der Meuge. Mein Nuf erscholl und Blinde belagerten mein Geschäftszimmer. Bei einem zweiten Ver¬ suche, deu ich machte, lief das ganze Auge aus, und ich habe beschlossen, mit diesen Operationen sehr karg zu sein. Im Herbste hatten wir, wie in Ohio, eine Epidemie des remittirenden Fiebers, und ich habe eine gute Auzahl Menschen verloren. Dennoch stütze ich mich mit Stolz auf meine Karte, und zeigen sie ungläubig auf die Leichen, so weise ich die Beschwerde mit der Bemerkung ab, daß man mich zu spät habe rufen lassen. Ich weiß, daß ich mich hier für immer dnrch meine Praxis würde nähren können, doch ich will mich nicht allein ernähren, ich will auch erwerben,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/68>, abgerufen am 24.07.2024.