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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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durch die Gesetze und Maßregeln des Märzministerimns Kirche und Staat in
ihren tiefsten Grundlagen bedroht erachten, obwohl sie damals ganz ruhig gesessen
haben, als sie das allerdings sehr tadelnswerthe Religions- und Ehegesetz in
dieser Gestalt durch eindringliche Gegenvorstellungen wohl hätten hintertreiben
können. .Denn daß Eberhard, welcher der Kirche durchaus nicht feindlich gesinnt
ist und sich für bessere Belehrung stets zugänglich gezeigt hat, auch für solche
Vorstellungen nicht taub gewesen sein würde, beweist der Umstand, daß er den
Professor Zeller, dessen Berufung er nicht mehr rückgängig machen konnte, wenig¬
stens nicht in die theologische, sondern in die philosophische Facultät setzte. Ueber-
dies hatte sich Vilmar selbst, dessen Volksfreund jetzt die Losreißung der Kirche
vom Staat-als den ärgsten Mißgriff verdammt, im Jahre 1848 in einer Weise
allsgesprochen, welche das Märzministerinm zu der Erwartung berechtigen mußte,
daß die bezügliche Gesetzvorlage auch deu Wünschen der orthodoxen Partei ent-.
sprechen werde. Vilmar bekämpft und berichtigt nämlich in Ur. 16 und 17 des
Volksfrenndes von I8i8 die Meinung vieler treuen Glieder der bestehenden
Kirche, welche "nicht Anstand nahmen, die ganze politische Entwickelung der letzten
Wochen als ein auf den gänzlichen Umsturz des Staates und der Kirche abzie¬
lendes Werk der Finsterniß zu bezeichnen," und sagt unter Anderm Folgendes:
"Der Zeitgeist drängt mit unwiderstehlicher Gewalt ans vollständige Trennung
der Kirche vom Staate und dadurch ermöglichte Aenderung des Bekenntnisses. --
In der That erscheint der Zustand der heutigen Kirche als ein so verwickelter
und verkehrter, daß man sich der Ueberzeugung nicht zu entziehen vermag, daß
auf dein seitherigen Wege auch nicht Ein (!) Schritt weiter vorwärts zu kommeu
gewesen wäre, daß ihr vielmehr nnr dnrch ein unmittelbares göttliches
Einschreiten zu helfen gestanden hat. Dieses aber ist erfolgt in den
Ereignissen der letzten Zeit. Sie werden die Kirche vom Staate trennen;
sie werden eben hierdurch die Kirche frei machen von veralteten Schäden und
ihr zu einer herrlichen Wiedergeburt verhelfen. -- Und so fordern wir denn
unsre christlichen Brüder ans, dem neuen wiedererstehenden Deutschland, dem mäch¬
tigen deutschen Kaiser, der, so Gott will, bald in der alten Kaiserstadt den ver¬
sunkenen mehr als tausendjährigen Thron zum Staunen der Welt nach seiner
Wiederaufrichtung besteigen und mit neuem Glänze umgeben wird, dem ans den
Edelsten der Nation und dem Schooße des Volks hervorgehenden Parlamente,
so wie der frei werdenden, einer schönen Zukunft entgegeneilenden Kirche mit
froher Zuversicht sich ausschließen." -- Also der Vilmar von 1848, der unfrei¬
willige und doch so beredte Apologet des Märzministerimns und der dnrch
dasselbe vertretenen Zeitideen. Indessen der Vilmar von 1851 theilt als aux
8regi8 eine ganz andere Lösung aus, und seine Getreuen folgen ihm blind¬
lings nach.

Unsere orthodoxen Geistlichen sind zwar größtenteils achtungswerthe Männer


Grenzvoten. I. 1851. 44

durch die Gesetze und Maßregeln des Märzministerimns Kirche und Staat in
ihren tiefsten Grundlagen bedroht erachten, obwohl sie damals ganz ruhig gesessen
haben, als sie das allerdings sehr tadelnswerthe Religions- und Ehegesetz in
dieser Gestalt durch eindringliche Gegenvorstellungen wohl hätten hintertreiben
können. .Denn daß Eberhard, welcher der Kirche durchaus nicht feindlich gesinnt
ist und sich für bessere Belehrung stets zugänglich gezeigt hat, auch für solche
Vorstellungen nicht taub gewesen sein würde, beweist der Umstand, daß er den
Professor Zeller, dessen Berufung er nicht mehr rückgängig machen konnte, wenig¬
stens nicht in die theologische, sondern in die philosophische Facultät setzte. Ueber-
dies hatte sich Vilmar selbst, dessen Volksfreund jetzt die Losreißung der Kirche
vom Staat-als den ärgsten Mißgriff verdammt, im Jahre 1848 in einer Weise
allsgesprochen, welche das Märzministerinm zu der Erwartung berechtigen mußte,
daß die bezügliche Gesetzvorlage auch deu Wünschen der orthodoxen Partei ent-.
sprechen werde. Vilmar bekämpft und berichtigt nämlich in Ur. 16 und 17 des
Volksfrenndes von I8i8 die Meinung vieler treuen Glieder der bestehenden
Kirche, welche „nicht Anstand nahmen, die ganze politische Entwickelung der letzten
Wochen als ein auf den gänzlichen Umsturz des Staates und der Kirche abzie¬
lendes Werk der Finsterniß zu bezeichnen," und sagt unter Anderm Folgendes:
„Der Zeitgeist drängt mit unwiderstehlicher Gewalt ans vollständige Trennung
der Kirche vom Staate und dadurch ermöglichte Aenderung des Bekenntnisses. —
In der That erscheint der Zustand der heutigen Kirche als ein so verwickelter
und verkehrter, daß man sich der Ueberzeugung nicht zu entziehen vermag, daß
auf dein seitherigen Wege auch nicht Ein (!) Schritt weiter vorwärts zu kommeu
gewesen wäre, daß ihr vielmehr nnr dnrch ein unmittelbares göttliches
Einschreiten zu helfen gestanden hat. Dieses aber ist erfolgt in den
Ereignissen der letzten Zeit. Sie werden die Kirche vom Staate trennen;
sie werden eben hierdurch die Kirche frei machen von veralteten Schäden und
ihr zu einer herrlichen Wiedergeburt verhelfen. — Und so fordern wir denn
unsre christlichen Brüder ans, dem neuen wiedererstehenden Deutschland, dem mäch¬
tigen deutschen Kaiser, der, so Gott will, bald in der alten Kaiserstadt den ver¬
sunkenen mehr als tausendjährigen Thron zum Staunen der Welt nach seiner
Wiederaufrichtung besteigen und mit neuem Glänze umgeben wird, dem ans den
Edelsten der Nation und dem Schooße des Volks hervorgehenden Parlamente,
so wie der frei werdenden, einer schönen Zukunft entgegeneilenden Kirche mit
froher Zuversicht sich ausschließen." — Also der Vilmar von 1848, der unfrei¬
willige und doch so beredte Apologet des Märzministerimns und der dnrch
dasselbe vertretenen Zeitideen. Indessen der Vilmar von 1851 theilt als aux
8regi8 eine ganz andere Lösung aus, und seine Getreuen folgen ihm blind¬
lings nach.

Unsere orthodoxen Geistlichen sind zwar größtenteils achtungswerthe Männer


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[0357] durch die Gesetze und Maßregeln des Märzministerimns Kirche und Staat in ihren tiefsten Grundlagen bedroht erachten, obwohl sie damals ganz ruhig gesessen haben, als sie das allerdings sehr tadelnswerthe Religions- und Ehegesetz in dieser Gestalt durch eindringliche Gegenvorstellungen wohl hätten hintertreiben können. .Denn daß Eberhard, welcher der Kirche durchaus nicht feindlich gesinnt ist und sich für bessere Belehrung stets zugänglich gezeigt hat, auch für solche Vorstellungen nicht taub gewesen sein würde, beweist der Umstand, daß er den Professor Zeller, dessen Berufung er nicht mehr rückgängig machen konnte, wenig¬ stens nicht in die theologische, sondern in die philosophische Facultät setzte. Ueber- dies hatte sich Vilmar selbst, dessen Volksfreund jetzt die Losreißung der Kirche vom Staat-als den ärgsten Mißgriff verdammt, im Jahre 1848 in einer Weise allsgesprochen, welche das Märzministerinm zu der Erwartung berechtigen mußte, daß die bezügliche Gesetzvorlage auch deu Wünschen der orthodoxen Partei ent-. sprechen werde. Vilmar bekämpft und berichtigt nämlich in Ur. 16 und 17 des Volksfrenndes von I8i8 die Meinung vieler treuen Glieder der bestehenden Kirche, welche „nicht Anstand nahmen, die ganze politische Entwickelung der letzten Wochen als ein auf den gänzlichen Umsturz des Staates und der Kirche abzie¬ lendes Werk der Finsterniß zu bezeichnen," und sagt unter Anderm Folgendes: „Der Zeitgeist drängt mit unwiderstehlicher Gewalt ans vollständige Trennung der Kirche vom Staate und dadurch ermöglichte Aenderung des Bekenntnisses. — In der That erscheint der Zustand der heutigen Kirche als ein so verwickelter und verkehrter, daß man sich der Ueberzeugung nicht zu entziehen vermag, daß auf dein seitherigen Wege auch nicht Ein (!) Schritt weiter vorwärts zu kommeu gewesen wäre, daß ihr vielmehr nnr dnrch ein unmittelbares göttliches Einschreiten zu helfen gestanden hat. Dieses aber ist erfolgt in den Ereignissen der letzten Zeit. Sie werden die Kirche vom Staate trennen; sie werden eben hierdurch die Kirche frei machen von veralteten Schäden und ihr zu einer herrlichen Wiedergeburt verhelfen. — Und so fordern wir denn unsre christlichen Brüder ans, dem neuen wiedererstehenden Deutschland, dem mäch¬ tigen deutschen Kaiser, der, so Gott will, bald in der alten Kaiserstadt den ver¬ sunkenen mehr als tausendjährigen Thron zum Staunen der Welt nach seiner Wiederaufrichtung besteigen und mit neuem Glänze umgeben wird, dem ans den Edelsten der Nation und dem Schooße des Volks hervorgehenden Parlamente, so wie der frei werdenden, einer schönen Zukunft entgegeneilenden Kirche mit froher Zuversicht sich ausschließen." — Also der Vilmar von 1848, der unfrei¬ willige und doch so beredte Apologet des Märzministerimns und der dnrch dasselbe vertretenen Zeitideen. Indessen der Vilmar von 1851 theilt als aux 8regi8 eine ganz andere Lösung aus, und seine Getreuen folgen ihm blind¬ lings nach. Unsere orthodoxen Geistlichen sind zwar größtenteils achtungswerthe Männer Grenzvoten. I. 1851. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/357>, abgerufen am 24.07.2024.