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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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die eine rein lyrische genannt werden muß. Dennoch sind von seinen vielen Ar¬
beiten in diesem Fache zwei Werke als vorzüglich und in der Kunst Epoche
machend hervorzuheben; die Opern Faust und Jessonda. Marschner stand
ans dem entgegensetzten Pole, die feinen Zeichnungen der Lyrik wollten ihm
nicht immer gelingen, er skizzirte in großen Umrissen, mit stärkeren Linien; aber
beide Künstler haben das gemein, daß sie in ächt deutschem Sinne schrieben, daß
sie, fremden Einfluß verschmähend, nur für die einheimische Kunst wirkten und
ihr künstlerisches Gewissen höher achteten, als den Beifall der Menge.

Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, daß wir in Deutschland, trotz aller
Mühe, noch nicht dahin gelangt sind, eine wirkliche nationale Oper zu besitzen.
Es gab unter unsern Künstlern stets Einzelne, welche als Vorbilder aufgestellt werden,
denen nachzueifern Ehrensache der Künstler sein muß, allein sie sind immer
vereinzelt geblieben, und im Lauf der Zeiten zwar uicht vergessen worden,
aber nnr in seltenen Fällen haben sich die Nachkommen entschlossen, die von
jenen mit Glück angewendeten Grundsätze anzunehmen und auf dem gut ge¬
legten Grunde weiter fortzubauen. So viele Tonsetzer in den letzten Jahren
sich mit dramatischer Musik befaßten, und es gibt deren eine nicht geringe Anzahl,
so viele verschiedene Richtungen sind auch vou thuen eingeschlagen worden.
Pedantische Deutsche, Eklektiker, und eine dritte Classe, die eigentlichen Verräther
an der Kunst und dem vaterländischen Geiste, die schamlos mit erborgten Gute
die Menge beschenken. Diese Klagen über die Unselbständigkeit unserer Opern-
musik sind keinesweges neu, sie erklingen in unserer Zeit nnr häusiger, weil man
jetzt gerade mit der deutscheu Oper am meiste" experimentirt hat. Mozart hatte
in seiner Zauberflöte, Diedersdorf in seinen komischen Opern einen guten Weg
gezeigt, der einfache und liebenswürdige Weigel fügte durch seine Schweizer¬
familie viel neues Gute hinzu, anch Winter wußte zu gewissen Zeiten sich wacker
zu halten, doch Alle hinterließen nnr einen geringen Eindruck bei den folgenden
Künstlern. Und es ist besonders wunderbar, daß die komische Oper, wie sie
eigentlich in Deutschland ganz nen durch Diedersdorf begründet wurde, Niemanden
zur Nachfolge angereizt hat. -- Nach dieser älteren Schule trat in Deutschland
ein Stillstand ein, bis Carl Maria von Weber mit seinem glänzenden Talente
hervortrat und drei Opern schuf, die wir mit Ehren den ausländischen Erzeug¬
nissen gegenüber aufstellen dürfen. Die Weber'schen Opern überragte noch ein
Werk, das fast gleichzeitig zur Geltung gelangte, Fidelio von Beethoven.
Weber's Musik unterscheidet sich von der seiner Vorgänger dadurch am meisten,
daß er, deu kunstvollen und gelehrten Ton vermeidend, das Volksthümliche
einzuführen sich bestrebte. Die Italiener und Franzosen stehen uns in dieser
Beziehung weit voran, denn die Komponisten dieser Nationen suchten ihren
Stützpunkt uicht blos in den sogenannten gebildeten Classen, sie suchten auf das
Volk zu wirken, und schrieben deshalb Melodien, die, in der Nation selbst


die eine rein lyrische genannt werden muß. Dennoch sind von seinen vielen Ar¬
beiten in diesem Fache zwei Werke als vorzüglich und in der Kunst Epoche
machend hervorzuheben; die Opern Faust und Jessonda. Marschner stand
ans dem entgegensetzten Pole, die feinen Zeichnungen der Lyrik wollten ihm
nicht immer gelingen, er skizzirte in großen Umrissen, mit stärkeren Linien; aber
beide Künstler haben das gemein, daß sie in ächt deutschem Sinne schrieben, daß
sie, fremden Einfluß verschmähend, nur für die einheimische Kunst wirkten und
ihr künstlerisches Gewissen höher achteten, als den Beifall der Menge.

Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, daß wir in Deutschland, trotz aller
Mühe, noch nicht dahin gelangt sind, eine wirkliche nationale Oper zu besitzen.
Es gab unter unsern Künstlern stets Einzelne, welche als Vorbilder aufgestellt werden,
denen nachzueifern Ehrensache der Künstler sein muß, allein sie sind immer
vereinzelt geblieben, und im Lauf der Zeiten zwar uicht vergessen worden,
aber nnr in seltenen Fällen haben sich die Nachkommen entschlossen, die von
jenen mit Glück angewendeten Grundsätze anzunehmen und auf dem gut ge¬
legten Grunde weiter fortzubauen. So viele Tonsetzer in den letzten Jahren
sich mit dramatischer Musik befaßten, und es gibt deren eine nicht geringe Anzahl,
so viele verschiedene Richtungen sind auch vou thuen eingeschlagen worden.
Pedantische Deutsche, Eklektiker, und eine dritte Classe, die eigentlichen Verräther
an der Kunst und dem vaterländischen Geiste, die schamlos mit erborgten Gute
die Menge beschenken. Diese Klagen über die Unselbständigkeit unserer Opern-
musik sind keinesweges neu, sie erklingen in unserer Zeit nnr häusiger, weil man
jetzt gerade mit der deutscheu Oper am meiste« experimentirt hat. Mozart hatte
in seiner Zauberflöte, Diedersdorf in seinen komischen Opern einen guten Weg
gezeigt, der einfache und liebenswürdige Weigel fügte durch seine Schweizer¬
familie viel neues Gute hinzu, anch Winter wußte zu gewissen Zeiten sich wacker
zu halten, doch Alle hinterließen nnr einen geringen Eindruck bei den folgenden
Künstlern. Und es ist besonders wunderbar, daß die komische Oper, wie sie
eigentlich in Deutschland ganz nen durch Diedersdorf begründet wurde, Niemanden
zur Nachfolge angereizt hat. — Nach dieser älteren Schule trat in Deutschland
ein Stillstand ein, bis Carl Maria von Weber mit seinem glänzenden Talente
hervortrat und drei Opern schuf, die wir mit Ehren den ausländischen Erzeug¬
nissen gegenüber aufstellen dürfen. Die Weber'schen Opern überragte noch ein
Werk, das fast gleichzeitig zur Geltung gelangte, Fidelio von Beethoven.
Weber's Musik unterscheidet sich von der seiner Vorgänger dadurch am meisten,
daß er, deu kunstvollen und gelehrten Ton vermeidend, das Volksthümliche
einzuführen sich bestrebte. Die Italiener und Franzosen stehen uns in dieser
Beziehung weit voran, denn die Komponisten dieser Nationen suchten ihren
Stützpunkt uicht blos in den sogenannten gebildeten Classen, sie suchten auf das
Volk zu wirken, und schrieben deshalb Melodien, die, in der Nation selbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/59>, abgerufen am 24.07.2024.