Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.eine Sinecnr für talentvolle und unvermögende Dichter sein soll. Dafür gibt Das Bedenkliche dieser Darstellung wird noch durch zwei Umstände erhöht. eine Sinecnr für talentvolle und unvermögende Dichter sein soll. Dafür gibt Das Bedenkliche dieser Darstellung wird noch durch zwei Umstände erhöht. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0458" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92196"/> <p xml:id="ID_1400" prev="#ID_1399"> eine Sinecnr für talentvolle und unvermögende Dichter sein soll. Dafür gibt<lb/> ihn der Großherzog Karl August von Weimar, von welchem beiläufig gesagt wird,<lb/> er sei ein viel größerer Mann als der alte Fritz, der Verdammung der Nachwelt<lb/> Preis. Bürger erträgt mit großem poetischen Gleichmuth die Noch , in welche<lb/> sein Weib und Kind' versetzt sind, und unterhält mittlerweile ein Liebesverhältniß<lb/> mit der Schwester seiner Frau; ein Liebesverhältniß, von welchem er nicht er¬<lb/> mangelt das gestimmte Publicum in Kenntniß zu setzen, indem er die feurigen<lb/> Liebesgedichte an seine Schwägerin und die Klagen über sein Unglück, eine an¬<lb/> dere Frau zusahen, drucken läßt. Diese Unwürdigkeit, die schon damals, in<lb/> einer Zeit, wo man gewöhnt war, sein ganzes Innere vor der gestimmten Mensch¬<lb/> heit aufzuknöpfen, und das Publicum von allen kleinen Leiden zu unterrichten,<lb/> die der anständige Mensch für sich allein trägt, den größten Anstoß erregte, die<lb/> von Schiller in seiner berühmten Recension zwar nur mit sehr schonenden An¬<lb/> dentungen und vom streng ästhetischen Standpunkt aus in ihrem Unrecht darge¬<lb/> stellt wurde, wird in unserm Stück nicht blos von den poetischen Freunden<lb/> Bürgers, den Großherzog von Weimar mit eingeschlossen, als etwas hingenommen,<lb/> was sich ganz von selbst verstehe, sondern auch das Opfer dieser I^ieeMa poetioa,<lb/> seine Gattin, erklärt auf dem Sterbebette, wo ihr das höhere Licht der Wahrheit<lb/> aufgeht, daß sie ganz allein daran schuld sei; sie hätte die Verpflichtung gehabt,<lb/> sich für seine Hexameter und Stanzen zu begeistern, ihm Stoff für seine Balladen<lb/> und Romanzen zu suchen und niemals an die Noth ihres Kindes, sondern nur<lb/> an deu Nachruhm ihres göttlichen Gemahls zu denken; sie bittet ihn deshalb de¬<lb/> müthig um Verzeihung und beschwört ihn, nur recht bald die schöne Molly zu<lb/> heirathen, die alle Verpflichtungen einer Dichterfrau zu erfüllen im Stande sei.<lb/> Man weiß nicht, ob mau hier mehr über die Verirrung des Herzens oder des<lb/> Verstandes in Erstaunen gerathen soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_1401" next="#ID_1402"> Das Bedenkliche dieser Darstellung wird noch durch zwei Umstände erhöht.<lb/> Im Tasso ist uur ein idealer Dichter, dessen dichterisches Wesen nicht durch<lb/> unsere historische und philologische Kenntniß ergänzt werden darf, sondern das<lb/> sich vollständig in seiner menschlichen Erscheinung ausspricht; hier dagegen sollen<lb/> wir den bestimmten Dichter, den wir aus der Schule kennen, in allen Einzelheiten<lb/> seines poetischen Wirkens vor uns sehen. Es wird uns zuerst der Kreis, aus<lb/> dem er hervorging, der Hainbund, dargestellt, in einem Tableau, das weiter auf<lb/> deu Verlauf des Stücks keinen Einfluß hat, wir werden sodann von allen gleich¬<lb/> zeitigen Erscheinungen der deutschen Literatur unterrichtet. Die einzelnen Balladen<lb/> Bürgers werden uns genetisch erläutert, ohngefähr wie es in der Oper Prinz<lb/> Eugen geschieht; es wird uns weder die Uebersetzung der Ilias noch das Dörfchen,<lb/> noch des Pfarrers Tochter von Taubeuhain, noch sonst etwas von seinen Leistungen<lb/> geschenkt. Von der Methode dieser genetischen Erläuterung der Balladen nnr<lb/> ein Beispiel. Molly besucht ihn, nachdem sie eine Zeit lang von einander ge-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0458]
eine Sinecnr für talentvolle und unvermögende Dichter sein soll. Dafür gibt
ihn der Großherzog Karl August von Weimar, von welchem beiläufig gesagt wird,
er sei ein viel größerer Mann als der alte Fritz, der Verdammung der Nachwelt
Preis. Bürger erträgt mit großem poetischen Gleichmuth die Noch , in welche
sein Weib und Kind' versetzt sind, und unterhält mittlerweile ein Liebesverhältniß
mit der Schwester seiner Frau; ein Liebesverhältniß, von welchem er nicht er¬
mangelt das gestimmte Publicum in Kenntniß zu setzen, indem er die feurigen
Liebesgedichte an seine Schwägerin und die Klagen über sein Unglück, eine an¬
dere Frau zusahen, drucken läßt. Diese Unwürdigkeit, die schon damals, in
einer Zeit, wo man gewöhnt war, sein ganzes Innere vor der gestimmten Mensch¬
heit aufzuknöpfen, und das Publicum von allen kleinen Leiden zu unterrichten,
die der anständige Mensch für sich allein trägt, den größten Anstoß erregte, die
von Schiller in seiner berühmten Recension zwar nur mit sehr schonenden An¬
dentungen und vom streng ästhetischen Standpunkt aus in ihrem Unrecht darge¬
stellt wurde, wird in unserm Stück nicht blos von den poetischen Freunden
Bürgers, den Großherzog von Weimar mit eingeschlossen, als etwas hingenommen,
was sich ganz von selbst verstehe, sondern auch das Opfer dieser I^ieeMa poetioa,
seine Gattin, erklärt auf dem Sterbebette, wo ihr das höhere Licht der Wahrheit
aufgeht, daß sie ganz allein daran schuld sei; sie hätte die Verpflichtung gehabt,
sich für seine Hexameter und Stanzen zu begeistern, ihm Stoff für seine Balladen
und Romanzen zu suchen und niemals an die Noth ihres Kindes, sondern nur
an deu Nachruhm ihres göttlichen Gemahls zu denken; sie bittet ihn deshalb de¬
müthig um Verzeihung und beschwört ihn, nur recht bald die schöne Molly zu
heirathen, die alle Verpflichtungen einer Dichterfrau zu erfüllen im Stande sei.
Man weiß nicht, ob mau hier mehr über die Verirrung des Herzens oder des
Verstandes in Erstaunen gerathen soll.
Das Bedenkliche dieser Darstellung wird noch durch zwei Umstände erhöht.
Im Tasso ist uur ein idealer Dichter, dessen dichterisches Wesen nicht durch
unsere historische und philologische Kenntniß ergänzt werden darf, sondern das
sich vollständig in seiner menschlichen Erscheinung ausspricht; hier dagegen sollen
wir den bestimmten Dichter, den wir aus der Schule kennen, in allen Einzelheiten
seines poetischen Wirkens vor uns sehen. Es wird uns zuerst der Kreis, aus
dem er hervorging, der Hainbund, dargestellt, in einem Tableau, das weiter auf
deu Verlauf des Stücks keinen Einfluß hat, wir werden sodann von allen gleich¬
zeitigen Erscheinungen der deutschen Literatur unterrichtet. Die einzelnen Balladen
Bürgers werden uns genetisch erläutert, ohngefähr wie es in der Oper Prinz
Eugen geschieht; es wird uns weder die Uebersetzung der Ilias noch das Dörfchen,
noch des Pfarrers Tochter von Taubeuhain, noch sonst etwas von seinen Leistungen
geschenkt. Von der Methode dieser genetischen Erläuterung der Balladen nnr
ein Beispiel. Molly besucht ihn, nachdem sie eine Zeit lang von einander ge-
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