Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wunderbare Naivetät, zu glauben, daß eine leidenschaftlich ausgesprochene Ueber¬
zeugung vou dem falschen Wege des Dichters, verbunden mit dem ebenso leiden¬
schaftlichen Bestreben, anzuerkennen und zu bewundern, den Dichter vielleicht
nicht überzeugen, aber doch stutzig machen, zu einer erneuerten gründlichen
Selbstprüfung und dadurch zur Umkehr veranlassen würde. Diese Naivetät hat
er im Jahre 1850 allerdings nicht mehr. Was Herr Hebbel seitdem geschrieben
hat, zeigt nicht allein, daß er in die hohlste Selbstvergötterung versenkt, sich den
Einflüssen der Realität verschlossen und in das Labyrinth seines ungesunden Den-
kens und Empfindens vollständig verloren hat, sondern es gibt uns auch die
Mittel an die Hand, jene Widersprüche seiner Leistungen mit seinen Intentionen,
über die wir zuerst uur erschraken, begreiflich zu macheu. Die Art seines Pro-
ducirens wird ans denlselben so klar, daß mit dem Schrecken auch die Bewunde-
rung aufhört. Aus dem krankhaften Gelüst wird Maule, oder ästhetisch ge¬
sprochen Manier. Sobald aber erst diese eingetreten ist, werden wir die
Grundlage derselben auch in der ursprünglichen Anlage des Dichters zu suchen
berechtigt sein.

Herr Hebbel irrt, wenn er von einer bestimmten Aeußerung dieser ersten
Kritik sich schmeichelt, ich hätte sie zurückgenommen. Ich habe sie uur deprecirt,
weil ich seit der Zeit vou der Grenze, welche die Kritik nicht überschreiten darf,
nur einen bestimmteren Begriff gebildet habe. Ich hatte nur nämlich damals die
subjectiv sehr berechtigte Frage erlaubt: Wie muß eine Seele beschaffen sein,
die sich beständig in so gräulichen Bildern, in einem so raffinirten Denken und
Empfinden bewegt? Mit dieser Frage das Publicum zu beschäftigen, hat aber
die Kritik kein Necht, und wenn Herr Hebbel mir jetzt einwendet, die Anarchie,
wenn sie sich in den poetischen Werken wirklich vorfinde, müsse sich auch in der
Seele des Dichters nachweisen lassen, so pflichte ich ihm zwar in dieser Ansicht
vollkommen bei, aber er ist es dann, der sie zu vertreten hat, nicht ich.

Was ich damals freilich nicht vermuthen konnte, war die Einbildung des
Dichters, ich hätte vom medicinischen Wahnsinn gesprochen. Diese Neigung,
in den Behauptungen des Geguers das Schlimmste und Kräukeudste zu suchen,
ist uur ein Beleg weiter für meine Ausicht. Sie ist auch diesmal wieder vor¬
handen, und ich führe eine Probe an, weil sie charakteristisch ist. Ich habe mir
die Art seines Producirens dadurch erklärt, daß sie nicht (blos) durch die Freude
an deu (häßlichen und widerwärtigen) Stoffen bedingt, sondern durch eine (be¬
rechtigte) Reaction gegen die herrschende Weichlichkeit und Sentimentalität unserer
Literatur in das entgegengesetzte falsche Extrem der forcirten Härte und des
Cynismus getrieben wird. Das legt mir nun Herr Hebbel so aus, als wollte
ich behaupten, er triebe die Poesie uicht um der Poesie willen, sondern um Geld
zu verdienen und andern Dichtern das Brod abzuschneiden. Wie ist es möglich,
daß ein Dichter, dem fortwährend ähnliche Gedanken durch den Kopf gehen,


wunderbare Naivetät, zu glauben, daß eine leidenschaftlich ausgesprochene Ueber¬
zeugung vou dem falschen Wege des Dichters, verbunden mit dem ebenso leiden¬
schaftlichen Bestreben, anzuerkennen und zu bewundern, den Dichter vielleicht
nicht überzeugen, aber doch stutzig machen, zu einer erneuerten gründlichen
Selbstprüfung und dadurch zur Umkehr veranlassen würde. Diese Naivetät hat
er im Jahre 1850 allerdings nicht mehr. Was Herr Hebbel seitdem geschrieben
hat, zeigt nicht allein, daß er in die hohlste Selbstvergötterung versenkt, sich den
Einflüssen der Realität verschlossen und in das Labyrinth seines ungesunden Den-
kens und Empfindens vollständig verloren hat, sondern es gibt uns auch die
Mittel an die Hand, jene Widersprüche seiner Leistungen mit seinen Intentionen,
über die wir zuerst uur erschraken, begreiflich zu macheu. Die Art seines Pro-
ducirens wird ans denlselben so klar, daß mit dem Schrecken auch die Bewunde-
rung aufhört. Aus dem krankhaften Gelüst wird Maule, oder ästhetisch ge¬
sprochen Manier. Sobald aber erst diese eingetreten ist, werden wir die
Grundlage derselben auch in der ursprünglichen Anlage des Dichters zu suchen
berechtigt sein.

Herr Hebbel irrt, wenn er von einer bestimmten Aeußerung dieser ersten
Kritik sich schmeichelt, ich hätte sie zurückgenommen. Ich habe sie uur deprecirt,
weil ich seit der Zeit vou der Grenze, welche die Kritik nicht überschreiten darf,
nur einen bestimmteren Begriff gebildet habe. Ich hatte nur nämlich damals die
subjectiv sehr berechtigte Frage erlaubt: Wie muß eine Seele beschaffen sein,
die sich beständig in so gräulichen Bildern, in einem so raffinirten Denken und
Empfinden bewegt? Mit dieser Frage das Publicum zu beschäftigen, hat aber
die Kritik kein Necht, und wenn Herr Hebbel mir jetzt einwendet, die Anarchie,
wenn sie sich in den poetischen Werken wirklich vorfinde, müsse sich auch in der
Seele des Dichters nachweisen lassen, so pflichte ich ihm zwar in dieser Ansicht
vollkommen bei, aber er ist es dann, der sie zu vertreten hat, nicht ich.

Was ich damals freilich nicht vermuthen konnte, war die Einbildung des
Dichters, ich hätte vom medicinischen Wahnsinn gesprochen. Diese Neigung,
in den Behauptungen des Geguers das Schlimmste und Kräukeudste zu suchen,
ist uur ein Beleg weiter für meine Ausicht. Sie ist auch diesmal wieder vor¬
handen, und ich führe eine Probe an, weil sie charakteristisch ist. Ich habe mir
die Art seines Producirens dadurch erklärt, daß sie nicht (blos) durch die Freude
an deu (häßlichen und widerwärtigen) Stoffen bedingt, sondern durch eine (be¬
rechtigte) Reaction gegen die herrschende Weichlichkeit und Sentimentalität unserer
Literatur in das entgegengesetzte falsche Extrem der forcirten Härte und des
Cynismus getrieben wird. Das legt mir nun Herr Hebbel so aus, als wollte
ich behaupten, er triebe die Poesie uicht um der Poesie willen, sondern um Geld
zu verdienen und andern Dichtern das Brod abzuschneiden. Wie ist es möglich,
daß ein Dichter, dem fortwährend ähnliche Gedanken durch den Kopf gehen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0508" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92246"/>
          <p xml:id="ID_1580" prev="#ID_1579"> wunderbare Naivetät, zu glauben, daß eine leidenschaftlich ausgesprochene Ueber¬<lb/>
zeugung vou dem falschen Wege des Dichters, verbunden mit dem ebenso leiden¬<lb/>
schaftlichen Bestreben, anzuerkennen und zu bewundern, den Dichter vielleicht<lb/>
nicht überzeugen, aber doch stutzig machen, zu einer erneuerten gründlichen<lb/>
Selbstprüfung und dadurch zur Umkehr veranlassen würde. Diese Naivetät hat<lb/>
er im Jahre 1850 allerdings nicht mehr. Was Herr Hebbel seitdem geschrieben<lb/>
hat, zeigt nicht allein, daß er in die hohlste Selbstvergötterung versenkt, sich den<lb/>
Einflüssen der Realität verschlossen und in das Labyrinth seines ungesunden Den-<lb/>
kens und Empfindens vollständig verloren hat, sondern es gibt uns auch die<lb/>
Mittel an die Hand, jene Widersprüche seiner Leistungen mit seinen Intentionen,<lb/>
über die wir zuerst uur erschraken, begreiflich zu macheu. Die Art seines Pro-<lb/>
ducirens wird ans denlselben so klar, daß mit dem Schrecken auch die Bewunde-<lb/>
rung aufhört. Aus dem krankhaften Gelüst wird Maule, oder ästhetisch ge¬<lb/>
sprochen Manier. Sobald aber erst diese eingetreten ist, werden wir die<lb/>
Grundlage derselben auch in der ursprünglichen Anlage des Dichters zu suchen<lb/>
berechtigt sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1581"> Herr Hebbel irrt, wenn er von einer bestimmten Aeußerung dieser ersten<lb/>
Kritik sich schmeichelt, ich hätte sie zurückgenommen. Ich habe sie uur deprecirt,<lb/>
weil ich seit der Zeit vou der Grenze, welche die Kritik nicht überschreiten darf,<lb/>
nur einen bestimmteren Begriff gebildet habe. Ich hatte nur nämlich damals die<lb/>
subjectiv sehr berechtigte Frage erlaubt: Wie muß eine Seele beschaffen sein,<lb/>
die sich beständig in so gräulichen Bildern, in einem so raffinirten Denken und<lb/>
Empfinden bewegt? Mit dieser Frage das Publicum zu beschäftigen, hat aber<lb/>
die Kritik kein Necht, und wenn Herr Hebbel mir jetzt einwendet, die Anarchie,<lb/>
wenn sie sich in den poetischen Werken wirklich vorfinde, müsse sich auch in der<lb/>
Seele des Dichters nachweisen lassen, so pflichte ich ihm zwar in dieser Ansicht<lb/>
vollkommen bei, aber er ist es dann, der sie zu vertreten hat, nicht ich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1582" next="#ID_1583"> Was ich damals freilich nicht vermuthen konnte, war die Einbildung des<lb/>
Dichters, ich hätte vom medicinischen Wahnsinn gesprochen. Diese Neigung,<lb/>
in den Behauptungen des Geguers das Schlimmste und Kräukeudste zu suchen,<lb/>
ist uur ein Beleg weiter für meine Ausicht. Sie ist auch diesmal wieder vor¬<lb/>
handen, und ich führe eine Probe an, weil sie charakteristisch ist. Ich habe mir<lb/>
die Art seines Producirens dadurch erklärt, daß sie nicht (blos) durch die Freude<lb/>
an deu (häßlichen und widerwärtigen) Stoffen bedingt, sondern durch eine (be¬<lb/>
rechtigte) Reaction gegen die herrschende Weichlichkeit und Sentimentalität unserer<lb/>
Literatur in das entgegengesetzte falsche Extrem der forcirten Härte und des<lb/>
Cynismus getrieben wird. Das legt mir nun Herr Hebbel so aus, als wollte<lb/>
ich behaupten, er triebe die Poesie uicht um der Poesie willen, sondern um Geld<lb/>
zu verdienen und andern Dichtern das Brod abzuschneiden. Wie ist es möglich,<lb/>
daß ein Dichter, dem fortwährend ähnliche Gedanken durch den Kopf gehen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0508] wunderbare Naivetät, zu glauben, daß eine leidenschaftlich ausgesprochene Ueber¬ zeugung vou dem falschen Wege des Dichters, verbunden mit dem ebenso leiden¬ schaftlichen Bestreben, anzuerkennen und zu bewundern, den Dichter vielleicht nicht überzeugen, aber doch stutzig machen, zu einer erneuerten gründlichen Selbstprüfung und dadurch zur Umkehr veranlassen würde. Diese Naivetät hat er im Jahre 1850 allerdings nicht mehr. Was Herr Hebbel seitdem geschrieben hat, zeigt nicht allein, daß er in die hohlste Selbstvergötterung versenkt, sich den Einflüssen der Realität verschlossen und in das Labyrinth seines ungesunden Den- kens und Empfindens vollständig verloren hat, sondern es gibt uns auch die Mittel an die Hand, jene Widersprüche seiner Leistungen mit seinen Intentionen, über die wir zuerst uur erschraken, begreiflich zu macheu. Die Art seines Pro- ducirens wird ans denlselben so klar, daß mit dem Schrecken auch die Bewunde- rung aufhört. Aus dem krankhaften Gelüst wird Maule, oder ästhetisch ge¬ sprochen Manier. Sobald aber erst diese eingetreten ist, werden wir die Grundlage derselben auch in der ursprünglichen Anlage des Dichters zu suchen berechtigt sein. Herr Hebbel irrt, wenn er von einer bestimmten Aeußerung dieser ersten Kritik sich schmeichelt, ich hätte sie zurückgenommen. Ich habe sie uur deprecirt, weil ich seit der Zeit vou der Grenze, welche die Kritik nicht überschreiten darf, nur einen bestimmteren Begriff gebildet habe. Ich hatte nur nämlich damals die subjectiv sehr berechtigte Frage erlaubt: Wie muß eine Seele beschaffen sein, die sich beständig in so gräulichen Bildern, in einem so raffinirten Denken und Empfinden bewegt? Mit dieser Frage das Publicum zu beschäftigen, hat aber die Kritik kein Necht, und wenn Herr Hebbel mir jetzt einwendet, die Anarchie, wenn sie sich in den poetischen Werken wirklich vorfinde, müsse sich auch in der Seele des Dichters nachweisen lassen, so pflichte ich ihm zwar in dieser Ansicht vollkommen bei, aber er ist es dann, der sie zu vertreten hat, nicht ich. Was ich damals freilich nicht vermuthen konnte, war die Einbildung des Dichters, ich hätte vom medicinischen Wahnsinn gesprochen. Diese Neigung, in den Behauptungen des Geguers das Schlimmste und Kräukeudste zu suchen, ist uur ein Beleg weiter für meine Ausicht. Sie ist auch diesmal wieder vor¬ handen, und ich führe eine Probe an, weil sie charakteristisch ist. Ich habe mir die Art seines Producirens dadurch erklärt, daß sie nicht (blos) durch die Freude an deu (häßlichen und widerwärtigen) Stoffen bedingt, sondern durch eine (be¬ rechtigte) Reaction gegen die herrschende Weichlichkeit und Sentimentalität unserer Literatur in das entgegengesetzte falsche Extrem der forcirten Härte und des Cynismus getrieben wird. Das legt mir nun Herr Hebbel so aus, als wollte ich behaupten, er triebe die Poesie uicht um der Poesie willen, sondern um Geld zu verdienen und andern Dichtern das Brod abzuschneiden. Wie ist es möglich, daß ein Dichter, dem fortwährend ähnliche Gedanken durch den Kopf gehen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/508
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/508>, abgerufen am 24.07.2024.