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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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hiver Traumleben schwelgen und mit aristokratischem Hochmuth das Schlechte ver¬
meiden, statt ihm abzuhelfen, währeud sie doch fühlen müßten, daß die mensch¬
liche Schlechtigkeit auch diejenigen trifft, welche ihr nicht unterworfen sind, und
daß es die erste Pflicht derselben ist, das allgemeine Uebel zu bekämpfen; ein
in sich gekehrter Mensch, für den Alle, die nicht empfinden wie er, zu Schatten
verschwinden, die er gar nicht mehr begreift, der bei seiner eitlen Idealität geneigt
ist, sich in der Hitze einer erregten Phantasie das scheußlichste auszumalen, saßt
eine glühende Liebe zu dieser Frau, deren Principien er eigentlich verdammen
muß. Da aber seine Liebe nicht mit Vertrauen verknüpft ist, quält er sie in
einem Verhältniß, das zehn Jahre dauert, durch den fortwährenden Wechsel von
Mißtrauen, Vorwurf, Neue und Liebe zu Tode. Sie stirbt an den kleinen
Nadelstichen seiner Eifersucht, denkt aber nicht daran, sich diesem Verhältniß zu
entziehen, obgleich sie ihn zuletzt uicht mehr liebt, weil sie es für ihre Bestimmung
hält, sich für ihn aufzuopfern. So wenig haltbar diese Idee in ihrer Ueber¬
treibung ist, so steht sie doch unendlich höher, als jene Unsittlichkeit Jndiana's,
die den Qualen einer unpassenden Ehe weiter nichts entgegenzusetzen weiß, als
Hochmuth und Trotz und endlich offenen Treubruch. -- Noswald's Charakter,
der mit einer unbarmherzigen Schärfe in seinen Einzelheiten durchgeführt ist,
wird, wie es Georges Saud gewöhnlich thut, durch den Contrast eines einfachen
Weidmanns von gesunden Anlagen, Salvator Albani, in ein noch schärferes
Licht gestellt.

Ich hatte schon bei der Consuelo darauf aufmerksam gemacht, wie das
Bestreben unserer Dichterin, den Gebrechen und Zerwürfnissen der modernen
Gesellschaft das ideale Bild eines gesunden, in sich selbst sichern und mit Gott
noch uicht zerfallenen Volks entgegenzustellen, bei ihrer poetischen Anlage, die
es niemals ertrug, in leeren Abstractionen zu bleiben, zuletzt zu dem wirklichen
Idyll führen mußte. Einzelne kleinere Versuche finden sich schon in der frühern
Periode vor, z. B. im Mouny Robim, einer nicht unpoetischen Darstellung
des volksthümlichen Aberglaubens, und Melchior, einer Geschichte, die nicht in
ihrem Inhalt, aber in ihrer Form stark an Bernardin de Se. Pierre erinnert.
In der nächsten Periode aber ist es ihr gelungen, in einer Reihe größerer
Idyllen die französische Poesie mit einem neuen kostbaren Schatz zu bereichern.
Die Novellen, die ich meine, siud: leanne, w wäre an Äiabls (der Teu-
ftlösumpf) und ?rarit)ol8 1e cdamxi (der Bastard). Sie hat in diesen No¬
vellen nicht nur die Sprache des Volks mit sinnigem Ohr belauscht, sondern auch
seine naive und doch zugleich mit deu wunderlichsten Irrationalitäten zersetzte
Empfindungsweise mit einer bewundernswürdigen Feinheit wiedergegeben; sie hat
die Poesie der Armuth und Beschränktheit mit einer Innigkeit und lebendigen
Frische dargestellt, daß ihr kein anderer Dichter darin gleichkommt, und wie man
sie von der Verfasserin der Lelia am wenigsten hätte erwarten sollen. Allerdings


hiver Traumleben schwelgen und mit aristokratischem Hochmuth das Schlechte ver¬
meiden, statt ihm abzuhelfen, währeud sie doch fühlen müßten, daß die mensch¬
liche Schlechtigkeit auch diejenigen trifft, welche ihr nicht unterworfen sind, und
daß es die erste Pflicht derselben ist, das allgemeine Uebel zu bekämpfen; ein
in sich gekehrter Mensch, für den Alle, die nicht empfinden wie er, zu Schatten
verschwinden, die er gar nicht mehr begreift, der bei seiner eitlen Idealität geneigt
ist, sich in der Hitze einer erregten Phantasie das scheußlichste auszumalen, saßt
eine glühende Liebe zu dieser Frau, deren Principien er eigentlich verdammen
muß. Da aber seine Liebe nicht mit Vertrauen verknüpft ist, quält er sie in
einem Verhältniß, das zehn Jahre dauert, durch den fortwährenden Wechsel von
Mißtrauen, Vorwurf, Neue und Liebe zu Tode. Sie stirbt an den kleinen
Nadelstichen seiner Eifersucht, denkt aber nicht daran, sich diesem Verhältniß zu
entziehen, obgleich sie ihn zuletzt uicht mehr liebt, weil sie es für ihre Bestimmung
hält, sich für ihn aufzuopfern. So wenig haltbar diese Idee in ihrer Ueber¬
treibung ist, so steht sie doch unendlich höher, als jene Unsittlichkeit Jndiana's,
die den Qualen einer unpassenden Ehe weiter nichts entgegenzusetzen weiß, als
Hochmuth und Trotz und endlich offenen Treubruch. — Noswald's Charakter,
der mit einer unbarmherzigen Schärfe in seinen Einzelheiten durchgeführt ist,
wird, wie es Georges Saud gewöhnlich thut, durch den Contrast eines einfachen
Weidmanns von gesunden Anlagen, Salvator Albani, in ein noch schärferes
Licht gestellt.

Ich hatte schon bei der Consuelo darauf aufmerksam gemacht, wie das
Bestreben unserer Dichterin, den Gebrechen und Zerwürfnissen der modernen
Gesellschaft das ideale Bild eines gesunden, in sich selbst sichern und mit Gott
noch uicht zerfallenen Volks entgegenzustellen, bei ihrer poetischen Anlage, die
es niemals ertrug, in leeren Abstractionen zu bleiben, zuletzt zu dem wirklichen
Idyll führen mußte. Einzelne kleinere Versuche finden sich schon in der frühern
Periode vor, z. B. im Mouny Robim, einer nicht unpoetischen Darstellung
des volksthümlichen Aberglaubens, und Melchior, einer Geschichte, die nicht in
ihrem Inhalt, aber in ihrer Form stark an Bernardin de Se. Pierre erinnert.
In der nächsten Periode aber ist es ihr gelungen, in einer Reihe größerer
Idyllen die französische Poesie mit einem neuen kostbaren Schatz zu bereichern.
Die Novellen, die ich meine, siud: leanne, w wäre an Äiabls (der Teu-
ftlösumpf) und ?rarit)ol8 1e cdamxi (der Bastard). Sie hat in diesen No¬
vellen nicht nur die Sprache des Volks mit sinnigem Ohr belauscht, sondern auch
seine naive und doch zugleich mit deu wunderlichsten Irrationalitäten zersetzte
Empfindungsweise mit einer bewundernswürdigen Feinheit wiedergegeben; sie hat
die Poesie der Armuth und Beschränktheit mit einer Innigkeit und lebendigen
Frische dargestellt, daß ihr kein anderer Dichter darin gleichkommt, und wie man
sie von der Verfasserin der Lelia am wenigsten hätte erwarten sollen. Allerdings


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[0422] hiver Traumleben schwelgen und mit aristokratischem Hochmuth das Schlechte ver¬ meiden, statt ihm abzuhelfen, währeud sie doch fühlen müßten, daß die mensch¬ liche Schlechtigkeit auch diejenigen trifft, welche ihr nicht unterworfen sind, und daß es die erste Pflicht derselben ist, das allgemeine Uebel zu bekämpfen; ein in sich gekehrter Mensch, für den Alle, die nicht empfinden wie er, zu Schatten verschwinden, die er gar nicht mehr begreift, der bei seiner eitlen Idealität geneigt ist, sich in der Hitze einer erregten Phantasie das scheußlichste auszumalen, saßt eine glühende Liebe zu dieser Frau, deren Principien er eigentlich verdammen muß. Da aber seine Liebe nicht mit Vertrauen verknüpft ist, quält er sie in einem Verhältniß, das zehn Jahre dauert, durch den fortwährenden Wechsel von Mißtrauen, Vorwurf, Neue und Liebe zu Tode. Sie stirbt an den kleinen Nadelstichen seiner Eifersucht, denkt aber nicht daran, sich diesem Verhältniß zu entziehen, obgleich sie ihn zuletzt uicht mehr liebt, weil sie es für ihre Bestimmung hält, sich für ihn aufzuopfern. So wenig haltbar diese Idee in ihrer Ueber¬ treibung ist, so steht sie doch unendlich höher, als jene Unsittlichkeit Jndiana's, die den Qualen einer unpassenden Ehe weiter nichts entgegenzusetzen weiß, als Hochmuth und Trotz und endlich offenen Treubruch. — Noswald's Charakter, der mit einer unbarmherzigen Schärfe in seinen Einzelheiten durchgeführt ist, wird, wie es Georges Saud gewöhnlich thut, durch den Contrast eines einfachen Weidmanns von gesunden Anlagen, Salvator Albani, in ein noch schärferes Licht gestellt. Ich hatte schon bei der Consuelo darauf aufmerksam gemacht, wie das Bestreben unserer Dichterin, den Gebrechen und Zerwürfnissen der modernen Gesellschaft das ideale Bild eines gesunden, in sich selbst sichern und mit Gott noch uicht zerfallenen Volks entgegenzustellen, bei ihrer poetischen Anlage, die es niemals ertrug, in leeren Abstractionen zu bleiben, zuletzt zu dem wirklichen Idyll führen mußte. Einzelne kleinere Versuche finden sich schon in der frühern Periode vor, z. B. im Mouny Robim, einer nicht unpoetischen Darstellung des volksthümlichen Aberglaubens, und Melchior, einer Geschichte, die nicht in ihrem Inhalt, aber in ihrer Form stark an Bernardin de Se. Pierre erinnert. In der nächsten Periode aber ist es ihr gelungen, in einer Reihe größerer Idyllen die französische Poesie mit einem neuen kostbaren Schatz zu bereichern. Die Novellen, die ich meine, siud: leanne, w wäre an Äiabls (der Teu- ftlösumpf) und ?rarit)ol8 1e cdamxi (der Bastard). Sie hat in diesen No¬ vellen nicht nur die Sprache des Volks mit sinnigem Ohr belauscht, sondern auch seine naive und doch zugleich mit deu wunderlichsten Irrationalitäten zersetzte Empfindungsweise mit einer bewundernswürdigen Feinheit wiedergegeben; sie hat die Poesie der Armuth und Beschränktheit mit einer Innigkeit und lebendigen Frische dargestellt, daß ihr kein anderer Dichter darin gleichkommt, und wie man sie von der Verfasserin der Lelia am wenigsten hätte erwarten sollen. Allerdings

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/422>, abgerufen am 24.07.2024.