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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Das ode Sandmeer, der knorrige Föhrenwald, die rauhe und doch tüchtige Kraft
der Menschen ans diesem Grunde, den Patricier des Mittelalters, die Raubritter,
die Buschklepper und was Alles vou Figuren und menschlicher Thätigkeit zu der
märkischen Landschaft paßt, das springt ans diesen Romanen imponirend hervor;
wir sehen den Wolf über das Wintereis der Havel schleichen und hören die
Krähea über dem Kieferbusch schreien, der die Stelle einer schwarzen Unthat bezeichnet.
Es ist ein grauer, trüber Himmel, welcher Ton und Luft seiner patriotischen
Gemälde bestimmt; selbst im Cabanis geht diese Stimmung dnrch von Anfang
bis zu Eude. Obgleich aber das Wiederkehren einer ganz ähnlichen Farbe in den
verschiedenen historischen Romanen eine gewisse Monotonie erzeugt, so ist sie doch
in den einzelnen Schilderungen von ungewöhnlicher Wirkung. Die Mittel, dnrch
welche Wilibald Alexis seiue Färbung hervorbringt, sind ebenfalls charakteristisch.
Es ist außer lebhafter Beschreibung der Staffage mit vielen Detail, und einer
Sprache, welche weniger zerbrochene Sätze und weniger alterthümlichen Schein
haben könnte, noch eine wichtige Eigenthümlichkeit, welche nicht unbedingt zu
loben ist; seine Menschen nämlich schildert er gern innerhalb dieser Staffage,
ebenso dnrch sie ergriffen und durch sie bestimmt, wie dies einem gebildeten
Menschen unserer Zeit geschehen würde. Es enthält die Situation dadurch eine
große Lebhaftigkeit, zuweilen aus Kosten der Charakteristik und der Handlung, und
seine Romane erscheinen deßhalb im Ganzen mehr zusammengesetzt aus einer Reihe
von vortrefflich gefärbten Bildern, wie nach einer feststehenden Handlung, einem
großen Plane componirt. Dies geht so weit, daß sich behaupten läßt, seine Vir¬
tuosität in der Färbung beeinträchtige die Wahrheit seiner Charaktere und deu
künstlerischen Zusammenhang der Handlung.

Denn sein Gefühl für das Charakteristische und die Consequenz der Charak¬
tere ist verhältnißmäßig schwächer, und deshalb hat die Fabel oder Handlung
seiner historischen Romane immer sehr wunde Stellen. Im Cabanis beruht die
ganze Möglichkeit des Romans auf dem verrückten Einfall des Marquis, daß
sein treues, liebendes Weib nicht bei ihm bleiben dürfe, weil ihm der Vater
Friedrichs des Großen durch eine Ohrfeige die Ehre beschädigt hat, und des¬
halb verheirathet er sie an eiuen Berliner Bürger. Hier bricht die alte roman¬
tische Caprice wieder durch, eine unverständige Unterlage des Romans, welche
uns das Behagen an den einzelnen Schönheiten verkümmert. Im Roland von
Berlin nimmt Johannes Nathenow, der beste Charakter, welchen der Dichter
gezeichnet hat, die Würde des Bürgermeisters ans den Händen des Landesfür¬
sten an, obgleich ihm diese gegen die Rechte und Privilegien der Stadt zuer-
theilt wird, welche bis auf'S Aeußerste zu vertheidigen er zur Ausgabe seines Le¬
bens gemacht hat. Im falschen Waldemar geschieht es dem Dichter gar, daß
er dem Betrüger eine theilweise Berechtigung zu geben sucht, indem er ihn zum
enthusiastischen Vertreter der tugendhaften Sache macht und eine gewisse Mystik


51,*

Das ode Sandmeer, der knorrige Föhrenwald, die rauhe und doch tüchtige Kraft
der Menschen ans diesem Grunde, den Patricier des Mittelalters, die Raubritter,
die Buschklepper und was Alles vou Figuren und menschlicher Thätigkeit zu der
märkischen Landschaft paßt, das springt ans diesen Romanen imponirend hervor;
wir sehen den Wolf über das Wintereis der Havel schleichen und hören die
Krähea über dem Kieferbusch schreien, der die Stelle einer schwarzen Unthat bezeichnet.
Es ist ein grauer, trüber Himmel, welcher Ton und Luft seiner patriotischen
Gemälde bestimmt; selbst im Cabanis geht diese Stimmung dnrch von Anfang
bis zu Eude. Obgleich aber das Wiederkehren einer ganz ähnlichen Farbe in den
verschiedenen historischen Romanen eine gewisse Monotonie erzeugt, so ist sie doch
in den einzelnen Schilderungen von ungewöhnlicher Wirkung. Die Mittel, dnrch
welche Wilibald Alexis seiue Färbung hervorbringt, sind ebenfalls charakteristisch.
Es ist außer lebhafter Beschreibung der Staffage mit vielen Detail, und einer
Sprache, welche weniger zerbrochene Sätze und weniger alterthümlichen Schein
haben könnte, noch eine wichtige Eigenthümlichkeit, welche nicht unbedingt zu
loben ist; seine Menschen nämlich schildert er gern innerhalb dieser Staffage,
ebenso dnrch sie ergriffen und durch sie bestimmt, wie dies einem gebildeten
Menschen unserer Zeit geschehen würde. Es enthält die Situation dadurch eine
große Lebhaftigkeit, zuweilen aus Kosten der Charakteristik und der Handlung, und
seine Romane erscheinen deßhalb im Ganzen mehr zusammengesetzt aus einer Reihe
von vortrefflich gefärbten Bildern, wie nach einer feststehenden Handlung, einem
großen Plane componirt. Dies geht so weit, daß sich behaupten läßt, seine Vir¬
tuosität in der Färbung beeinträchtige die Wahrheit seiner Charaktere und deu
künstlerischen Zusammenhang der Handlung.

Denn sein Gefühl für das Charakteristische und die Consequenz der Charak¬
tere ist verhältnißmäßig schwächer, und deshalb hat die Fabel oder Handlung
seiner historischen Romane immer sehr wunde Stellen. Im Cabanis beruht die
ganze Möglichkeit des Romans auf dem verrückten Einfall des Marquis, daß
sein treues, liebendes Weib nicht bei ihm bleiben dürfe, weil ihm der Vater
Friedrichs des Großen durch eine Ohrfeige die Ehre beschädigt hat, und des¬
halb verheirathet er sie an eiuen Berliner Bürger. Hier bricht die alte roman¬
tische Caprice wieder durch, eine unverständige Unterlage des Romans, welche
uns das Behagen an den einzelnen Schönheiten verkümmert. Im Roland von
Berlin nimmt Johannes Nathenow, der beste Charakter, welchen der Dichter
gezeichnet hat, die Würde des Bürgermeisters ans den Händen des Landesfür¬
sten an, obgleich ihm diese gegen die Rechte und Privilegien der Stadt zuer-
theilt wird, welche bis auf'S Aeußerste zu vertheidigen er zur Ausgabe seines Le¬
bens gemacht hat. Im falschen Waldemar geschieht es dem Dichter gar, daß
er dem Betrüger eine theilweise Berechtigung zu geben sucht, indem er ihn zum
enthusiastischen Vertreter der tugendhaften Sache macht und eine gewisse Mystik


51,*
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[0415] Das ode Sandmeer, der knorrige Föhrenwald, die rauhe und doch tüchtige Kraft der Menschen ans diesem Grunde, den Patricier des Mittelalters, die Raubritter, die Buschklepper und was Alles vou Figuren und menschlicher Thätigkeit zu der märkischen Landschaft paßt, das springt ans diesen Romanen imponirend hervor; wir sehen den Wolf über das Wintereis der Havel schleichen und hören die Krähea über dem Kieferbusch schreien, der die Stelle einer schwarzen Unthat bezeichnet. Es ist ein grauer, trüber Himmel, welcher Ton und Luft seiner patriotischen Gemälde bestimmt; selbst im Cabanis geht diese Stimmung dnrch von Anfang bis zu Eude. Obgleich aber das Wiederkehren einer ganz ähnlichen Farbe in den verschiedenen historischen Romanen eine gewisse Monotonie erzeugt, so ist sie doch in den einzelnen Schilderungen von ungewöhnlicher Wirkung. Die Mittel, dnrch welche Wilibald Alexis seiue Färbung hervorbringt, sind ebenfalls charakteristisch. Es ist außer lebhafter Beschreibung der Staffage mit vielen Detail, und einer Sprache, welche weniger zerbrochene Sätze und weniger alterthümlichen Schein haben könnte, noch eine wichtige Eigenthümlichkeit, welche nicht unbedingt zu loben ist; seine Menschen nämlich schildert er gern innerhalb dieser Staffage, ebenso dnrch sie ergriffen und durch sie bestimmt, wie dies einem gebildeten Menschen unserer Zeit geschehen würde. Es enthält die Situation dadurch eine große Lebhaftigkeit, zuweilen aus Kosten der Charakteristik und der Handlung, und seine Romane erscheinen deßhalb im Ganzen mehr zusammengesetzt aus einer Reihe von vortrefflich gefärbten Bildern, wie nach einer feststehenden Handlung, einem großen Plane componirt. Dies geht so weit, daß sich behaupten läßt, seine Vir¬ tuosität in der Färbung beeinträchtige die Wahrheit seiner Charaktere und deu künstlerischen Zusammenhang der Handlung. Denn sein Gefühl für das Charakteristische und die Consequenz der Charak¬ tere ist verhältnißmäßig schwächer, und deshalb hat die Fabel oder Handlung seiner historischen Romane immer sehr wunde Stellen. Im Cabanis beruht die ganze Möglichkeit des Romans auf dem verrückten Einfall des Marquis, daß sein treues, liebendes Weib nicht bei ihm bleiben dürfe, weil ihm der Vater Friedrichs des Großen durch eine Ohrfeige die Ehre beschädigt hat, und des¬ halb verheirathet er sie an eiuen Berliner Bürger. Hier bricht die alte roman¬ tische Caprice wieder durch, eine unverständige Unterlage des Romans, welche uns das Behagen an den einzelnen Schönheiten verkümmert. Im Roland von Berlin nimmt Johannes Nathenow, der beste Charakter, welchen der Dichter gezeichnet hat, die Würde des Bürgermeisters ans den Händen des Landesfür¬ sten an, obgleich ihm diese gegen die Rechte und Privilegien der Stadt zuer- theilt wird, welche bis auf'S Aeußerste zu vertheidigen er zur Ausgabe seines Le¬ bens gemacht hat. Im falschen Waldemar geschieht es dem Dichter gar, daß er dem Betrüger eine theilweise Berechtigung zu geben sucht, indem er ihn zum enthusiastischen Vertreter der tugendhaften Sache macht und eine gewisse Mystik 51,*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/415>, abgerufen am 24.07.2024.