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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Osiris. Der wilde Typhon verfolgt sie und verbreitet durch eine gräßliche Maske,
die er sich vorhält, so furchtbaren Schrecken, daß Osiris zu Boden fällt und die
arme Isis in possirlichster Weise sich überschlägt. Apollon, die Lyra schnitzend,
Zeuxis, Kornähren malend, welche von den Vögeln angepickt werden, Orpheus,
mit Gesang, die Bestien lockend, Plato und Aristoteles im gründlich philosophischen
Gespräch vertreten das Griechenthum, dessen Untergang dnrch die Büchse der
Pandora bezeichnet wird und durch die daraus hervorgehenden Gestalten des
Krieges und Hasses mit der Schlaffheit, der Blasirtheit aus Uebersättigung.
Zwei unterjochte Völkerschaften in der Gestalt weinender Kinder beklagen den
Krieg, mit welchem die römische Zeit hereinbricht: Brutus, Mucius Scävola,
ein triumphirender Imperator, in dessen Triumphzuge die gefesselte Erde folgt,
auf einem gezähmten Löwen reitend, einen großen Ball in der Hand, zwei dicke
Thränen auf der Wange. Endlich der Untergang auch dieser Macht und Pracht.
Zwei Kronprätendenten balgen, beißen und kratzen einander, und über die Blätter
des Arabeskenznges blicken die vermindert darein schauenden Augen germanischer
Krieger dem Kampfe zu, in welchem beide Parteien sich aufreiben. Die jam¬
mernde Roma ringt verzweiflungsvoll die Hände und wirst sich krampfhaft rück-
über, so daß die Krone ihr vom Hanpte fällt. Und min erhebt sich das Krenz,
von der Dornenkrone, umwunden, die dunkeln Mächte des Heidenthums verscheu¬
chend: Ate, die unheilvolle Verblendung, die verderbliche Unbesonnenheit, mit
verbundenen Augen, einen Nagel im Kopf, jämmerlich heulend und schreiend, die
fernblickende Nemesis -mit Strang und Wagenrad, Anangke mit verhülltem Antlitz.

Denken Sie sich diese umfassende Gestaltenfülle der geistvollen Parodie, von
deren Inhalt ich hier nnr schwache Andeutungen geben konnte, überall in Form,
Wendung und Haltung den Verschlingungen der Arabeske folgend und doch voll
eigenthümlicher Wahrheit. Denn die Ausführung hat mit genialer Kunst die Re¬
flexion überwunden und durchgehends ein drollig naives Kinderleben geschaffen,
dessen allegorische Bedeutung an sich in der Arabeske gewiß keinen Widerspruch
erwecken kann. Die allgemeine Beziehung, welche der Fries zu dem Ganzen des
Gemälde-Cyklus und seinem weltgeschichtlichen Inhalt in sich trägt, muß aus der
philosophischen Grundidee des Künstlers und ihrer protestantischen Färbung be¬
griffen werden. Der Humor dieses philosophischen Idealismus erhebt sich über die
gesammte Welt der Erscheinungen, wie er das wirkliche, geschichtliche Dasein be¬
zeichnet, zur Höhe seines Ideals, wo er, befreit von den Einflüssen, den Mühen
und Sorgen deö realen Lebens, mit Wohlwollen das Treiben des Menschenge¬
schlechts in Pygmäenkleinheit nnter sich-erblickt. Der Mensch Kaulbach wendet
sich uicht ab von den Leiden seiner Nation, er hat ein eigenes Werk, den Car¬
ton Amor und Psyche, ganz nenerdings für die vertriebenen Schleswiger ange¬
fertigt mit der Bestimmung, daß derselbe zu ihrem Besten verlooft, werde, der
Künstler Kaulbach philosophirt mit Griffel, Pinsel und Palette, aber er ist den-


Osiris. Der wilde Typhon verfolgt sie und verbreitet durch eine gräßliche Maske,
die er sich vorhält, so furchtbaren Schrecken, daß Osiris zu Boden fällt und die
arme Isis in possirlichster Weise sich überschlägt. Apollon, die Lyra schnitzend,
Zeuxis, Kornähren malend, welche von den Vögeln angepickt werden, Orpheus,
mit Gesang, die Bestien lockend, Plato und Aristoteles im gründlich philosophischen
Gespräch vertreten das Griechenthum, dessen Untergang dnrch die Büchse der
Pandora bezeichnet wird und durch die daraus hervorgehenden Gestalten des
Krieges und Hasses mit der Schlaffheit, der Blasirtheit aus Uebersättigung.
Zwei unterjochte Völkerschaften in der Gestalt weinender Kinder beklagen den
Krieg, mit welchem die römische Zeit hereinbricht: Brutus, Mucius Scävola,
ein triumphirender Imperator, in dessen Triumphzuge die gefesselte Erde folgt,
auf einem gezähmten Löwen reitend, einen großen Ball in der Hand, zwei dicke
Thränen auf der Wange. Endlich der Untergang auch dieser Macht und Pracht.
Zwei Kronprätendenten balgen, beißen und kratzen einander, und über die Blätter
des Arabeskenznges blicken die vermindert darein schauenden Augen germanischer
Krieger dem Kampfe zu, in welchem beide Parteien sich aufreiben. Die jam¬
mernde Roma ringt verzweiflungsvoll die Hände und wirst sich krampfhaft rück-
über, so daß die Krone ihr vom Hanpte fällt. Und min erhebt sich das Krenz,
von der Dornenkrone, umwunden, die dunkeln Mächte des Heidenthums verscheu¬
chend: Ate, die unheilvolle Verblendung, die verderbliche Unbesonnenheit, mit
verbundenen Augen, einen Nagel im Kopf, jämmerlich heulend und schreiend, die
fernblickende Nemesis -mit Strang und Wagenrad, Anangke mit verhülltem Antlitz.

Denken Sie sich diese umfassende Gestaltenfülle der geistvollen Parodie, von
deren Inhalt ich hier nnr schwache Andeutungen geben konnte, überall in Form,
Wendung und Haltung den Verschlingungen der Arabeske folgend und doch voll
eigenthümlicher Wahrheit. Denn die Ausführung hat mit genialer Kunst die Re¬
flexion überwunden und durchgehends ein drollig naives Kinderleben geschaffen,
dessen allegorische Bedeutung an sich in der Arabeske gewiß keinen Widerspruch
erwecken kann. Die allgemeine Beziehung, welche der Fries zu dem Ganzen des
Gemälde-Cyklus und seinem weltgeschichtlichen Inhalt in sich trägt, muß aus der
philosophischen Grundidee des Künstlers und ihrer protestantischen Färbung be¬
griffen werden. Der Humor dieses philosophischen Idealismus erhebt sich über die
gesammte Welt der Erscheinungen, wie er das wirkliche, geschichtliche Dasein be¬
zeichnet, zur Höhe seines Ideals, wo er, befreit von den Einflüssen, den Mühen
und Sorgen deö realen Lebens, mit Wohlwollen das Treiben des Menschenge¬
schlechts in Pygmäenkleinheit nnter sich-erblickt. Der Mensch Kaulbach wendet
sich uicht ab von den Leiden seiner Nation, er hat ein eigenes Werk, den Car¬
ton Amor und Psyche, ganz nenerdings für die vertriebenen Schleswiger ange¬
fertigt mit der Bestimmung, daß derselbe zu ihrem Besten verlooft, werde, der
Künstler Kaulbach philosophirt mit Griffel, Pinsel und Palette, aber er ist den-


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[0500] Osiris. Der wilde Typhon verfolgt sie und verbreitet durch eine gräßliche Maske, die er sich vorhält, so furchtbaren Schrecken, daß Osiris zu Boden fällt und die arme Isis in possirlichster Weise sich überschlägt. Apollon, die Lyra schnitzend, Zeuxis, Kornähren malend, welche von den Vögeln angepickt werden, Orpheus, mit Gesang, die Bestien lockend, Plato und Aristoteles im gründlich philosophischen Gespräch vertreten das Griechenthum, dessen Untergang dnrch die Büchse der Pandora bezeichnet wird und durch die daraus hervorgehenden Gestalten des Krieges und Hasses mit der Schlaffheit, der Blasirtheit aus Uebersättigung. Zwei unterjochte Völkerschaften in der Gestalt weinender Kinder beklagen den Krieg, mit welchem die römische Zeit hereinbricht: Brutus, Mucius Scävola, ein triumphirender Imperator, in dessen Triumphzuge die gefesselte Erde folgt, auf einem gezähmten Löwen reitend, einen großen Ball in der Hand, zwei dicke Thränen auf der Wange. Endlich der Untergang auch dieser Macht und Pracht. Zwei Kronprätendenten balgen, beißen und kratzen einander, und über die Blätter des Arabeskenznges blicken die vermindert darein schauenden Augen germanischer Krieger dem Kampfe zu, in welchem beide Parteien sich aufreiben. Die jam¬ mernde Roma ringt verzweiflungsvoll die Hände und wirst sich krampfhaft rück- über, so daß die Krone ihr vom Hanpte fällt. Und min erhebt sich das Krenz, von der Dornenkrone, umwunden, die dunkeln Mächte des Heidenthums verscheu¬ chend: Ate, die unheilvolle Verblendung, die verderbliche Unbesonnenheit, mit verbundenen Augen, einen Nagel im Kopf, jämmerlich heulend und schreiend, die fernblickende Nemesis -mit Strang und Wagenrad, Anangke mit verhülltem Antlitz. Denken Sie sich diese umfassende Gestaltenfülle der geistvollen Parodie, von deren Inhalt ich hier nnr schwache Andeutungen geben konnte, überall in Form, Wendung und Haltung den Verschlingungen der Arabeske folgend und doch voll eigenthümlicher Wahrheit. Denn die Ausführung hat mit genialer Kunst die Re¬ flexion überwunden und durchgehends ein drollig naives Kinderleben geschaffen, dessen allegorische Bedeutung an sich in der Arabeske gewiß keinen Widerspruch erwecken kann. Die allgemeine Beziehung, welche der Fries zu dem Ganzen des Gemälde-Cyklus und seinem weltgeschichtlichen Inhalt in sich trägt, muß aus der philosophischen Grundidee des Künstlers und ihrer protestantischen Färbung be¬ griffen werden. Der Humor dieses philosophischen Idealismus erhebt sich über die gesammte Welt der Erscheinungen, wie er das wirkliche, geschichtliche Dasein be¬ zeichnet, zur Höhe seines Ideals, wo er, befreit von den Einflüssen, den Mühen und Sorgen deö realen Lebens, mit Wohlwollen das Treiben des Menschenge¬ schlechts in Pygmäenkleinheit nnter sich-erblickt. Der Mensch Kaulbach wendet sich uicht ab von den Leiden seiner Nation, er hat ein eigenes Werk, den Car¬ ton Amor und Psyche, ganz nenerdings für die vertriebenen Schleswiger ange¬ fertigt mit der Bestimmung, daß derselbe zu ihrem Besten verlooft, werde, der Künstler Kaulbach philosophirt mit Griffel, Pinsel und Palette, aber er ist den-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/500>, abgerufen am 04.11.2024.