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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Dieser zukünftige Triumvir Roms, aus Frankreich in Folge von drei Mordthaten
verjagt (!), ließ sich in Helvetien nieder. Die Carbon ari änderten aus seine Stimme
Namen und Form: sie nannten sich das junge Italien. Um dasselbe bildeten sich
andere Secten: der Verein der Gerechten und das Naubproletariat.

Aber es genügte dein Großmeister nicht, eine Nation zu revolutioniren; er
wußte alle über den Hausen werfen. Man schuf das junge Deutschland, das
junge Polen, die junge Schweiz, das junge Spanien und das junge
Europa.

Die geheimen Gesellschaften erstreckten sich von einem Ende der Welt zu
dem andern und correspondirtcn untereinander. Frankreich hatte die Gesellschaft der
Jahreszeiten, die Gesellschaft der Familien, der Freunde des Volkes
und der Menschenrechte. Jede Provinz hatte ihren geheimnißvollen Club und jeder
Kreis seine Leiter.

Mazzini führte den Vorsitz über das Ganze.

Als Moses des Bösen hatte er Genf zu seinem Sinai erwählt: von dort aus ver¬
kündete er seine Gesetztafen, ließ er seine Donner in die Ferne erschallen. Dort
kamen zu ihm nach und nach alle Revolutionäre, die noch unbekannt waren, später jedoch
eine so verderbliche Berühmtheit erlangen sollten; wie die Sterbini, die Galletti,
Nicciardi, Ramorino, Agice, Romeo und uoch eine Menge Anderer, Dort
befanden sich Weitling, e i n S esu eit er, (8lo!) dessen Name in Rom einen schrecklichen
Wiederklang finden sollte, Simon Schmidt, der Gerber, August Becker und der
alte Albrecht, der für inspirirt galt.

Das Evangelium dieser Menschen waren: die Worte eines Gläubigen, und
sie lernten die folgenden Zeilen Lamartine's auswendig:

"Sie werden die Gesellschaft umwühlen, bis der Socialismus auf deu abscheulichen
Individualismus gefolgt ist. -- Die Barmherzigkeit, das ist der Socialismus." (Reise
im Orient, Th. IV. S. 330.)

Dort erschien auch Gioberti.

Nie übte ein Demokrat einen größern Einfluß als dieser über seine Mitbürger.
Nach dem Beispiele Arnaud's von Brescia streute er deu Lastern des Volkes Weihrauch
und machte sich zum Lobredner derselben. Seine Reden und seine Schriften enthusias-
mirten die Liberalen und waren Ursache, daß er eingekerkert und dann verbannt wurde. '
Dieser ehrgcitzige Ubbo, ein Thersites der bösen Leidenschaften, träumte vou der päpst¬
lichen Krone. Obgleich er ein glühender Carbonaro war, verwarf er das junge Ita¬
lien; denn Mazzini war sein Mitbewerber des Rufes und ihm daher ein verhaßter
Nebenbuhler. Er flüchtete sich uach Lausanne, weil man daselbst rief: "Nieder mit
Gott!"") Strauß wechselte Briefe mit ihm.

Strauß mit seinem neuen Dogma, durch welches Jesus Christus für eine Mythe
und die Bibel sür einen alten Roman erklärt wurde, gehörte zu den geheimen Gesell¬
schaften Deutschlands. Er predigte damals den Atheismus.




*) Der Ubbo Viuceuto Gioberti wurde in Turin zu Anfang dieses Jahrhunderts geboren.
**) Man rief auch: "Nieder mit denen, welche Bediente halten!" -- Er
ging auch nach Belgien.

Dieser zukünftige Triumvir Roms, aus Frankreich in Folge von drei Mordthaten
verjagt (!), ließ sich in Helvetien nieder. Die Carbon ari änderten aus seine Stimme
Namen und Form: sie nannten sich das junge Italien. Um dasselbe bildeten sich
andere Secten: der Verein der Gerechten und das Naubproletariat.

Aber es genügte dein Großmeister nicht, eine Nation zu revolutioniren; er
wußte alle über den Hausen werfen. Man schuf das junge Deutschland, das
junge Polen, die junge Schweiz, das junge Spanien und das junge
Europa.

Die geheimen Gesellschaften erstreckten sich von einem Ende der Welt zu
dem andern und correspondirtcn untereinander. Frankreich hatte die Gesellschaft der
Jahreszeiten, die Gesellschaft der Familien, der Freunde des Volkes
und der Menschenrechte. Jede Provinz hatte ihren geheimnißvollen Club und jeder
Kreis seine Leiter.

Mazzini führte den Vorsitz über das Ganze.

Als Moses des Bösen hatte er Genf zu seinem Sinai erwählt: von dort aus ver¬
kündete er seine Gesetztafen, ließ er seine Donner in die Ferne erschallen. Dort
kamen zu ihm nach und nach alle Revolutionäre, die noch unbekannt waren, später jedoch
eine so verderbliche Berühmtheit erlangen sollten; wie die Sterbini, die Galletti,
Nicciardi, Ramorino, Agice, Romeo und uoch eine Menge Anderer, Dort
befanden sich Weitling, e i n S esu eit er, (8lo!) dessen Name in Rom einen schrecklichen
Wiederklang finden sollte, Simon Schmidt, der Gerber, August Becker und der
alte Albrecht, der für inspirirt galt.

Das Evangelium dieser Menschen waren: die Worte eines Gläubigen, und
sie lernten die folgenden Zeilen Lamartine's auswendig:

„Sie werden die Gesellschaft umwühlen, bis der Socialismus auf deu abscheulichen
Individualismus gefolgt ist. — Die Barmherzigkeit, das ist der Socialismus." (Reise
im Orient, Th. IV. S. 330.)

Dort erschien auch Gioberti.

Nie übte ein Demokrat einen größern Einfluß als dieser über seine Mitbürger.
Nach dem Beispiele Arnaud's von Brescia streute er deu Lastern des Volkes Weihrauch
und machte sich zum Lobredner derselben. Seine Reden und seine Schriften enthusias-
mirten die Liberalen und waren Ursache, daß er eingekerkert und dann verbannt wurde. '
Dieser ehrgcitzige Ubbo, ein Thersites der bösen Leidenschaften, träumte vou der päpst¬
lichen Krone. Obgleich er ein glühender Carbonaro war, verwarf er das junge Ita¬
lien; denn Mazzini war sein Mitbewerber des Rufes und ihm daher ein verhaßter
Nebenbuhler. Er flüchtete sich uach Lausanne, weil man daselbst rief: „Nieder mit
Gott!"") Strauß wechselte Briefe mit ihm.

Strauß mit seinem neuen Dogma, durch welches Jesus Christus für eine Mythe
und die Bibel sür einen alten Roman erklärt wurde, gehörte zu den geheimen Gesell¬
schaften Deutschlands. Er predigte damals den Atheismus.




*) Der Ubbo Viuceuto Gioberti wurde in Turin zu Anfang dieses Jahrhunderts geboren.
**) Man rief auch: „Nieder mit denen, welche Bediente halten!" — Er
ging auch nach Belgien.
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[0489] Dieser zukünftige Triumvir Roms, aus Frankreich in Folge von drei Mordthaten verjagt (!), ließ sich in Helvetien nieder. Die Carbon ari änderten aus seine Stimme Namen und Form: sie nannten sich das junge Italien. Um dasselbe bildeten sich andere Secten: der Verein der Gerechten und das Naubproletariat. Aber es genügte dein Großmeister nicht, eine Nation zu revolutioniren; er wußte alle über den Hausen werfen. Man schuf das junge Deutschland, das junge Polen, die junge Schweiz, das junge Spanien und das junge Europa. Die geheimen Gesellschaften erstreckten sich von einem Ende der Welt zu dem andern und correspondirtcn untereinander. Frankreich hatte die Gesellschaft der Jahreszeiten, die Gesellschaft der Familien, der Freunde des Volkes und der Menschenrechte. Jede Provinz hatte ihren geheimnißvollen Club und jeder Kreis seine Leiter. Mazzini führte den Vorsitz über das Ganze. Als Moses des Bösen hatte er Genf zu seinem Sinai erwählt: von dort aus ver¬ kündete er seine Gesetztafen, ließ er seine Donner in die Ferne erschallen. Dort kamen zu ihm nach und nach alle Revolutionäre, die noch unbekannt waren, später jedoch eine so verderbliche Berühmtheit erlangen sollten; wie die Sterbini, die Galletti, Nicciardi, Ramorino, Agice, Romeo und uoch eine Menge Anderer, Dort befanden sich Weitling, e i n S esu eit er, (8lo!) dessen Name in Rom einen schrecklichen Wiederklang finden sollte, Simon Schmidt, der Gerber, August Becker und der alte Albrecht, der für inspirirt galt. Das Evangelium dieser Menschen waren: die Worte eines Gläubigen, und sie lernten die folgenden Zeilen Lamartine's auswendig: „Sie werden die Gesellschaft umwühlen, bis der Socialismus auf deu abscheulichen Individualismus gefolgt ist. — Die Barmherzigkeit, das ist der Socialismus." (Reise im Orient, Th. IV. S. 330.) Dort erschien auch Gioberti. Nie übte ein Demokrat einen größern Einfluß als dieser über seine Mitbürger. Nach dem Beispiele Arnaud's von Brescia streute er deu Lastern des Volkes Weihrauch und machte sich zum Lobredner derselben. Seine Reden und seine Schriften enthusias- mirten die Liberalen und waren Ursache, daß er eingekerkert und dann verbannt wurde. ' Dieser ehrgcitzige Ubbo, ein Thersites der bösen Leidenschaften, träumte vou der päpst¬ lichen Krone. Obgleich er ein glühender Carbonaro war, verwarf er das junge Ita¬ lien; denn Mazzini war sein Mitbewerber des Rufes und ihm daher ein verhaßter Nebenbuhler. Er flüchtete sich uach Lausanne, weil man daselbst rief: „Nieder mit Gott!"") Strauß wechselte Briefe mit ihm. Strauß mit seinem neuen Dogma, durch welches Jesus Christus für eine Mythe und die Bibel sür einen alten Roman erklärt wurde, gehörte zu den geheimen Gesell¬ schaften Deutschlands. Er predigte damals den Atheismus. *) Der Ubbo Viuceuto Gioberti wurde in Turin zu Anfang dieses Jahrhunderts geboren. **) Man rief auch: „Nieder mit denen, welche Bediente halten!" — Er ging auch nach Belgien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/489>, abgerufen am 24.07.2024.