Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

genügte, um in dem kräftigen Volke alle Flammen des Patriotismus aufschlagen
zu lassen, und mit großer Opferfreudigkeit boten Männer aller Parteien dem
Vaterland ihre Dienste an. In den Tagen war Preußen wieder, was es lange
nicht gewesen war, ein einiger starker Staat, und lebhaft empfand man, was eine
tüchtige Negierung mit einem solchen Volke durchsetzen könne. Als aber trotz
der Opfer, Lasten und Entbehrungen, welche jedem Einzelnen durch die militärische
Erhebung auferlegt wurden, kein Ernst, kein Wille sichtbar wurde; als ein unver¬
ständliches Unterhandeln und schrittweises Nachgeben deu Armeen vorauseilte, als
die Begeisterung durch keine That der Regierung Nahrung erhielt und Jeder in
seinem Kreise deu Druck und die Verluste der unnützen militärischen Schaustellung
erfuhr, da trat ein sehr natürlicher Umschwung in der öffentlichen Stimmung
ein: man durfte auf Frieden rechnen, man wollte ihn gesichert, und sich und das
Laud von der Gefahr befreit sehen. Und so wurde Preußen schnell wieder
friedliebend, und der Name Manteuffel's erschien als) eine gute Bürgschaft des
Friedens. Durch welche Opfer an Ehre, Einfluß und Aussichten Preußen diesen
Frieden erkaufte, wurde nicht sogleich und nicht von Vielen bemerkt. Die Be¬
urtheilung der complicirten Verhältnisse eines Staates zu seinen Nachbarn ist
nur selten der Majorität der Staatsbürger gelänstg. In welcher Weise die
deutsche Verfassungsfrage gelöst wird, ist nach so viel Irrungen und Täuschungen
der Mehrzahl der Preußen keine Hauptsorge; nach so häufigen und großen ses<
rungen in Production und Verkehr haben sie die verständige und gerechte Sehn¬
sucht nach Frieden und sicherem Erwerb.

Auch die Forderungen Oestreichs, welche die preußische Regierung so hin¬
gebend bewilligt hat: bewaffnete Pacisication des friedlichen Hessens, des populären
Holsteins, sie werden, wenn es zur Vollziehung kommt, das Gemüth der Preußen
verstimmen, aber uicht aufregen. Erst wenn der Tag kommt, wo die steilern
erhöht werden wegen den resultatlosen Rüstungen, wenn der Tag kommt, wo
Oestreich seine Zolleinignngspläne bei dem neuen Bunde durchsetzt, dann wird
die Anfregung und Erbitterung gegen das gegenwärtige Regiment sich durch alle
Classen verbreiten. Das preußische Cabinet hofft noch, diese Zollpläne zu hinter¬
treiben. Grade diese Hoffnung aber könnte den Preußen ein Fingerzeig sein,
daß Oestreich sie durchsetzen wird. Denn bis zum heutigen Tag hat Preußens
Ministerium das seltene Geschick gehabt, alle seiue eigenen Pläne und Hoffnungen
selbst zu vernichten und gerade das Gegentheil von dem herbeizuführen, was
durchgesetzt werden sollte. Es hat Oestreich nicht an der Occupation Kurhesseus,
nicht an der Occupation Holsteins, ja nicht an der Occupation Deutschlands, an
Vernichtung der Union und Restitution des alten Bundes zu verhindern gewußt; ja
es hat alle diese Ereignisse, die es die Woche vorher für Frevel erklärte,
die Woche darauf herbeiführen helfen. Jetzt ist vorauszusehen, daß es
sich mit derselben Kraft und Gewandtheit, die es bisher bewiesen, eine


genügte, um in dem kräftigen Volke alle Flammen des Patriotismus aufschlagen
zu lassen, und mit großer Opferfreudigkeit boten Männer aller Parteien dem
Vaterland ihre Dienste an. In den Tagen war Preußen wieder, was es lange
nicht gewesen war, ein einiger starker Staat, und lebhaft empfand man, was eine
tüchtige Negierung mit einem solchen Volke durchsetzen könne. Als aber trotz
der Opfer, Lasten und Entbehrungen, welche jedem Einzelnen durch die militärische
Erhebung auferlegt wurden, kein Ernst, kein Wille sichtbar wurde; als ein unver¬
ständliches Unterhandeln und schrittweises Nachgeben deu Armeen vorauseilte, als
die Begeisterung durch keine That der Regierung Nahrung erhielt und Jeder in
seinem Kreise deu Druck und die Verluste der unnützen militärischen Schaustellung
erfuhr, da trat ein sehr natürlicher Umschwung in der öffentlichen Stimmung
ein: man durfte auf Frieden rechnen, man wollte ihn gesichert, und sich und das
Laud von der Gefahr befreit sehen. Und so wurde Preußen schnell wieder
friedliebend, und der Name Manteuffel's erschien als) eine gute Bürgschaft des
Friedens. Durch welche Opfer an Ehre, Einfluß und Aussichten Preußen diesen
Frieden erkaufte, wurde nicht sogleich und nicht von Vielen bemerkt. Die Be¬
urtheilung der complicirten Verhältnisse eines Staates zu seinen Nachbarn ist
nur selten der Majorität der Staatsbürger gelänstg. In welcher Weise die
deutsche Verfassungsfrage gelöst wird, ist nach so viel Irrungen und Täuschungen
der Mehrzahl der Preußen keine Hauptsorge; nach so häufigen und großen ses<
rungen in Production und Verkehr haben sie die verständige und gerechte Sehn¬
sucht nach Frieden und sicherem Erwerb.

Auch die Forderungen Oestreichs, welche die preußische Regierung so hin¬
gebend bewilligt hat: bewaffnete Pacisication des friedlichen Hessens, des populären
Holsteins, sie werden, wenn es zur Vollziehung kommt, das Gemüth der Preußen
verstimmen, aber uicht aufregen. Erst wenn der Tag kommt, wo die steilern
erhöht werden wegen den resultatlosen Rüstungen, wenn der Tag kommt, wo
Oestreich seine Zolleinignngspläne bei dem neuen Bunde durchsetzt, dann wird
die Anfregung und Erbitterung gegen das gegenwärtige Regiment sich durch alle
Classen verbreiten. Das preußische Cabinet hofft noch, diese Zollpläne zu hinter¬
treiben. Grade diese Hoffnung aber könnte den Preußen ein Fingerzeig sein,
daß Oestreich sie durchsetzen wird. Denn bis zum heutigen Tag hat Preußens
Ministerium das seltene Geschick gehabt, alle seiue eigenen Pläne und Hoffnungen
selbst zu vernichten und gerade das Gegentheil von dem herbeizuführen, was
durchgesetzt werden sollte. Es hat Oestreich nicht an der Occupation Kurhesseus,
nicht an der Occupation Holsteins, ja nicht an der Occupation Deutschlands, an
Vernichtung der Union und Restitution des alten Bundes zu verhindern gewußt; ja
es hat alle diese Ereignisse, die es die Woche vorher für Frevel erklärte,
die Woche darauf herbeiführen helfen. Jetzt ist vorauszusehen, daß es
sich mit derselben Kraft und Gewandtheit, die es bisher bewiesen, eine


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0056" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91793"/>
          <p xml:id="ID_118" prev="#ID_117"> genügte, um in dem kräftigen Volke alle Flammen des Patriotismus aufschlagen<lb/>
zu lassen, und mit großer Opferfreudigkeit boten Männer aller Parteien dem<lb/>
Vaterland ihre Dienste an. In den Tagen war Preußen wieder, was es lange<lb/>
nicht gewesen war, ein einiger starker Staat, und lebhaft empfand man, was eine<lb/>
tüchtige Negierung mit einem solchen Volke durchsetzen könne. Als aber trotz<lb/>
der Opfer, Lasten und Entbehrungen, welche jedem Einzelnen durch die militärische<lb/>
Erhebung auferlegt wurden, kein Ernst, kein Wille sichtbar wurde; als ein unver¬<lb/>
ständliches Unterhandeln und schrittweises Nachgeben deu Armeen vorauseilte, als<lb/>
die Begeisterung durch keine That der Regierung Nahrung erhielt und Jeder in<lb/>
seinem Kreise deu Druck und die Verluste der unnützen militärischen Schaustellung<lb/>
erfuhr, da trat ein sehr natürlicher Umschwung in der öffentlichen Stimmung<lb/>
ein: man durfte auf Frieden rechnen, man wollte ihn gesichert, und sich und das<lb/>
Laud von der Gefahr befreit sehen. Und so wurde Preußen schnell wieder<lb/>
friedliebend, und der Name Manteuffel's erschien als) eine gute Bürgschaft des<lb/>
Friedens. Durch welche Opfer an Ehre, Einfluß und Aussichten Preußen diesen<lb/>
Frieden erkaufte, wurde nicht sogleich und nicht von Vielen bemerkt. Die Be¬<lb/>
urtheilung der complicirten Verhältnisse eines Staates zu seinen Nachbarn ist<lb/>
nur selten der Majorität der Staatsbürger gelänstg. In welcher Weise die<lb/>
deutsche Verfassungsfrage gelöst wird, ist nach so viel Irrungen und Täuschungen<lb/>
der Mehrzahl der Preußen keine Hauptsorge; nach so häufigen und großen ses&lt;<lb/>
rungen in Production und Verkehr haben sie die verständige und gerechte Sehn¬<lb/>
sucht nach Frieden und sicherem Erwerb.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_119" next="#ID_120"> Auch die Forderungen Oestreichs, welche die preußische Regierung so hin¬<lb/>
gebend bewilligt hat: bewaffnete Pacisication des friedlichen Hessens, des populären<lb/>
Holsteins, sie werden, wenn es zur Vollziehung kommt, das Gemüth der Preußen<lb/>
verstimmen, aber uicht aufregen. Erst wenn der Tag kommt, wo die steilern<lb/>
erhöht werden wegen den resultatlosen Rüstungen, wenn der Tag kommt, wo<lb/>
Oestreich seine Zolleinignngspläne bei dem neuen Bunde durchsetzt, dann wird<lb/>
die Anfregung und Erbitterung gegen das gegenwärtige Regiment sich durch alle<lb/>
Classen verbreiten. Das preußische Cabinet hofft noch, diese Zollpläne zu hinter¬<lb/>
treiben. Grade diese Hoffnung aber könnte den Preußen ein Fingerzeig sein,<lb/>
daß Oestreich sie durchsetzen wird. Denn bis zum heutigen Tag hat Preußens<lb/>
Ministerium das seltene Geschick gehabt, alle seiue eigenen Pläne und Hoffnungen<lb/>
selbst zu vernichten und gerade das Gegentheil von dem herbeizuführen, was<lb/>
durchgesetzt werden sollte. Es hat Oestreich nicht an der Occupation Kurhesseus,<lb/>
nicht an der Occupation Holsteins, ja nicht an der Occupation Deutschlands, an<lb/>
Vernichtung der Union und Restitution des alten Bundes zu verhindern gewußt; ja<lb/>
es hat alle diese Ereignisse, die es die Woche vorher für Frevel erklärte,<lb/>
die Woche darauf herbeiführen helfen. Jetzt ist vorauszusehen, daß es<lb/>
sich mit derselben Kraft und Gewandtheit, die es bisher bewiesen, eine</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0056] genügte, um in dem kräftigen Volke alle Flammen des Patriotismus aufschlagen zu lassen, und mit großer Opferfreudigkeit boten Männer aller Parteien dem Vaterland ihre Dienste an. In den Tagen war Preußen wieder, was es lange nicht gewesen war, ein einiger starker Staat, und lebhaft empfand man, was eine tüchtige Negierung mit einem solchen Volke durchsetzen könne. Als aber trotz der Opfer, Lasten und Entbehrungen, welche jedem Einzelnen durch die militärische Erhebung auferlegt wurden, kein Ernst, kein Wille sichtbar wurde; als ein unver¬ ständliches Unterhandeln und schrittweises Nachgeben deu Armeen vorauseilte, als die Begeisterung durch keine That der Regierung Nahrung erhielt und Jeder in seinem Kreise deu Druck und die Verluste der unnützen militärischen Schaustellung erfuhr, da trat ein sehr natürlicher Umschwung in der öffentlichen Stimmung ein: man durfte auf Frieden rechnen, man wollte ihn gesichert, und sich und das Laud von der Gefahr befreit sehen. Und so wurde Preußen schnell wieder friedliebend, und der Name Manteuffel's erschien als) eine gute Bürgschaft des Friedens. Durch welche Opfer an Ehre, Einfluß und Aussichten Preußen diesen Frieden erkaufte, wurde nicht sogleich und nicht von Vielen bemerkt. Die Be¬ urtheilung der complicirten Verhältnisse eines Staates zu seinen Nachbarn ist nur selten der Majorität der Staatsbürger gelänstg. In welcher Weise die deutsche Verfassungsfrage gelöst wird, ist nach so viel Irrungen und Täuschungen der Mehrzahl der Preußen keine Hauptsorge; nach so häufigen und großen ses< rungen in Production und Verkehr haben sie die verständige und gerechte Sehn¬ sucht nach Frieden und sicherem Erwerb. Auch die Forderungen Oestreichs, welche die preußische Regierung so hin¬ gebend bewilligt hat: bewaffnete Pacisication des friedlichen Hessens, des populären Holsteins, sie werden, wenn es zur Vollziehung kommt, das Gemüth der Preußen verstimmen, aber uicht aufregen. Erst wenn der Tag kommt, wo die steilern erhöht werden wegen den resultatlosen Rüstungen, wenn der Tag kommt, wo Oestreich seine Zolleinignngspläne bei dem neuen Bunde durchsetzt, dann wird die Anfregung und Erbitterung gegen das gegenwärtige Regiment sich durch alle Classen verbreiten. Das preußische Cabinet hofft noch, diese Zollpläne zu hinter¬ treiben. Grade diese Hoffnung aber könnte den Preußen ein Fingerzeig sein, daß Oestreich sie durchsetzen wird. Denn bis zum heutigen Tag hat Preußens Ministerium das seltene Geschick gehabt, alle seiue eigenen Pläne und Hoffnungen selbst zu vernichten und gerade das Gegentheil von dem herbeizuführen, was durchgesetzt werden sollte. Es hat Oestreich nicht an der Occupation Kurhesseus, nicht an der Occupation Holsteins, ja nicht an der Occupation Deutschlands, an Vernichtung der Union und Restitution des alten Bundes zu verhindern gewußt; ja es hat alle diese Ereignisse, die es die Woche vorher für Frevel erklärte, die Woche darauf herbeiführen helfen. Jetzt ist vorauszusehen, daß es sich mit derselben Kraft und Gewandtheit, die es bisher bewiesen, eine

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/56
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/56>, abgerufen am 24.07.2024.