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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Die vierte Gruppe endlich stellt das Hereindriügen der Preußen dar" Der an¬
stürmende preußische Krieger schwingt mit der Rechten die Waffe und legt die
Linke schützend um die Schultern des zurückweichenden Britten. Der auf einem
Felsstück stehende Adler bereitet sich zu einem feindlichen Anfall. In allen Gruppen
ist innere Bewegung, welche zur Handlung wird, ein kräftiges Leben. Den Phystogno-
mieen hat der Künstler ein nationales Gepräge zu verleihen gesucht, was natürlich bei
den deutschen Stämmen am Wenigsten zu erreichen war und durch die Wahl
eines idealen Kostüms zum Theil wieder abgeschwächt wird. Er griff daher M
einem Surrogat, zur Symbolik, wobei es ihm zu Statten kam, daß die Wap¬
penschilder der vier verbildlichten Stämme ihm gerade diejenigen Thiere zur
Bemchuug boten, welche am meisten für die Plastik sich eignen: den Löwen, den
Leoparden, das Noß und deu Adler. Dennoch läßt sich nicht in Abrede stellen,
daß die Allegorie viel von dem wirklichen Leben des darzustellenden Gegenstandes
verwischen mußte, wir dürfen dies weniger dem Künstler, als der ihm gestellten
Aufgabe zur Last legen, in seiner Ausführung dagegen läßt sich der Einfluß der
Berliner Schule, die Richtung ans charaktervolle Wahrheit nicht verkennen.

Als vollendetster Ausdruck dieser Richtung und zugleich des großen histori¬
schen Stils, deren Schöpferin die Gegenwart zu sein berufen ist, wird in einigen
Monaten die mächtige Reiterstatue Friedrich des Großen, von Rauch's Mei¬
sterhand geschaffen, am inneren Eingange der Linden emporragen, ein Denkmal
der großen Bestimmung, welche Friedrich seinem Volke hinterließ, ein Ruhmes-
zeichen für den greisen Künstler, der es schuf, und ein eherner Wegweiser für
die Kunst der neuen Zeit. Dieses großartig schöne Werk, dessen Guß pracht¬
voll gelungen in den Räumen der alten Münze zur Ansicht bereit steht, verewigt
in sich alle selbstständigen Strebungen der modernen Sculptur und verdient darum
eine besondere Besprechung.




Georges Sand.
n.

Ein Theil von dem Zauber, welchen Georges Sand ausübte, beruhte un¬
streitig aus ihren Fehlern. Jener Faustische Drang, den wir in Deutschland schon
ein Menschenalter hindurch empfunden hatten, die Wahrheit, die nicht in den
Erscheinungen, sondern hinter denselben liegen sollte, zu erkennen, das Glück,
welches nicht innerhalb des wirklichen Lebens, sondern in dem Aether einer reinen,
unbestimmten und charakterlosen Seligkeit blühen sollte, zu erjagen, beschäftigt
die Franzosen seit dem Ende der 20er Jahre mit jener Lebhaftigkeit, die dieses


Die vierte Gruppe endlich stellt das Hereindriügen der Preußen dar» Der an¬
stürmende preußische Krieger schwingt mit der Rechten die Waffe und legt die
Linke schützend um die Schultern des zurückweichenden Britten. Der auf einem
Felsstück stehende Adler bereitet sich zu einem feindlichen Anfall. In allen Gruppen
ist innere Bewegung, welche zur Handlung wird, ein kräftiges Leben. Den Phystogno-
mieen hat der Künstler ein nationales Gepräge zu verleihen gesucht, was natürlich bei
den deutschen Stämmen am Wenigsten zu erreichen war und durch die Wahl
eines idealen Kostüms zum Theil wieder abgeschwächt wird. Er griff daher M
einem Surrogat, zur Symbolik, wobei es ihm zu Statten kam, daß die Wap¬
penschilder der vier verbildlichten Stämme ihm gerade diejenigen Thiere zur
Bemchuug boten, welche am meisten für die Plastik sich eignen: den Löwen, den
Leoparden, das Noß und deu Adler. Dennoch läßt sich nicht in Abrede stellen,
daß die Allegorie viel von dem wirklichen Leben des darzustellenden Gegenstandes
verwischen mußte, wir dürfen dies weniger dem Künstler, als der ihm gestellten
Aufgabe zur Last legen, in seiner Ausführung dagegen läßt sich der Einfluß der
Berliner Schule, die Richtung ans charaktervolle Wahrheit nicht verkennen.

Als vollendetster Ausdruck dieser Richtung und zugleich des großen histori¬
schen Stils, deren Schöpferin die Gegenwart zu sein berufen ist, wird in einigen
Monaten die mächtige Reiterstatue Friedrich des Großen, von Rauch's Mei¬
sterhand geschaffen, am inneren Eingange der Linden emporragen, ein Denkmal
der großen Bestimmung, welche Friedrich seinem Volke hinterließ, ein Ruhmes-
zeichen für den greisen Künstler, der es schuf, und ein eherner Wegweiser für
die Kunst der neuen Zeit. Dieses großartig schöne Werk, dessen Guß pracht¬
voll gelungen in den Räumen der alten Münze zur Ansicht bereit steht, verewigt
in sich alle selbstständigen Strebungen der modernen Sculptur und verdient darum
eine besondere Besprechung.




Georges Sand.
n.

Ein Theil von dem Zauber, welchen Georges Sand ausübte, beruhte un¬
streitig aus ihren Fehlern. Jener Faustische Drang, den wir in Deutschland schon
ein Menschenalter hindurch empfunden hatten, die Wahrheit, die nicht in den
Erscheinungen, sondern hinter denselben liegen sollte, zu erkennen, das Glück,
welches nicht innerhalb des wirklichen Lebens, sondern in dem Aether einer reinen,
unbestimmten und charakterlosen Seligkeit blühen sollte, zu erjagen, beschäftigt
die Franzosen seit dem Ende der 20er Jahre mit jener Lebhaftigkeit, die dieses


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[0380] Die vierte Gruppe endlich stellt das Hereindriügen der Preußen dar» Der an¬ stürmende preußische Krieger schwingt mit der Rechten die Waffe und legt die Linke schützend um die Schultern des zurückweichenden Britten. Der auf einem Felsstück stehende Adler bereitet sich zu einem feindlichen Anfall. In allen Gruppen ist innere Bewegung, welche zur Handlung wird, ein kräftiges Leben. Den Phystogno- mieen hat der Künstler ein nationales Gepräge zu verleihen gesucht, was natürlich bei den deutschen Stämmen am Wenigsten zu erreichen war und durch die Wahl eines idealen Kostüms zum Theil wieder abgeschwächt wird. Er griff daher M einem Surrogat, zur Symbolik, wobei es ihm zu Statten kam, daß die Wap¬ penschilder der vier verbildlichten Stämme ihm gerade diejenigen Thiere zur Bemchuug boten, welche am meisten für die Plastik sich eignen: den Löwen, den Leoparden, das Noß und deu Adler. Dennoch läßt sich nicht in Abrede stellen, daß die Allegorie viel von dem wirklichen Leben des darzustellenden Gegenstandes verwischen mußte, wir dürfen dies weniger dem Künstler, als der ihm gestellten Aufgabe zur Last legen, in seiner Ausführung dagegen läßt sich der Einfluß der Berliner Schule, die Richtung ans charaktervolle Wahrheit nicht verkennen. Als vollendetster Ausdruck dieser Richtung und zugleich des großen histori¬ schen Stils, deren Schöpferin die Gegenwart zu sein berufen ist, wird in einigen Monaten die mächtige Reiterstatue Friedrich des Großen, von Rauch's Mei¬ sterhand geschaffen, am inneren Eingange der Linden emporragen, ein Denkmal der großen Bestimmung, welche Friedrich seinem Volke hinterließ, ein Ruhmes- zeichen für den greisen Künstler, der es schuf, und ein eherner Wegweiser für die Kunst der neuen Zeit. Dieses großartig schöne Werk, dessen Guß pracht¬ voll gelungen in den Räumen der alten Münze zur Ansicht bereit steht, verewigt in sich alle selbstständigen Strebungen der modernen Sculptur und verdient darum eine besondere Besprechung. Georges Sand. n. Ein Theil von dem Zauber, welchen Georges Sand ausübte, beruhte un¬ streitig aus ihren Fehlern. Jener Faustische Drang, den wir in Deutschland schon ein Menschenalter hindurch empfunden hatten, die Wahrheit, die nicht in den Erscheinungen, sondern hinter denselben liegen sollte, zu erkennen, das Glück, welches nicht innerhalb des wirklichen Lebens, sondern in dem Aether einer reinen, unbestimmten und charakterlosen Seligkeit blühen sollte, zu erjagen, beschäftigt die Franzosen seit dem Ende der 20er Jahre mit jener Lebhaftigkeit, die dieses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/380>, abgerufen am 24.07.2024.