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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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fehlbarkeit des Papstes glaubt, bilden wir uns ein, die katholische Kirche existire
überhaupt nicht mehr; uns ans dieser thörichten Einbildung zu reißen, dürfen
wir nur unsere Aufmerksamkeit auf das systematische Wirken und die höchst re-
spectable Energie richten, welche gerade in diesem Augenblick die heilige Ge¬
meinde jenseit der Berge nach allen Seiten hin entfaltet.

Einer der Orte, an welchem jetzt der unvermeidliche Kampf des Staats
gegen die Kirche mit der größten Hartnäckigkeit ausgefochten wird, ist Sardinien.
Auch hier hat es die Zähigkeit des Willens, welche die römische Kirche seit der
ältesten Geschichte ausgezeichnet hat, vorläufig wenigstens dahin gebracht, daß der
Minister, welcher als der Führer der Bewegung gegen die Kirche anzusehen war,
hat abtreten müssen. Ob mit Siecardi's Fall anch seine Gesetze in Vergessen¬
heit gerathen werden, steht noch dahin. In diesen Gesetzen ist wenigstens für
katholische Länder der nervus rerum enthalten, um welchen es sich in diesem
Streit überhaupt handelt. Ich will darum die Aufmerksamkeit Ihrer Leser ans
einen Augenblick auf diesen Punkt hinlenken.

Die Siccardi'scheu Gesetze haben in einer doppelten Beziehung der Kirche
Anstoß gegeben, sowohl wegen ihres Inhalts, als wegen der Form, in welcher
man sie zu Gesetzen erhob.

Was zunächst den Inhalt betrifft, so enthalten sie folgende Bestimmungen:
I) Alle Civilprocesse sollen vor Civilgerichten und nach dem gemeinen bürgerli¬
chen Recht verhandelt werden. 2) Alle Geistlichen sind in Criminalfällen der
Gerichtsbarkeit des Staats unterworfen. 3) Die Arrestation eines Verbrechers
darf auch in Kirchen und andern geweihten Orten stattfinden, wenn schon mit
der gebührenden Rücksicht auf die Heiligkeit dieser Orte. Einem Protestanten
wird der Inhalt dieser Gesetze so evident erscheinen, daß ohne sie an ein con-
stitutionelles Staatsleben, ja überhaupt an eine gedeihliche Entwickelung der bür¬
gerlichen Einrichtungen nickt zu denken ist; ja anch in den größern katholischen
Staaten hat man lange Zeit hindurch die Kirche über diese Grenze nicht hinaus¬
gehen lassen; und dennoch hat der Papst uoch neuerdings in seiner Allocution
vom 1. November v. I. diese Bestimmungen als unverträglich mit den Lehren
des wahren Glaubens dargestellt. Sie verletzen zwei der wichtigsten Vorrechte,
welche die Geistlichkeit in den italienischen Staaten behauptet hat: das asvli
und das Privilegium lori. Das letztere hatte eine um so größere Ausdehnung,
da die geistliche Gerichtsbarkeit sich vorbehält, zu bestimmen, welche Fälle
vor sie gehören. Wenn man nun bedenkt, daß alle Uebelstände, die mit der
eximirten Gerichtsbarkeit überhaupt verknüpft sind, doppelt und dreifach stattfin-
den, wo es sich um geistliche Gerichte handelt, die einen wesentlich verschiedenen
Begriff von Recht und Unrecht haben von dem, was das Staatsrecht darüber
lehrt, so kann man das Interesse begreifen, mit welchem der Staat in seinen


fehlbarkeit des Papstes glaubt, bilden wir uns ein, die katholische Kirche existire
überhaupt nicht mehr; uns ans dieser thörichten Einbildung zu reißen, dürfen
wir nur unsere Aufmerksamkeit auf das systematische Wirken und die höchst re-
spectable Energie richten, welche gerade in diesem Augenblick die heilige Ge¬
meinde jenseit der Berge nach allen Seiten hin entfaltet.

Einer der Orte, an welchem jetzt der unvermeidliche Kampf des Staats
gegen die Kirche mit der größten Hartnäckigkeit ausgefochten wird, ist Sardinien.
Auch hier hat es die Zähigkeit des Willens, welche die römische Kirche seit der
ältesten Geschichte ausgezeichnet hat, vorläufig wenigstens dahin gebracht, daß der
Minister, welcher als der Führer der Bewegung gegen die Kirche anzusehen war,
hat abtreten müssen. Ob mit Siecardi's Fall anch seine Gesetze in Vergessen¬
heit gerathen werden, steht noch dahin. In diesen Gesetzen ist wenigstens für
katholische Länder der nervus rerum enthalten, um welchen es sich in diesem
Streit überhaupt handelt. Ich will darum die Aufmerksamkeit Ihrer Leser ans
einen Augenblick auf diesen Punkt hinlenken.

Die Siccardi'scheu Gesetze haben in einer doppelten Beziehung der Kirche
Anstoß gegeben, sowohl wegen ihres Inhalts, als wegen der Form, in welcher
man sie zu Gesetzen erhob.

Was zunächst den Inhalt betrifft, so enthalten sie folgende Bestimmungen:
I) Alle Civilprocesse sollen vor Civilgerichten und nach dem gemeinen bürgerli¬
chen Recht verhandelt werden. 2) Alle Geistlichen sind in Criminalfällen der
Gerichtsbarkeit des Staats unterworfen. 3) Die Arrestation eines Verbrechers
darf auch in Kirchen und andern geweihten Orten stattfinden, wenn schon mit
der gebührenden Rücksicht auf die Heiligkeit dieser Orte. Einem Protestanten
wird der Inhalt dieser Gesetze so evident erscheinen, daß ohne sie an ein con-
stitutionelles Staatsleben, ja überhaupt an eine gedeihliche Entwickelung der bür¬
gerlichen Einrichtungen nickt zu denken ist; ja anch in den größern katholischen
Staaten hat man lange Zeit hindurch die Kirche über diese Grenze nicht hinaus¬
gehen lassen; und dennoch hat der Papst uoch neuerdings in seiner Allocution
vom 1. November v. I. diese Bestimmungen als unverträglich mit den Lehren
des wahren Glaubens dargestellt. Sie verletzen zwei der wichtigsten Vorrechte,
welche die Geistlichkeit in den italienischen Staaten behauptet hat: das asvli
und das Privilegium lori. Das letztere hatte eine um so größere Ausdehnung,
da die geistliche Gerichtsbarkeit sich vorbehält, zu bestimmen, welche Fälle
vor sie gehören. Wenn man nun bedenkt, daß alle Uebelstände, die mit der
eximirten Gerichtsbarkeit überhaupt verknüpft sind, doppelt und dreifach stattfin-
den, wo es sich um geistliche Gerichte handelt, die einen wesentlich verschiedenen
Begriff von Recht und Unrecht haben von dem, was das Staatsrecht darüber
lehrt, so kann man das Interesse begreifen, mit welchem der Staat in seinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/393>, abgerufen am 24.07.2024.