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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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höchst aristokratische und tyrannische Natur, verliebt sich in ihn und fordert ihn
mit einer majestätischen Herablassung auf, sie zu heirathen. Auch hier muß er
zurücktreten, und die adelige Welt trennt sich wieder vou der Welt der Kunst.
In Alezia's Charakter ist viel vou der Quintilia, der Lelia und der Fiamma;
sie ist mit ihren Capricen, ihrem Stolz und ihrer Heftigkeit trotz ihrer romantischen
Liebenswürdigkeit eine so bedenkliche Lebensgefährtin, daß ihre Ehe mit dem bür¬
gerlichen Schauspieler eine unglückliche hätte werdeu müssen. Die Novelle
muß als eine Caprice betrachtet werden; als solche ist sie allerliebst, eine allge¬
meine Wahrheit ist nicht darin zu suchen.

Mauprat tritt mit einer größern Gravität ans, obgleich die Voraussetzun¬
gen, ans welche die Geschichte gegründet ist, zu deu abuormsten gehören, die
man erdenken kauu. Ju einem entlegnen Winkel Frankreichs soll im Anfang
des vorigen Jahrhunderts ein Raubschloß gestanden haben, von welchem ans die
Familie Mauprat die schauderhaftesten Gräuelthaten verübte. Durch einen Zu¬
fall geräth ein edles Fräulein, Ebene, in diese Räuberhöhle. Sie wäre dem
schrecklichsten ausgesetzt, wenn nicht der jüngste und am wenigsten verdorbene
dieser Wilden, Bernard, sie mit Lebensgefahr befreite; dafür muß sie ihm ver¬
sprechen, eine Nacht die Seinige werden zu wollen, was sie natürlich so versteht,
daß sie ihn heirathen will. Vorher aber muß die Wildheit seiner Natur gezähmt
und nicht bloß die äußere Politur der Gesellschaft, soudern auch die sittliche
Bildung des Christenthums ihm beigebracht werden. Es beginnt nun jene Er¬
ziehungsgeschichte, die Halm in seinem Sohn der Wildniß dargestellt hat, und
die eigentlich keinen von beiden Theilen in besonders interessantem Lichte erscheinen
läßt, denn erziehen und erzogen werden ist gleich einfältig, wenn es sich uicht
um Kiuder handelt. Da beiderseits eine gute Natur vorliegt, so wird das Resultat
zuletzt ein günstiges, aber die Jngend geht darüber verloren. Der Gedanke an
ihr Gelübde breitet über Ebene eine tiefe Schwermuth, die hin und wieder
zum Weltschmerz und zu Emancipativuöideeu führt. "Mein Herz," sagt sie ein¬
mal, "ist ein Todter, den der Galvanismus tanzen läßt, und der dann wieder
hinfällt. Sage mir die Wahrheit, bist Dn glücklich? Doch das ist eine lächer¬
liche Frage, denn das Wort Glück ist ein lächerliches Wort und spricht eine
Idee ans, die so formlos ist wie ein Traum; aber erträgst Du das Leben gut¬
willig? - Das Gute, das ich ohne Begeisterung, selbst ohne Vergnügen daran
thue, und ohne vou der Erfüllung meiner Pflichten irgend eine Erleichterung zu
hoffen, ist vor Gott vielleicht ein größeres Opfer, als die Opfergaben eines
jüngeren, beglücktem Herzens! O mein Gott, könnte sich doch aus dem Schooß
Deiner Gnade eine Ueberzeugung, ein Wollen oder auch nur ein Wunsch,
ein Verlangen in mein Herz niedersenken u. s. w." -- Es ist das die neue
Theorie von der Aufopferung des Weibes, die auch hier mit einer zu großen
Härte und Coquetterie ausgesprochen wird, um überzeugend zu wirken. Eine


höchst aristokratische und tyrannische Natur, verliebt sich in ihn und fordert ihn
mit einer majestätischen Herablassung auf, sie zu heirathen. Auch hier muß er
zurücktreten, und die adelige Welt trennt sich wieder vou der Welt der Kunst.
In Alezia's Charakter ist viel vou der Quintilia, der Lelia und der Fiamma;
sie ist mit ihren Capricen, ihrem Stolz und ihrer Heftigkeit trotz ihrer romantischen
Liebenswürdigkeit eine so bedenkliche Lebensgefährtin, daß ihre Ehe mit dem bür¬
gerlichen Schauspieler eine unglückliche hätte werdeu müssen. Die Novelle
muß als eine Caprice betrachtet werden; als solche ist sie allerliebst, eine allge¬
meine Wahrheit ist nicht darin zu suchen.

Mauprat tritt mit einer größern Gravität ans, obgleich die Voraussetzun¬
gen, ans welche die Geschichte gegründet ist, zu deu abuormsten gehören, die
man erdenken kauu. Ju einem entlegnen Winkel Frankreichs soll im Anfang
des vorigen Jahrhunderts ein Raubschloß gestanden haben, von welchem ans die
Familie Mauprat die schauderhaftesten Gräuelthaten verübte. Durch einen Zu¬
fall geräth ein edles Fräulein, Ebene, in diese Räuberhöhle. Sie wäre dem
schrecklichsten ausgesetzt, wenn nicht der jüngste und am wenigsten verdorbene
dieser Wilden, Bernard, sie mit Lebensgefahr befreite; dafür muß sie ihm ver¬
sprechen, eine Nacht die Seinige werden zu wollen, was sie natürlich so versteht,
daß sie ihn heirathen will. Vorher aber muß die Wildheit seiner Natur gezähmt
und nicht bloß die äußere Politur der Gesellschaft, soudern auch die sittliche
Bildung des Christenthums ihm beigebracht werden. Es beginnt nun jene Er¬
ziehungsgeschichte, die Halm in seinem Sohn der Wildniß dargestellt hat, und
die eigentlich keinen von beiden Theilen in besonders interessantem Lichte erscheinen
läßt, denn erziehen und erzogen werden ist gleich einfältig, wenn es sich uicht
um Kiuder handelt. Da beiderseits eine gute Natur vorliegt, so wird das Resultat
zuletzt ein günstiges, aber die Jngend geht darüber verloren. Der Gedanke an
ihr Gelübde breitet über Ebene eine tiefe Schwermuth, die hin und wieder
zum Weltschmerz und zu Emancipativuöideeu führt. „Mein Herz," sagt sie ein¬
mal, „ist ein Todter, den der Galvanismus tanzen läßt, und der dann wieder
hinfällt. Sage mir die Wahrheit, bist Dn glücklich? Doch das ist eine lächer¬
liche Frage, denn das Wort Glück ist ein lächerliches Wort und spricht eine
Idee ans, die so formlos ist wie ein Traum; aber erträgst Du das Leben gut¬
willig? - Das Gute, das ich ohne Begeisterung, selbst ohne Vergnügen daran
thue, und ohne vou der Erfüllung meiner Pflichten irgend eine Erleichterung zu
hoffen, ist vor Gott vielleicht ein größeres Opfer, als die Opfergaben eines
jüngeren, beglücktem Herzens! O mein Gott, könnte sich doch aus dem Schooß
Deiner Gnade eine Ueberzeugung, ein Wollen oder auch nur ein Wunsch,
ein Verlangen in mein Herz niedersenken u. s. w." — Es ist das die neue
Theorie von der Aufopferung des Weibes, die auch hier mit einer zu großen
Härte und Coquetterie ausgesprochen wird, um überzeugend zu wirken. Eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/385>, abgerufen am 24.07.2024.