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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Alles bunt durch einander gereiht, Menschenleiber an Pferdeköpfe geleimt, die Augen
unter die Nase gesetzt u. s. w., und der erschrockene NomantikuS, dem es in der
Mitte seiner eigenen Schöpfung graut, wird zu der Ansicht gebracht, die Welt
sei wahnsinnig. -- Zusammenhängend ans diese Weise zu denken, ist auf die Lauge
uicht möglich, daher empfiehlt sich sehr bald die Methode der Aphorismen;
Jacobi, die Schlegel, Novalis u. s. w. haben in Aphorismen gedacht; dann
wird auch in Aphorismen, in Fragmenten gestaltet; wenn jeder neue Poet
ein Evangelium schreiben will, wird die Unendlichkeit seiner Aufgabe ihm bald
eine ausreichende Entschuldigung, daß das einzelne Werk, der einzelne Baustein
des Riesentempels nur einen fragmentarischen Eindruck machr. Ncach dem Beispiel
des Faust siud auf diese Weise z. B. Gutzkow's Nero, Grabbe's Stücke, Lenau's
Albigenser, bei deu Engländern Shelley, Carlyle, Bailey, so fragmentarisch zer¬
stückelt, und mit so unklaren, weitausseheudeu Anspielungen zersetzt, daß endlich
anch die Sprache vollkommen unverständlich wird, weil sie ein Ragout aus alleu
ulöglicheu widerstrebenden Ingredienzen ist. Am liebstell versenken sich diese Dichter
in die Seelen halb sinnlicher, halb spiritualistischer Weiber, denen der Zweifel
leicht ist, weil sie vou Vielerlei etwas gehört habe", aber nichts recht, und deren
Blasirtheit mau uicht ernsthaft bekämpfen darf, weil das schöne Geschlecht mit
einem Privilegium auf Launen und Capricen ausgestattet ist. Mau nehme eine
Reihe vou poetischen Weibern, wie Lucinde, Delphine, Wally, Lelia, Faustiue, die
Lucretia voll Victor Hugo lind die voll Bulwer, Marion de Lorme, Hebbel'S
Judith und Maria Magdalena, und frage sich, ob eine solche Fülle irrationaler
SchöpflUlgen nicht ein bedenkliches Zeichen ist für den Verstand eines Zeitalters.
Die Frauen selbst lind mehr noch die Schöngeister, die ihnen den Hof machen,
quälen sich über ihre "Bestimmung" und ihre getäuschten Ideale; uoch neuerdings
hat man ihnen in der "innern Mission" eine Aufgabe setzen wollen, die so un-
weiblich als möglich ist; und darüber verlieren sie alles Ange für die schöne
Natur und deu schönen Beruf des Weibes, der uicht erst gesucht werden darf,
der ihnen bereits vou der Natur gesetzt ist. -- Es ist aber auch uicht die weib¬
liche Natur in ihrer Schönheit, es siud die Mängel derselben, das aphoristische Denken
und die Schnelligkeit im Wechsel der Empfindung, der diese Dichter fesselt; jene
dunkle Natur, auf deren Grund man nie kommt, lind die doch lockend ist. Aber
die Dichtung hat die Aufgabe, wenn sie sich mit derartigen Problemen beschäftigt,
dem Unklaren Klarheit, dem Unbestimmten eine feste Richtung zu geben; wie es
Goethe überall, wenn auch nach seiner Weise etwas eilfertig und gewaltsam, gethan
hat; aber bei der vollkommen nnvermittelteu Skepsis und Blasirtheit einer Lelia
und Faustiue stehen zu bleiben, und sich gleichsam darau zu erbauen, ist ein Abfall
von der Kunst, und eine Erniedrigung in jenen widerwärtigen Zustand, der ans
Atheismus und Aberglauben zusammengesetzt ist, in dem man sich darüber Sorgen
macht, ob matt anch wirklich existire, und ob es wohl eine Welt gebe, und in dem


Alles bunt durch einander gereiht, Menschenleiber an Pferdeköpfe geleimt, die Augen
unter die Nase gesetzt u. s. w., und der erschrockene NomantikuS, dem es in der
Mitte seiner eigenen Schöpfung graut, wird zu der Ansicht gebracht, die Welt
sei wahnsinnig. — Zusammenhängend ans diese Weise zu denken, ist auf die Lauge
uicht möglich, daher empfiehlt sich sehr bald die Methode der Aphorismen;
Jacobi, die Schlegel, Novalis u. s. w. haben in Aphorismen gedacht; dann
wird auch in Aphorismen, in Fragmenten gestaltet; wenn jeder neue Poet
ein Evangelium schreiben will, wird die Unendlichkeit seiner Aufgabe ihm bald
eine ausreichende Entschuldigung, daß das einzelne Werk, der einzelne Baustein
des Riesentempels nur einen fragmentarischen Eindruck machr. Ncach dem Beispiel
des Faust siud auf diese Weise z. B. Gutzkow's Nero, Grabbe's Stücke, Lenau's
Albigenser, bei deu Engländern Shelley, Carlyle, Bailey, so fragmentarisch zer¬
stückelt, und mit so unklaren, weitausseheudeu Anspielungen zersetzt, daß endlich
anch die Sprache vollkommen unverständlich wird, weil sie ein Ragout aus alleu
ulöglicheu widerstrebenden Ingredienzen ist. Am liebstell versenken sich diese Dichter
in die Seelen halb sinnlicher, halb spiritualistischer Weiber, denen der Zweifel
leicht ist, weil sie vou Vielerlei etwas gehört habe», aber nichts recht, und deren
Blasirtheit mau uicht ernsthaft bekämpfen darf, weil das schöne Geschlecht mit
einem Privilegium auf Launen und Capricen ausgestattet ist. Mau nehme eine
Reihe vou poetischen Weibern, wie Lucinde, Delphine, Wally, Lelia, Faustiue, die
Lucretia voll Victor Hugo lind die voll Bulwer, Marion de Lorme, Hebbel'S
Judith und Maria Magdalena, und frage sich, ob eine solche Fülle irrationaler
SchöpflUlgen nicht ein bedenkliches Zeichen ist für den Verstand eines Zeitalters.
Die Frauen selbst lind mehr noch die Schöngeister, die ihnen den Hof machen,
quälen sich über ihre „Bestimmung" und ihre getäuschten Ideale; uoch neuerdings
hat man ihnen in der „innern Mission" eine Aufgabe setzen wollen, die so un-
weiblich als möglich ist; und darüber verlieren sie alles Ange für die schöne
Natur und deu schönen Beruf des Weibes, der uicht erst gesucht werden darf,
der ihnen bereits vou der Natur gesetzt ist. — Es ist aber auch uicht die weib¬
liche Natur in ihrer Schönheit, es siud die Mängel derselben, das aphoristische Denken
und die Schnelligkeit im Wechsel der Empfindung, der diese Dichter fesselt; jene
dunkle Natur, auf deren Grund man nie kommt, lind die doch lockend ist. Aber
die Dichtung hat die Aufgabe, wenn sie sich mit derartigen Problemen beschäftigt,
dem Unklaren Klarheit, dem Unbestimmten eine feste Richtung zu geben; wie es
Goethe überall, wenn auch nach seiner Weise etwas eilfertig und gewaltsam, gethan
hat; aber bei der vollkommen nnvermittelteu Skepsis und Blasirtheit einer Lelia
und Faustiue stehen zu bleiben, und sich gleichsam darau zu erbauen, ist ein Abfall
von der Kunst, und eine Erniedrigung in jenen widerwärtigen Zustand, der ans
Atheismus und Aberglauben zusammengesetzt ist, in dem man sich darüber Sorgen
macht, ob matt anch wirklich existire, und ob es wohl eine Welt gebe, und in dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/35>, abgerufen am 04.07.2024.