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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Vorgrunde links zieht die Christenfamilie hinaus, von drei schwebenden Engeln
geleitet, welche sie gleich einer Schutzmauer von der Stätte des gräßlichen Straf¬
gerichtes trennen. Die Gruppe ist von wunderbarem Eindruck, in Ruhe abge¬
schlossen wie ein Idyll mitten in der entsetzlich tragischen Katastrophe. Doch nein,
nicht völlig abgeschlossen. Drei liebliche Judenkinder liegen in angstvoller Be¬
schwörung knieend am Boden und erheben die betend zusammengepreßten Hände
flehend zu deu abziehenden Christen empor, sie mitzunehmen aus dem wilden Ge¬
tümmel aller Schrecken, sie dem allgemeinen Untergange zu entreißen. Und die
Christen? sie singen ihrem Gott und überhören die Bitte der schuldlosen Kinder,
sie üben nicht Barmherzigkeit und tragen den Egoismus der Jntoleranz mit hin-
über in die Religion der Liebe.

Das vierte Hauptbild eröffnet die Trias der gegenüberliegenden Langseite.
Hier soll ein älterer Carton, den Kaulbach in den Jahren 1835 bis 1837 für
den Grafen Naczyuski in Aquarell malte, die "Hunnenschlacht," zur Ausfüh-
rung in Farben gelangen. Der Gegenstand desselben ist einer von Photius der
Nachwelt überlieferten Erzählung des athenischen Philosophen Damascius ent¬
nommen. Dieser berichtet nämlich von einer Schlacht, welche die Römer nnter
ihrem Kaiser Valentinian vor den Thoren von Rom gegen die Hunnen und ihren
König Attila geliefert hätten. Auf beiden Seiten sei ein so furchtbares Blutbad
angerichtet worden, daß nur die Heerführer und wenige ihrer Trabanten übrig
geblieben seien. Das Wunderbarste aber sei, daß man sage, die Seelen der ge¬
fallenen Streiter hätten den Kampf drei ganze Tage und Nächte fortgesetzt. Man
wolle gesehen und gehört haben, wie die Schattenbilder wüthend auf einander zu¬
stürzten und mit den Waffen zusammen trafen. Damascius selbst erklärt diese
Sage für ein Trugbild, und in der That meldet die Geschichte von einer solchen
Schlacht zwischen Römern und Hunnen vor den Thoren von Rom gar nichts.
Aller Wahrscheinlichkeit uach ist es die Schlacht auf deu calalauuischen Feldern,
welche durch die Sage nach Rom verlegt und durch den Aberglauben späterer
Zeiten mit jenem Gespensterkampfe in Verbindung gebracht wurde, da ihre Furcht¬
barkeit sich lange ein schauderndes Andenken in den Gemüthern erhielt.

Kaulbach hat bei seiner Komposition den Inhalt der Sage ergriffen. Im
Hintergrunde des Bildes breitet sich das stolze Rom vor uns ans, im Vorgrunde
und in der Mitte auf dem ebenen Gefilde liegen die Körper der Erschlagenen,
von denen sich einzelne emporrichten, um den Geisterflng in die Lüfte anzutreten,
wo die Gespensterschlacht bereits in grauenhafter Wildheit gekämpft wird. Attila
steht mitten in der obern Gruppe auf einem Schilde im hitzigsten Gefecht. Die
Masse der Kämpfenden ist mit einer staunenswerthen Mannichfaltigkeit leidenschaft¬
lich bewegten Lebens ausgestattet, das leichte, gespenstische Sichheben der Körper
vom Boden wunderbar schön in die Glieder der unten Erstehenden gehaucht.
Die ganze Zeichnung gehört ebeu als Zeichnung zu dem Vollendetsten, was


Vorgrunde links zieht die Christenfamilie hinaus, von drei schwebenden Engeln
geleitet, welche sie gleich einer Schutzmauer von der Stätte des gräßlichen Straf¬
gerichtes trennen. Die Gruppe ist von wunderbarem Eindruck, in Ruhe abge¬
schlossen wie ein Idyll mitten in der entsetzlich tragischen Katastrophe. Doch nein,
nicht völlig abgeschlossen. Drei liebliche Judenkinder liegen in angstvoller Be¬
schwörung knieend am Boden und erheben die betend zusammengepreßten Hände
flehend zu deu abziehenden Christen empor, sie mitzunehmen aus dem wilden Ge¬
tümmel aller Schrecken, sie dem allgemeinen Untergange zu entreißen. Und die
Christen? sie singen ihrem Gott und überhören die Bitte der schuldlosen Kinder,
sie üben nicht Barmherzigkeit und tragen den Egoismus der Jntoleranz mit hin-
über in die Religion der Liebe.

Das vierte Hauptbild eröffnet die Trias der gegenüberliegenden Langseite.
Hier soll ein älterer Carton, den Kaulbach in den Jahren 1835 bis 1837 für
den Grafen Naczyuski in Aquarell malte, die „Hunnenschlacht," zur Ausfüh-
rung in Farben gelangen. Der Gegenstand desselben ist einer von Photius der
Nachwelt überlieferten Erzählung des athenischen Philosophen Damascius ent¬
nommen. Dieser berichtet nämlich von einer Schlacht, welche die Römer nnter
ihrem Kaiser Valentinian vor den Thoren von Rom gegen die Hunnen und ihren
König Attila geliefert hätten. Auf beiden Seiten sei ein so furchtbares Blutbad
angerichtet worden, daß nur die Heerführer und wenige ihrer Trabanten übrig
geblieben seien. Das Wunderbarste aber sei, daß man sage, die Seelen der ge¬
fallenen Streiter hätten den Kampf drei ganze Tage und Nächte fortgesetzt. Man
wolle gesehen und gehört haben, wie die Schattenbilder wüthend auf einander zu¬
stürzten und mit den Waffen zusammen trafen. Damascius selbst erklärt diese
Sage für ein Trugbild, und in der That meldet die Geschichte von einer solchen
Schlacht zwischen Römern und Hunnen vor den Thoren von Rom gar nichts.
Aller Wahrscheinlichkeit uach ist es die Schlacht auf deu calalauuischen Feldern,
welche durch die Sage nach Rom verlegt und durch den Aberglauben späterer
Zeiten mit jenem Gespensterkampfe in Verbindung gebracht wurde, da ihre Furcht¬
barkeit sich lange ein schauderndes Andenken in den Gemüthern erhielt.

Kaulbach hat bei seiner Komposition den Inhalt der Sage ergriffen. Im
Hintergrunde des Bildes breitet sich das stolze Rom vor uns ans, im Vorgrunde
und in der Mitte auf dem ebenen Gefilde liegen die Körper der Erschlagenen,
von denen sich einzelne emporrichten, um den Geisterflng in die Lüfte anzutreten,
wo die Gespensterschlacht bereits in grauenhafter Wildheit gekämpft wird. Attila
steht mitten in der obern Gruppe auf einem Schilde im hitzigsten Gefecht. Die
Masse der Kämpfenden ist mit einer staunenswerthen Mannichfaltigkeit leidenschaft¬
lich bewegten Lebens ausgestattet, das leichte, gespenstische Sichheben der Körper
vom Boden wunderbar schön in die Glieder der unten Erstehenden gehaucht.
Die ganze Zeichnung gehört ebeu als Zeichnung zu dem Vollendetsten, was


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[0496] Vorgrunde links zieht die Christenfamilie hinaus, von drei schwebenden Engeln geleitet, welche sie gleich einer Schutzmauer von der Stätte des gräßlichen Straf¬ gerichtes trennen. Die Gruppe ist von wunderbarem Eindruck, in Ruhe abge¬ schlossen wie ein Idyll mitten in der entsetzlich tragischen Katastrophe. Doch nein, nicht völlig abgeschlossen. Drei liebliche Judenkinder liegen in angstvoller Be¬ schwörung knieend am Boden und erheben die betend zusammengepreßten Hände flehend zu deu abziehenden Christen empor, sie mitzunehmen aus dem wilden Ge¬ tümmel aller Schrecken, sie dem allgemeinen Untergange zu entreißen. Und die Christen? sie singen ihrem Gott und überhören die Bitte der schuldlosen Kinder, sie üben nicht Barmherzigkeit und tragen den Egoismus der Jntoleranz mit hin- über in die Religion der Liebe. Das vierte Hauptbild eröffnet die Trias der gegenüberliegenden Langseite. Hier soll ein älterer Carton, den Kaulbach in den Jahren 1835 bis 1837 für den Grafen Naczyuski in Aquarell malte, die „Hunnenschlacht," zur Ausfüh- rung in Farben gelangen. Der Gegenstand desselben ist einer von Photius der Nachwelt überlieferten Erzählung des athenischen Philosophen Damascius ent¬ nommen. Dieser berichtet nämlich von einer Schlacht, welche die Römer nnter ihrem Kaiser Valentinian vor den Thoren von Rom gegen die Hunnen und ihren König Attila geliefert hätten. Auf beiden Seiten sei ein so furchtbares Blutbad angerichtet worden, daß nur die Heerführer und wenige ihrer Trabanten übrig geblieben seien. Das Wunderbarste aber sei, daß man sage, die Seelen der ge¬ fallenen Streiter hätten den Kampf drei ganze Tage und Nächte fortgesetzt. Man wolle gesehen und gehört haben, wie die Schattenbilder wüthend auf einander zu¬ stürzten und mit den Waffen zusammen trafen. Damascius selbst erklärt diese Sage für ein Trugbild, und in der That meldet die Geschichte von einer solchen Schlacht zwischen Römern und Hunnen vor den Thoren von Rom gar nichts. Aller Wahrscheinlichkeit uach ist es die Schlacht auf deu calalauuischen Feldern, welche durch die Sage nach Rom verlegt und durch den Aberglauben späterer Zeiten mit jenem Gespensterkampfe in Verbindung gebracht wurde, da ihre Furcht¬ barkeit sich lange ein schauderndes Andenken in den Gemüthern erhielt. Kaulbach hat bei seiner Komposition den Inhalt der Sage ergriffen. Im Hintergrunde des Bildes breitet sich das stolze Rom vor uns ans, im Vorgrunde und in der Mitte auf dem ebenen Gefilde liegen die Körper der Erschlagenen, von denen sich einzelne emporrichten, um den Geisterflng in die Lüfte anzutreten, wo die Gespensterschlacht bereits in grauenhafter Wildheit gekämpft wird. Attila steht mitten in der obern Gruppe auf einem Schilde im hitzigsten Gefecht. Die Masse der Kämpfenden ist mit einer staunenswerthen Mannichfaltigkeit leidenschaft¬ lich bewegten Lebens ausgestattet, das leichte, gespenstische Sichheben der Körper vom Boden wunderbar schön in die Glieder der unten Erstehenden gehaucht. Die ganze Zeichnung gehört ebeu als Zeichnung zu dem Vollendetsten, was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/496>, abgerufen am 24.07.2024.